Archiv der Kategorie: Tangofieber

Camanchaca

Die Wüste ist öde. Für einen jungen Mann, dessen Zähne ihn viel älter erscheinen lassen, dessen Gewicht zum Spott von Anderen einlädt, dessen Familie zerbrochen ist, ist die Wüste der ganz normale Alltag. Sein Leben ist öde. Er wäre gern Sportreporter geworden. Fußball. Im Stadion sein, mit Leidenschaft das Goooooooooooooooooooooooooool verkünden.

Doch das Leben war in seinem kurzen Leben schon verdammt hart zu ihm. Die Eltern getrennt, weil Papa eine Neue hat. Mama und ihre chronischen Geldsorgen. Die Einsamkeit.

Nun sitzt er im Auto zusammen mit Papa, Nancy, seiner neuen Frau und seinem Halbbruder, der die ganze zeit nur am Gameboy zockt. Gen Peru geht es. Zum Einkaufen und zum Zahnarzt. Er lässt alles über sich ergehen. Nur die Musik auf seinem mp3-Palyer lässt ihn ein wenig träumen. Er erinnert sich an die Besucher bei Opa und Oma. An die Träume. An das Champions-League-Finale 1999, Manchester United gegen die Bayern. Wie oft hat er – nicht nur in Gedanken – dieses denkwürdige Spiel als Reporter vom Sofa aus noch einmal angeschaut und kommentiert. Der sicher geglaubte Siege der Bayern, der in der Nachspielzeit so effizient wie brutal zermalmt wurde. Fast so wie sein Leben…

Diego Zúñiga lässt die wahren Hintergründe all dessen im Nebel des Vergessens verschwinden. Niemand hat einen Namen, außer Onkel Neno. Der ist tot. Überfahren. Vom Vater des Jungen, der so still und teilnahmslos die Wüste durchquert. Er darf die Einkaufsliste, die ihn seine Mutter gegeben hat nicht vergessen. Doch dabei will er so gern alles Mögliche vergessen. Oder Antworten bekommen. Ein anderes Leben führen.

Für Touristen ist die Reise von Chile nach Peru unter Garantie ein Abenteuer, das sie nie vergessen werden. Für den Jungen ist es lästige Pflichterfüllung. Er braucht keine Zeit, um sich zu erinnern. Die Gedanken um den Tod des Onkels, die Trennung der Eltern sind allzeit präsent. Es wird kein happy end geben. Wie sollte das auch aussehen?

Schwarzlicht

Das Leben von Künstlern ist oft bemerkenswerter als ihre Werke. Und dabei ist es einerlei, ob sie nun erfolgreich waren oder am sprichwörtlichen Hungertuch nagten. Vincent van Gogh verbindet man in erster Linie mit seinem Ohr, das er sich abgeschnitten hat. Dann kommen seine Werke … gefolgt von seinem kargen Leben. Das Interesse an Kunst und Künstlern zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.

María ist so eine, die sich für Kunst und ihre Erschaffer interessiert. Bei Enriqueta Macedo geht sie in die „Schule“ – sie ist die unumstrittene Kennerin der Szene. Sie weiß, was gut ist. Das betrifft die Kunst, aber auch sie selbst und die sie umgebenden Menschen. Schroff und direkt – das weiß sie, damit eckt sie an. Doch María ist das gerade recht. Sie lernt viel von Enriqueta. Auch wie man Kunst von Fälschung unterscheidet. Und dass auch Fälschungen Kunst sind. Oder es zumindest sein können.

Durch Enriqueta lernt sie eine illustre Runde kennen. Allesamt Fälscher, Gauner, Schieber, Künstler.

Als Enriqueta stirbt, ist es an María ihr Erbe fortzuführen. Doch es geht dabei nicht darum Künstler in den Himmel zu loben oder ihnen die Höllenfahrt vorzubereiten. Sie will in die Szene tiefer eintauchen als es jemals jemand zuvor tat. Sie weiß, dass Enriqueta jahrelang Fälschungen zu Originalen erklärt hat. Warum? Spaß an der Freude, Zurechtrücken der Verhältnisse, Geld? Letzteres wohl kaum, kommt María in den Sinn als sie die Wohnung ihrer ehemaligen Gönnerin sieht.

