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Jean

Teil Zwei der Trilogie von Frédéric Brun über seine Eltern. Und wer „Perla“ (seine Mutter) gelesen hat und nun den gleichen Tenor erwartet, wird überrascht sein. Denn Perla hat Auschwitz überlebt „dank“ Adolf Mengele ohne ihm auch nur den Hauch von Dankbarkeit schuldig zu sein. Vater Jean sind viele dankbar, und das zurecht und ein Leben lang. Jean Dréjac ist jedem Freund des französischen Chansons ein Begriff. Er ist eine Legende! Er sang, schauspielerte, und textete für alle, die den Chanson zu dem machten, was er war, ist und sein wird. Mit Edith Piaf war er eine Zeit lang liiert. Gilbert Becaud überschlug sich vor Freude über die Ehrung seines Freundes Dréjac. Georges Brassens, Mireille Matthieu, Dalida waren mehr als nur dankbare Abnehmer seiner Kunst.

In Athen erfährt Frédéric Brun vom Tod seines Vaters. Verzweifelt versucht er einen Platz im nächsten Flieger nach Frankreich zu bekommen. Im Fernsehen muss er tatenlos zusehen, wie seelenlose Nachrichten vom Tode des großen Chansoniers verlesen werden.

Er kann es besser! Er hat Fragmente einer Autobiographie. Und er vollendet, was dem Vater nicht gelungen ist. „Jean“ ist eine Liebeserklärung an den berühmten Vater. Normalerweise enden solche Sätze mit „.., der so selten für ihn da war“. Doch diese Familie ist nicht normal. Und das im positiven Sinne! Der Erfolg als Sänger und Texter führten Jean Dréjac (ein Pseudonym aus den drei Vornamen) rund um die Welt. Oft auch hinter den eisernen Vorhang, lange bevor die Rostflecken rissig wurden.

Vater Jean war immer da. Und der Sohnemann auch. Bei Tennisturnieren, bei Konzerten, bei Auftritten, bei Tourneen. Der vermeintlich golden Löffel im Mund war niemals mehr als ein Türöffner. Die Familie war sich ihrer Sonderstellung bewusst. Diese auszunutzen, lag allen mehr als fern. Deswegen ist diese Biographie über den berühmten Vater so umfassend liebens- und lesenswert, dass es keine Ausreden gibt.

Wer „Perla“ liebte, wird „Jean“ verschlingen. Und sich tierisch auf den dritten Teil freuen.

Balkon mit Aussicht

Muss man noch von Paris schwärmen? JA!!! Immer wieder und wieder. Es gibt unzählige Bücher, in denen die Liebe zur Stadt der Liebe eindrucksvoll zu Papier gebracht wurde. Und jetzt kommt noch eines hinzu. Jedoch keine gewöhnliche Lobhudelei mit den „besten Tipps“ für dies und das. Sondern eine Liebeserklärung an eine Stadt, in der die Autorin nicht nur viele Jahre lebte, sondern eine Stadt, die sie aufgesogen hat und die sie aufgezogen hat.

Für Brigitte Schubert-Oustry war Paris ein halbes Jahrhundert nicht nur Obdach, es war ihr Leben. Sie ist deswegen und wegen ihrer unnachahmlich berührenden Sprache die ideale Reisebegleiterin durch die Stadt an der Seine. Als Neuling sollte man dieses Buch als Zweit-, Parallel- oder Zusatzlektüre im Gepäck haben. Denn Brigitte Schubert-Oustry ist keine typische Zeigetante, die nach Links und Rechts verweist, um der hinterher trabenden Masse so viel wie möglich zu zeigen, sie steigt mit dem Leser ins Herz der Stadt.

So nachdrücklich die meisten Urlaubserinnerungen sind, so austauschbar sind sie in den meisten Fällen. Da die Autorin hier in Paris jedoch nicht ihren Urlaub verbrachte, sondern hier wirklich lebte, hinkt der Vergleich mit den meisten Reiseimpressionen. Eine echte Madame Concierge erlebt man nicht als Touri, der mit der Kamera um den Hals baumelnd dem nächsten einzigartigen Motiv hinterherjagt, und dabei die wahre Schönheit der Stadt übersieht. Das sind die wahren Originale. Und sie sind eine aussterbende Spezies. Concierge sein bedeutet alles (!) zu wissen, jeden zu kennen… und zwar bis ins kleinste Detail. Ohne dabei natürlich mit dem Wissen hausieren zu gehen oder die entsprechende Person damit zu behelligen. An ihr, an ihm kommt niemand vorbei. Sie sind die gute Seele, aber auch der schärfste Wachhund der Stadt. Und Brigitte Schubert-Oustry erzählt ausgiebig von ihren Begegnungen mit diesem Menschenschlag.

