Cabaret der Erinnerungen

Wie zart kann die Erinnerung an die harte Zeit sein? Samuel stellt sich diese Frage nicht. Er lebt sie. Und zwar jeden Tag. Bald schon wird er neues Leben schenken. Seine Frau samt Nachwuchs nach Hause holen… und weiterhin mit den Erinnerungen der Großtante leben. Er wird seinem Kind davon erzählen, was Rosa  erlebt hat, was sie seitdem nicht loslässt. Rosa hat Auschwitz überlebt! Als eine der Letzten kann sie noch davon berichten. In ihrem Cabaret der Erinnerungen.

Sie lebt nach langer Flucht in Shtetl City, Texas. Doch auch dieses Leben wird mal ein Ende haben. Bald schon. Das ist der Lauf der Zeit. Wenn es Zeit ist zu gehen, muss man gewappnet sein. Gerade, wenn so viele Ungeheuer versucht haben ihr das Leben zu nehmen. Sie ließ sich nicht brechen. Doch noch immer hämmern täglich die Erinnerungen auf sie ein. Wie sie im Konzentrationslager einer Hebamme assistierte, um Schlimmeres zu verhindern. Wie sie ihrer Familie fast komplett beraubt wurde. Nun öffnet sie ihr Cabaret und erzählt von dem, was einmal war, was heute noch niemanden kaltlassen kann.

Es ist ein einziger Brief, der auch Samuel diese Zeit nicht vergessen lassen kann. Darin erzählt rosa, was ihr passiert ist. Samuel lässt sich in ihre Geschichte hineinziehen. Teils aus Pflichtgefühl, teils aus Neugier. Je öfter er die Zeilen liest, desto greifbarer wird für ihn eine Zeit, die er nie erleben musste. Vielleicht ist es eine Art Schuldgefühl – die Gnade der späten Geburt – die ihn Rosas Schicksal so nah gehen lässt.

Joachim Schnerf lässt Samuel nicht im Geringsten zweifeln das Richtige zu tun. Bald schon ist er Vater. Er wird ein Leben lang verantwortlich sein für das Leben eines Anderen. Das gibt ihm Kraft Rosas Erinnerungen nicht sterben zu lassen. Es sind schon zu viele aus seiner Familie gestorben und gebrochen worden.

Die kurzen Kapitel rühren mancherorts zu Tränen, geben aber schon wenige Silben später den Platz frei für die Hoffnung, dass allein nur durch die Macht der Worte die dunkle Zeit niemals wieder ein Licht in dieses Dunkel werfen kann. In klarer Sprache, mit einfachen Worten, kindlichen Erinnerungen vermengen sich Phantasie und knallhartes Erleben zu einer Melange, die an süßem Geschmack nicht zu übertreffen ist. Auch wenn die Wahrheit bitter ist.