Der Kreis der Fälscher, die sich regelmäßig im Hotel Meláncolico – welch passender Name – trifft, fördert eine weitere Person hervor, die María unbedingt kennenlernen muss. La Negra. Eine Künstlerin/Fälscherin ohne Gesicht, ohne Vita, ohne Vermächtnis. Für María der Beginn einer Jagd, de im Dunklen beginnt, und mit deren Erhellung nichts als Nacht ans Tageslicht tritt…

María Gainza macht aus der Jagd nach der Unbekannten eine Reise in die Zwischenwelt. Hier existieren Schwarz und Weiß lediglich als Kontrast, deren Mischung ein waberndes Grau ergibt, das keinerlei Zugeständnisse macht. Als Leser taucht man in die Kunstwelt ein, wie wenn man an der Hand geführt zum ersten Mal ein Museum betritt. Alles neu, alles leuchtet, aber zugleich schaut man auch neugierig in die dunklen Ecken und sieht dort meist mehr als das, was einem so glanzvoll vorgesetzt wird.

Dringliche Angelegenheiten

Fast schon möchte man Hugo in den Arm nehmen, auch wenn es ihn unfassbar schmerzen sollte. Der arme Tropf hat aber auch das Pech am Fuß wie die sprichwörtliche Sch… Wo anfangen? Also, am Ende des „Treffens“ mit Carlos David steht der Tod. Carlos David ist tot. Erschossen, die Beine gebrochen, die Überreste in einen Sack gestopft und anschließend selbigen in einem Bach „versenkt“. Flucht. Also, Hugo ist geflüchtet. Verständlich. Gerade, wenn man ihm Glauben schenken will, dass er unschuldig ist.

Unterwegs entgleist der Zug, mit dem Hugo in scheinbar sichere Gefilde fliehen will. Eine gigantische Katastrophe mit Dutzenden Toten. Hugo überlebt. Im Leichenberg krallt er sich an das Heiligenbild, das ihm Glück bringen soll. Er reagiert noch auf Nachrichten von Marta, seiner Freundin. Sporadisch. Sie schnappt sich ihre Tochter und bricht auf zu ihrer Schwester. Alles überhastet, scheinbar ohne Plan.

Währenddessen sucht die Polizei in Person von Ermittler Dominguez nach dem Mörder eines jungen Paraguayers namens Carlos David. Und ziemlich schnell stehen sie auch vor der Tür von Marta. Dort ist allerdings nur ihre Mutter Olga anzutreffen. Und die ist ein echtes Goldstück. Gegenüber dem Bullen erzählt sie nur das, was er ohnehin schon weiß. Sie macht sich ihren eigenen Reim auf die Geschehnisse. Auch weiß sie, dass Hugo in dem verunglückten Zug war. Das weiß bald jeder im Land, denn so eine Katastrophe ruft natürlich auf die sensationsgierige Presse auf den Plan.

Und Hugo? Der hängt wie ein verletzter Vogel in den Fängen sämtlicher Leute, die ihm aus unterschiedlichen Gründen auf den Fersen sind. Wie in einem Film von Hitchcock sucht er verzweifelt nach einem Ausweg. Doch die richtigen Entscheidungen zu treffen, war noch nie sein Ding. Der große Wurf ist immer nur anderen gelungen. Hugos „Dingliche Angelegenheiten“ sind nur für ihn von immenser Bedeutung. Genauso wie er eine dringliche Angelegenheit für viel andere ist. Für seine Freundin, seinen Kompagnon, die Polizei, die Hilfskräfte, die Medien…

Paula Rodríguez spinnt ein enges Geflecht aus Hoffnung, Verzweiflung und düsteren Wolken am Horizont. Alles ist vorbei jetzt muss jeder zusehen wie er sich aus seiner Situation befreit. Immer weiter spinnt sie das Netz, in dem die Beteiligten fast bis zur Regungslosigkeit gefangen sind. Ihre Schilderungen sind so eindringlich, dass man sich mitten im Geschehen wähnt. Kopfschüttelnd leidet man mit dem vermeintlich unschuldigen Hugo. Lacht über die Bigotterie der Schwester von Marta. Und fühlt mit Evelyn, Martas Tochter, die Entdeckungen macht, die ihr mindestens genauso peinlich sind wie ihrer Mutter und Tante. Zwischendrin ertappt man sich dabei der Hoffnung Nahrung zu geben, dass das alles ganz schnell vorbei ist. Doch dann wäre das Lesevergnügen ebenso schnell beendet.