Genau wie vom immer seltener werdenden Hausfest. Das ist eigentlich keine Pariser Erfindung oder gar ein wiederkehrendes Fest. Findet es allerdings einmal statt, und man ist eingeladen (als Touri fast unmöglich) dann erlebt man Paris wie es wirklich ist. Man kann natürlich auch dieses Buch lesen… Das ist fast so echt wie das Hausfest selbst.

Mit und in diesem Buch schaut man nicht verstohlen durchs Schlüsselloch – die Autorin öffnet bereitwillig jede noch so verschlossen scheinende Tür mit einem Handstreich. Man fächert sich den Duft der Stadt zu, atmet tief ein und ist im Handumdrehen mitten in einer der aufregendsten Städte der Welt. Es gibt sie noch, die Geheimnisse von Paris. Man muss sie ab sofort nicht einmal mehr suchen. Sie liegen ordentlich sortiert vor einem.

Istrien, Kvarner Bucht

Istrien verströmt nicht erst seit dem Ende des Eisernen Vorhangs einen Hauch von Süden, Abenteuer und ehrlicher Erholung. Schon vor Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten wusste man, dass hier Urlaub urig, nachhallend und eindrucksvoll sein kann. Eingerahmt vom Golf von Triest und dem Golf von Venedig – das allein sind schon wohlklingende Namen – und östlich der Kvarner Bucht liegt ein Fleckchen Frieden, der immer noch Geheimnis in sich birgt. Und sie sich gern individuell entreißen lässt. Istrien ist nichts – das interlinguale Wortspiel muss sein – ist eine Fehlinterpretation des Namens. Istout würde es eher treffen… Aber lassen wir die sprachlichen Übergriffigkeiten.

Liegt der Fokus für die nächste Reise erst einmal in der nördlichen Adria, kann die Antwort auf die Frage nach dem Wohin nur mit Istrien beantwortet werden. Wenn man die geballte Ladung Urlaub haben möchte. Baden? Ein dickeres Ja kann es kaum geben. Wandern, Klettern, per pedes die Welt erkunden? Der dicke Zwilling vom Bade-Ja macht sich mit einem fetten Grinsen vor dem fragenden Gesicht des Fragenstellers breit. Leckeres Essen? Die Mutter der beiden genannten Jas baut sich drohend vor einem auf und fragt, ob das wirklich ernst gemeint sei. Zuhause beim Kroaten sich den Bauch voll schlagen und dann nicht wissen, dass es hier das reichhaltigste Essen links und rechts der Adria gibt?! Was braucht man noch im Urlaub? Ruhe. Auch wenn man manchmal ein bisschen laufen/fahren muss, auch die findet man ohne Umschweife in Istrien.

Nur vier Fragen, die allesamt mit Ja beantwortet werden. Jetzt muss man nur noch wissen, wo genau, was genau, wann genau zu erkunden ist. Und hier kommt der Reisebuchautor Matthias Jacob ins Spiel.

Sein Reiseband ist das Faustpfand der Erinnerungen. Der Detailreichtum seiner Ausführungen ist immens. Wie der Abschnitt über Grožnjan. Ein kleines Städtchen, das komplett befreit ist vom Autolärm und –gestank. Seit fast einem Jahrtausend kennt man den Ort. Demzufolge urig ist das Ambiente. Und modern zugleich, wenn man durch die zahlreichen Galerien schlendert. Fast schon verschwenderisch mutet es an, wenn man liest, dass es hier 42 Galerien gibt … bei ca. 200 Einwohnern! Da bekommt der Begriff familienfreundlich eine ganz andere Bedeutung. Doch auch für Badenixen und Klippenspringer hat Matthais Jacob ein Füllhorn der Austobemöglichkeiten im petto. Alle geheimen Badestellen hier aufzuzählen wäre eine Metusalemaufgabe.