Theater laden ein

Tosca auf der Couch. Norma im flauschigen Lesesessel. Aida vor der Glotze. Mit dem entsprechenden technischen Equipment sicher ein Ohrenschmaus. Oberflächlich gesehen. Doch in einem echten Theater, mit der entsprechenden Akustik, auf rotem Samt sitzend, schmachtend den Tönen auf der reich geschmückten Bühne, in einem opulenten Bühnenbild – das ist dann doch eine ganz andere Liga. Eine Liga darüber!

So geht es auch Ulrike Rauh. Die Autorin ist eine Kunstgenießerin, eine Opernliebhaberin, und sie liebt das Theater. Und die Theater dieser Welt. Ihre Spaziergänge zwischen Lüstern und Büsten berühmter Künstler, zwischen Stuhlreihen und Tanzreigen sind ein ziemlich großer  Appetitmacher.

Wie immer in ihren Reiseberichten hat sie sich akribisch auf ihre Geschichten und Anekdoten vorbereitet. Und so wird ein Besuch in der Mailänder Scala zu einer Geschichtsstunde mit den Augen einer wachen Autorin, die sich ihre Neugier bewahrt hat. Denn die Geschichte eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt steckt voller Überraschungen. Und die Liste derer, die die Bühne ausfüllten und vom Dirigentenpult die Zuschauermassen begeisterten ist endlos. Und alle so elegant. Kaum vorstellbar, dass hier einst geredet, geschmaust und gefeiert wurde während auf der Bühne Höchstleistungen vollbracht wurden.

Wer sich einmal eine Führung im Teatro San Carlo in Neapel gegönnt hat – der Eintritt ist im Vergleich zur Pracht in dem Haus mit sechs Etagen, in denen die Logen untergebracht sind, lächerlich preiswert – weiß warum die Autorin so fasziniert von der Architektur der Schallhallen ist. Wie auf rohen Eiern möchte man sich fortbewegen, um bloß nichts mit Abnutzungserscheinungen zu beschädigen. Ein Blick hinter verschlossene Türen lohnt immer. Und Ulrike Rauh ist sehr neugierig…

Von Bayreuth bis Santiago de Chile, vom berühmten Teatro Amazons in Manaus (Kenner wissen um die charakterstarke Darstellung von Klaus Kinski in „Fitzcaraldo“, in dem dieses Theater eine zentrale Rolle spielt) bis in die Gänge des Theaters in der Josefstadt in Wien, von der Arena in Verona bis in die wuchtigen Mauern der Semperoper reist Ulrike Rauh mit dem Leser mit schwergewichtigen Melodien um die Welt. Dass sie dabei leichtfüßig durch Jahrhunderte schlendert, ist das große Verdienst ihrer Leidenschaft. Auf alle Fälle bereichert dieses Buch jeden Besuch in Städten, die ein Konzerthaus oder eine Oper ihr eigen nennen dürfen.

Kathedralen

Kathedralen – so erhaben stehen sie fest im Leben, bieten ihre Pracht feil. Voller Ehrfurcht betritt man sie und staunt über das Übermaß an Eleganz. Auch wer schon längst vom Glauben abgefallen ist, kann sich der Anziehungskraft nicht entziehen. Das muss so sein, denn die Besucherströme in die Gotteshäuser mit Museumscharme reißen nicht ab.

Apropos vom Glauben abgefallen. Lía ist vom Glauben abgefallen. Das gesteht sie sich ein – nicht einfach in einer Familie, in der der Glaube das höchste Gut ist. Ihre Schwester Ana ist vor vielen Jahren ums Leben gekommen. Das ist lange her. Inzwischen ist der Kontakt zur Familie abgerissen. Lía hat ihre Buchhandlung – das ist ihre neue Religion. Bis eines Tages Carmen vor ihr steht. Carmen, ihre Schwester!

Die alten Erinnerungen, der Streit von damals – alles wird wieder ans Tageslicht gespült, in eine Realität, die Lía längst verlassen zu haben glaubte. Der Verlust Anas – damals – und das damit verloren gegangene Vertrauen in Gott haben einen tiefen Graben zwischen den Schwestern entstehen lassen. Und im ersten Moment scheint es so als ob keine der beiden auch nur ansatzweise sich als Brückenbauer betätigen will.