Was vor allem auffällt an diesem Buch, ist die durchdachet Struktur des Reisebandes. Kurze, knackige Absätze, alles, was wichtig ist, wird farbig hervorgehoben. Vor- und Zurückblättern wird hier zum dauerhaften Aha-Erlebnis. Die zahlreichen Abbildungen und Kartenausschnitte machen die Entscheidung für den einen oder anderen Ausflug nehmen einem sicher nicht die Entscheidung ab, aber sie vereinfachen die Durchführung. Istrien wird mit diesem Band zu einem astreinen Urlaubserlebnis!

Schlösser der Loire

Es ist schon ein besonderes Erlebnis in der Nacht an der Loire entlang zu fahren. Ringsum nur die ungetrübte Dunkelheit. In der Ferne sind kleine Lichtpunkte zu sehen. Das sind sie – die Schlösser der Loire. Funkelnd wie Edelsteine in der Nacht.

Des Tags sind sie nicht minder beeindruckend. Doch wo anfangen zwischen Tours und Angers? Wie kommt man da hin? Was darf man unter gar keinen Umständen verpassen? Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen sie alle. Darüber wird nicht diskutiert! Heike Bentheimer hat den einen, ultimativen Reiseband zu diesem einzigartigen Ensemble royaler Pracht geschrieben. Über 450 Seiten lang. Und jede Seite ein Märchen, das Wirklichkeit werden kann. Eine Tour der Impressionen, die sich tief ins Gedächtnis einbrennen werden. Und wer auf die motorisierten vier Räder gern verzichten möchte … kein Problem: Die Loire ist Radwanderland. Berge sucht man hier vergebens, was die Alterspanne der Pedalisten sehr breit fassen lässt. Und wer will, kann sich sogar das Gepäck von A nach B, von B nach C etc. transportieren lassen. Hier ist wirklich alles möglich.

Ob nun zu Fuß, auf zwei schmalen oder vier fetten Rädern oder gar in der Luft – die Reise an den Ufern der Loire wird zum Sinnesrausch erster Klasse. An dieser Stelle wird nicht auf ein einzelnes Schloss eingegangen. Die Auswahl erschlägt den Leser schlichtweg. Denn nicht nur die großen Hallen einstiger Macht, sondern auch die kleineren, teils Lustschlösser genannten, „Behausungen“ sind mehr als nur eine Einkehr wert.

Architektonisch ist jedes ein Juwel. Mal muss man näher herantreten, mal erschließt sich die Pracht erst bei der Beschau der Details. Wer will kann ja mal die Türme und Türmchen oder die Anzahl der Fenster zählen – ein dicker Block ist ratsam.

Dieser Reiseband steht den Schlössern in nichts nach. Eine Schatztruhe voller Reichtümer, die man vielleicht so erwartet hat. Aber wenn man sie vor sich sieht, ist man trotzdem bafferstaunt. So soll es ja auch sein. Beeindruckend ist im Buch die nicht minder aufsehenerregende Fülle an Tipps rundherum und zwischen den Perlen der Loire. Fakt ist, dass eine Reise entlang der Loire mit zahlreichen Abstechern zu den Schlössern, den Gartenanlagen, den Parks, inklusive Abbiegen nach Links und Rechts, den lukullischen Ereignissen, den phänomenalen Eindrücken mehr als nur ein Fotoalbum füllen kann. Es wird eine Reise sein, die man nie mehr vergisst. Auch dank dieses Reisebandes.

Im Peloton

Das Peloton – für viel vielleicht das erste Fremdwort, das sie fehler- und akzentfrei aussprechen. Wie ein Wurm, der sich, um voranzukommen, zusammen- und auseinander zieht. Tempostöße, Erholungsphasen, der Inbegriff der Synchronität – mittendrin der harte Kampf ums Überleben.

Da rollen die Stars, ackern die Drohnen, schleppen die Wasserträger in ihren bunten Polyesteranzügen. Nur um am Ende des Tages völlig erschöpft sich den geschundenen Körper wieder in Form massieren zu lassen. Das muss man mögen. Und man muss es beherrschen im Pulk der Fahrer mitzufahren. Die kleinste Unaufmerksamkeit – und mit einem Knall ist alles vorbei.