Überhaupt überstrahlt „Kathedralen“ ein immer währender Schein die Szenerie. Denn die ganze Familie schwebt im allgemeinen Kanon der Religiosität auf einer undurchsichtigen Wolke durchs Leben. Nur Lía konnte bisher von dieser Wolke springen.

Dreißig Jahre ist es nun her, dass Ana ihrer Familie entrissen wurde. Jedes Familienmitglied hat seine eigene Sicht auf dieses tragische Ereignis, das nicht einmal Gott verhindern konnte. Claudia Piñeiro pustet noch einmal richtig in die Familiengeschichte rein und entfacht einen Sturm, der allen Beteiligten die Frisur gehörig durcheinanderwirbelt. Denn hier liegt mehr im Argen als man sich selbst eingestehen will. Erst ein Außenstehender, ein unerwartete Gast scheint die Fähigkeit zu besitzen den Sturm zu zähmen. Doch danach sieht es zunächst gar nicht aus…

Einmal mehr setzt die argentinische Schriftstellerin Claudia Piñeiro einen Meilenstein in die reichhaltige argentinische Literatur. Ein Monument, das unumstößlich ist wie eine Kathedrale. Hier und da blättert der Putz ab, was aber dem Gesamtbild nicht im Geringsten schadet. Oft sieht man in Kathedralen Darstellungen aus der Bibelgeschichte. Nicht selten blutig. In diesem Roman ist verflossenes Blut der Grund allen Übels. Einfach aufwischen ist nicht. Hier muss ein professioneller Tatortreiniger ran! Und das ist Claudia Piñeiro! Und zwar in Höchstform!

Kaffeehäuser erzählen

 

Wenn diese Wände reden könnten, oft gehört nie so richtig ernst gemeint. Und wenn wir bei diesem Sprachbild bleiben, so hat Ulrike Rauh die spitzesten Ohren der Welt. Sie reiste von Chile bis zum Vesuv, von der Adria bis zur südamerikanischen Pazifikküste. Und hier und da rastete sie in einem Kaffeehaus und lauschte den Geschichten, die die Wände ihr erzählten. Sie ließ sich inspirieren, setzte sich in die Bücherregale der Cafés, verschwand nicht hinter, sondern im Vorhang und beobachtete. Und diese Erkundungstouren feiern in diesem außergewöhnlichen Buch ihre Zusammenkunft.

Wien ohne Kaffeehauskultur ist wie Paris ohne den Eiffelturm, Florenz ohne die Renaissance oder Venedig ohne das Wasser – einfach nicht einmal die Hälfte wert. Ulrike Rauh hat nicht alle Kaffeehäuser besucht. Aber, die sie besucht hat, bekommen durch ihre Geschichten noch einmal einen besonderen Touch von Exklusivität. Im Café Central in Wien beobachtet sie eine Dame, die hier ihr tägliches Ritual vollzieht. Sie liest wie einst Stefan Zweig, der die riesige Auswahl an Magazinen so mochte. Nach dem ersten Kaffee – es gibt soooo viele Arten der Zubereitung, vom Einspänner über den Verlängerten, dem Fiaker …. – gibt’s Kuchen, Malakofftorte und den zweiten Kaffee. Die Dame ist Schriftstellerin, das verbindet Beobachtete und Beobachterin.

Mal erzählen die eleganten, schweren Vorhänge vom Geschehen an den Tischen, mal sitzt die Erzählerin zwischen Bücherrücken und schaut neugierig auf die Szenerie. Histörchen gibt es allemal zu erzählen. Ulrike Rauh liebt es den Dingen auf den Grund zu gehen. Und so verwandelt sich die manchmal melancholische Erzählweise in eine Exkursion in längst vergangene Zeiten. Wer hat wann wen bedient? Wessen Bilder hängen (immer noch) an den Wänden? Welcher Freigeist konnte und kann sich hier den Weg bahnen?

Berühmte Cafés wie das Florian in Venedig bekommen dieselbe Aufmerksamkeit wie scheinbar in den Hintergrund getretene Wohltempel wie das Hawelka in Wien, dessen Ruf nur leiser als der des Sacher oder Mozart erscheint. Hier trinkt man nicht einfach nur eine Mischung aus gemahlenen, zuvor erhitzten Bohnen, die im gekochten HaZweiOh kredenzt werden. Hier zelebriert man das Leben. Hier lässt man die Seele baumeln. Hier ist man Mensch.

Der langsame Tod der Luciana B.

Wenn man sich zehn Jahre nicht gesehen hat, freut man sich auf das Wiedersehen, wenn man sich so gemocht hat wie der Erzähler in diesem Buch und seine ehemalige Assistentin Luciana. Sie half ihm als er wegen einer Handverletzung nicht selbst schreiben konnte. Der damals schon erfolgreiche Autor Kloster war verreist, und so hatte Luciana bei ihm einen Überbrückungsjob bis Kloster aus dem Urlaub zurückkehrte. Doch was nun in seiner Tür steht hat nichts mehr mit der Luciana von vor zehn Jahren zu tun. Die Lebensfreude ist nicht nur aus ihrem Gesicht, sondern aus ihrem gesamten Körper gewichen. Das hat einen Grund: Kloster!

Er hat ihr Leben zerstört und macht sich nun daran Luciana B. endgültig zu töten. Was war geschehen? Als Kloster aus dem Urlaub mit Frau und Tochter zurückkehrte, machte er ihr mehr als nur Avancen. Er bedrängte sie. Sie wies ihn ab. Verklagte ihn. Bekam Recht und eine „Entschädigung“. Zwischenzeitlich war Pauli, Klosters Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er war ein gebrochener Mann. Doch erfolgreich wie nie zuvor. Er stand auf einmal in der Öffentlichkeit, genoss es scheinbar im Rampenlicht zu stehen. So kannte ihn Luciana nicht. Und weiter? Lucianas Freund – ertrunken. Während des Urlaubs am Meer. Dort hat sie auch Kloster wieder gesehen. Zufall? Lucianas Eltern – an einer Pilzvergiftung gestorben. Sie waren erfahrene Pilzsammler. Dass ausgerechnet ihnen ein Grüner Knollenblätterpilz ins Essen gerät, war eher unwahrscheinlich. Am Tag der Beerdigung sah Luciana ihn – Kloster –  wieder. Wahrscheinlich hat er nur das Grab seiner Tochter besucht.

Bis hierhin ist alles klar. Kloster hat irgendwie seine Finger im Spiel. Auch an dem Mord an Lucianas Bruder, der von einem geflohenen Lebenslänglichen bestialisch der Garaus gemacht wurde. Luciana bittet nun ihren alten Freund, den Schriftstellerkollegen des so berühmten Klosters, dem Erzähler ihr zu helfen. Das tut er gern. Offen und ehrlich tritt er Kloster gegenüber. Auffallend gut informiert ist dieser Kloster, muss er zugeben. Er durchschaut das Spiel. Und er hat seine eigene Version darüber, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist …

Was sich anfänglich nach einem glasklaren Fall anlässt, wandelt sich abrupt zu einem Vexierspiel, in dem der Leser aufpassen muss nicht dem Falschen auf den Leim zu gehen.  Nach und nach – ganz langsam, so wie es der Titel verspricht – wird jeder der beteiligten unweigerlich zum Verdächtigen. Jedes Wort wird als Ausrede wahrgenommen, so dass man schließlich kaum noch jemandem etwas glauben kann. Und genau das will Guillermo Martinéz! Und ganz ehrlich: So will es auch der Leser!

Die schönsten Landschaften unserer Erde

Um es gleich vorwegzunehmen: Bei so mancher Abbildung kommt man ins Zweifeln. Ist das echt? Gibt es das wirklich? Das kann doch nicht wahr sein, oder? Und die Antwort lautet stets: Ja, doch es ist so. Alles echt!

Wenn man aus dem Fenster schaut und das Grau des Alltags sieht, und dann ein wenig in diesem Prachtband herumblättert, kehrt im Handumdrehen die Hoffnung zurück. Mitten in der Namib-Wüste steht ein Kameldornbaum. Auf den ersten Blick denkt man an die letzten Stunden dieses Baumes. Die Wurzeln treten aus dem kargen Boden hervor, so als ob der Baum jeden Moment abzuheben droht. Keine Chance auf Wasser. Über ihm der sternenklare Himmel. Das, was wir so sorglos Zivilisation nennen, ist Lichtjahre entfernt. Und dennoch verströmt diese Ödnis eine Schönheit, die den Betrachter gefangen nimmt.

Wenn das Laub im Indian Summer das Auge vor die Herausforderung stellt, die Farben einzuordnen, sind kleine Details oft von Belang. Vor den Stämmen eines durch und durch grauen Waldes scheinen die roten Blätter eines Laubbaumes wie eine Verhöhnung der Tristesse.

Eine Luftaufnahme aus dem Muddus National Park in Schweden führt erst einmal in die Irre. Wolken, Wald, karges Gebirge. Bei genauerem Hinsehen realisiert man, dass der Berg vom Wasser umgeben ist, auf dessen glatter Oberfläche sich die Wolken am Himmel spiegeln.

Nur drei Beispiele für die Vielfalt der ausgewählten Bilder in diesem Buch. Jedes Bild, jede Seite, oft Doppelseite, ist eine Reise in die Schönheit der Natur. Nicht oft, sondern immer wird man daran erinnert, was es damit auf sich hat, wenn von der Schönheit von Mutter Natur die Rede ist. Und warum wir sie beschützen müssen.

Die Fotografen, die ihre best shots für dieses National Geographic Buch zur Verfügung gestellt haben, tragen immer noch ein Lächeln im Gesicht. Sie haben etwas gesehen, das viele nur aus diesem Buch kennen werden. Es sind nicht einfach nur Momente, die zum richtigen Zeitpunkt festgehalten wurden. Es sind Abbildungen vom oberen Ende der Einzigartigkeit in der Natur. Man fühlt sich privilegiert sich in diese Bilder hineinziehen zu lassen. Einmal um den Erdball und dabei nur das Beste vor die Augen zu bekommen. Oscar Wilde wäre es gerade gut genug gewesen. Man möchte nicht aufhören in diesem Buch zu blättern!

In 80 Pflanzen um die Welt

Da muss man erstmal drüber nachdenken, was man von so einem Buch erwarten soll. Länderspezifische Pflanzen. Was gibt es da alles? Einen Spaghettibaum in Italien? Das war mal ein Erster-April-Scherz im britischen Fernsehen. Auf die Artischocke kommt man erst bei sehr langem Nachdenken.

Die Mistel und Frankreich in Verbindung zu bringen, gelingt vor allem Asterix-Fans. Miraculix kraxelt in die Wipfeln der Bäume mit seiner kleinen Sichel, um die Zutaten für seinen Zaubertrank zu besorgen. Ist man erstmal im Nachdenkerausch, ist es auch nicht mehr so weit bis zum Kaffeestrauch in Äthiopien. So einen Strauch haben dann doch aber im Verhältnis zu den Kaffeegenießern Wenige gesehen. Und noch weniger weiß man, dass seine Blätter den Schatten bevorzugen. Die Früchte sind eine Delikatesse für Affen und Vögel. Heute kaum vorstellbar ist die Tatsache, dass vor rund vierhundert Jahren – inzwischen wusste man wie man aus der Frucht ein köstliches Getränk bereitet – Kaffee von der katholischen Kirche als Teufelsdroge verschrien war. Papst Clemens VIII. „opferte sich“ und probierte … und siehe da: Es war gut! Nix mehr Verteufelung!

Schon mal versucht eine üppig wachsende Agave von A nach B zu transportieren ohne sich dabei die Haut vielschichtig aufzureißen? Mexikaner können sicher darüber nur lachen. Denn dort ist diese Kakteenart heimisch. Und sicher weiß man auch wie man damit umgeht. Wahrscheinlich lässt man sie an Ort und Stelle und freut sich an ihrem Wachstum und dem überwältigenden Formenspiel.

Jonathan Dori lädt die Botanikfreunde ein sich mit ihm auf eine vergnügliche Reise durch die Flora der Welt zu machen. Ein Hauch Muskat in Indonesien. Vielleicht sogar an Fuchsschwanzblättern? Dazu müsste man aber über den Pazifik gen Osten reisen. Bis nach Peru. Denn dort gedeiht diese widerstandsfähige Prachtpflanze. Nicht nur hübsch anzusehen – mittlerweile auch in unseren Gefilden, Fuchsschwanz ist halt widerstands- und anpassungsfähig – sondern auch als Nutzpflanze einsetzbar.

Dieses Buch macht Appetit und schärft den Blick für die Pflanzen links rechts, über die man sonst eher im besten Fall den Blick nur streifen lässt. Die Abbildungen, diese wunderbar poetischen Zeichnungen von Lucille Clerc sind ein andauernder Frühlingskick, der niemals vergeht.

Wer nicht?

Claudia Piñeiros Werk ist wie ein Sinfonieorchester und ihre Bücher sind wahre Sinfonien der Emotionen. Ein im Bauch grummelnder Bass wie in „Elena weiß Bescheid“. Eine keck trällernde Flöte wie „Betty Boop“ so zauberhaft nahbar macht. Dramatische Hörner, die das Tun und Lassen der „Donnerstagswitwen“ untermalt. Oder verspielte Violinen, die dem Liebeswirrwarr in „Ganz die Deine“ das musikalische Bett bereitet. Jeder Satz ein Paukenschlag! Nun erweitert Claudia Piñeiro ihr Register um den Tango des echten Lebens.

Julián ist seit einiger Zeit von Silvia geschieden. Die Kinder Tomás und Anita sind bei ihrer Mutter geblieben. Ein einschneidendes Ereignis, das Julián bis heute nicht verarbeitet hat. In seiner Lethargie hat der Makler sogar vergessen, dass er sich eine neue Wohnung besorgen muss. Die Zeit drängt, denn sein Sohn hat Geburtstag und Sonia hat Julián erlaubt, dass die Kinder bei ihm übernachten dürfen. Es gibt keine Straße, die „bei ihm“ bedeutet. Aber es gibt den Schlüsselkasten im Maklerbüro.

Auch George Mac Laughlin ist größtenteils Single in Buenos Aires. Als Generaldirektor eines Getreidekonzerns ist die meiste Zeit des Jahres hier, einen immer geringeren Teil im heimatlichen London. Als ihn die Nachricht von der Hochzeit seines Sohnes ereilt, wirbelt das allerlei Staub aus der Vergangenheit auf. Denn Carlos, den George immer noch Charlie nennt, was Carlos maßlos ärgert, ist nicht gut auf seinen Vater zu sprechen. Das Ja-Wort in der Kirche, der Familienersatz im Zuschauerraum geben ihm den Rest. Zum Glück hat er noch eine Wohnung in der Stadt. Die wird ihm Ruhe geben. Doch „bei ihm“ findet gerade eine Geburtstagsparty statt…

Wie ordentlich ihr Fabián doch war. Der Koffer so akkurat gepackt wie eh und je. Alles an seinem Platz, faltenfreie Eleganz. Doch in die Freude an das Vertraute mischt sich ein beklemmendes Gefühl. Denn Fabián ist tot. Im Flugzeug gestorben. Alle Wiederbelebungsversuche waren zwecklos. Und nun stehen vor der Witwe die zwei Koffer ihres Mannes. Abgereist ist er allerdings nur mit einem. Das Zahlenschloss des ersten Koffers lässt sich mühelos öffnen. Der Code ist die Hausnummer, in der sie lange zusammen glücklich lebten. Der Andere hat einen anderen Code. Der Adressanhänger gibt Aufschluss. Genauso penibel gepackt wie der Erste. Es ist Fabiáns Koffer. Doch der gehört zu einer Anderen.

Die hohe Kunst Zeilen epische Geschichten zu erzählen gelingt Claudia Piñeiro mit Bravour. Sie schaut durchs Schlüsselloch ihrer Nachbarn, vernimmt Geräusche und lässt die Phantasie durch ihre Finger strömen. Die Figuren erscheinen nicht wie starre Marionetten, die man an Fäden durchs Leben straucheln lässt. Sie sind echt. Haben ihre eigenen Willen und ein eben solchen starken Charakter. Dass man ab und zu mal auf die Nase fällt, gehört dazu. Sich aufzurappeln, den Staub des Versagens abzuschütteln – dazu gehört Mut und Durchsetzungskraft. Starke Geschichten einer starken Autorin. Wer nicht „Wer nicht“ liest, kommt nicht in den Genuss Besonderes erlebt zu haben.