Paul Fournel beschreibt in fünfundvierzig Kurzgeschichten von der Sucht im Peloton diese Sucht zu besiegen. Aus unterschiedlichen Perspektiven. Wenn der Wasserträger sich gerade beladen hat, geht vorn die Post ab. Was nun? Beutel in die Botanik und hinterherstiefeln. Am Kreisverkehr abbremsen, nicht zu stark, aber auch nicht zu wenig – Gefahren lauern überall.

Als Frau im Radrennsport ist man nicht die graue Maus, auch nicht die graue Eminenz – man (!) ist unterbezahlt. Daraus kann eine Wut erwachsen, die Siegergene ziemlich blass aussehen lassen kann.

Immer nah am Fahrer, am Protagonisten schleicht man sich als Leser in die fahrende Höhle des Löwen. Man rollt, man spurtet mit, wenn der Energieriegel zwischen den Zähnen klebt. Man erfrischt sich auf dem Gipfel eines schier endlosen Anstiegs zusammen mit seinen Leidensgenossen im Sattel, hat jedoch nichts als das Buch in der Hand. Den Lenker steuern andere. Das ist wohl die angenehmste Art des Radrennsports. Der Popo schmerzt nicht, vielmehr lacht das Herz über die erfrischenden Geschichten. Die kommen einem manchmal vor wie eine Abrechnung mit der eigenen Leidenschaft – man hätte ja auch Schach spielen können…

Trotz all der beschriebenen Strapazen – und es wird wirklich jeder Aspekt der Sucht, des Schmerzes, der Leidenschaft beleuchtet – kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man sich sofort nach dem Zuklappen des Buches auf den Drahtesel schwingen möchte. Und sei es nur, um den Zeilen ein zustimmendes Nicken zuzuwerfen.

Havel

Die Havel ist wohl der lebendigste Fluss, den es gibt. Es ist eine sanfte Geburt im Herzen Mecklenburgs. Dann schlängelt sich der Fluss wie ein lebhaftes Kind durch die Landschaft. Immer wieder stoppt es, bleibt stehen, schaut sich neugierig um. Dann staut es sich. Kleine Seen sind kaum noch als Havelfluss erkennbar. Dann wird es etwas stürmischer, die Havel kommt in die Pubertät. Steuert unvermeidlich auf die Partyhochburg Berlin zu. Tanzt und tobt sich aus. Doch niemals über die Stränge schlagend. Bis ihr irgendwann alles mal zu viel wird und sie trotzig gen Westen abdreht um dann gedankenverloren in der Elbe aufzugehen. Das nennt man dann wohl Lebenslauf…

Auf den 325 Kilometer Lebensweg erlebt man das, was manche nicht in tausend Jahren erleben werden. Niemals darf man außeracht lassen, dass dieser Fluss vielen bekannt ist. Das bedeutet, so ganz allein hat man besonders in den Sonnenmonaten niemals. Aber das bedeutet auch, dass Reisebücher wie dieses – immer auch schon die vierte Auflage – immer mehr an Bedeutung gewinnen. Denn nichts ist schlimmer als den wohl verdienten Urlaub mit anderen genießen zu müssen, die unter Erholung und Genuss etwas anderes verstehen als man selbst. Hat man Sinnesgenossen getroffen, ist es ein Leichtes bei der gemeinsamen Lektüre dieses Buches den nächsten Tage, den nächsten Trip auszukundschaften.

Dreihundert Seiten – also cirka eine Seite pro Kilometer Flusslauf – sind ausreichend, um der Havel die gebührende Ehre entgegenzubringen. Avus, Wannsee, Pfaueninsel – drei Namen, dreimal Sehnsuchtsorte. Unbestritten. Doch selbst in ihrer nächsten Umgebung gibt es Orte, die man suchen muss, die sich aber auch gern finden lassen. Wie der Friedhof der Namenlosen. Hier liegen Leute, deren Ende sich jäh vollzog, um die aber niemand trauern kann, weil sie keinen Namen tragen.

Die alte Industriestadt Brandenburg wird sicher jeden, der sie noch nie oder zum letzten Mal vor Jahren besuchte, in Erstaunen versetzen. Die rauchenden Schlote sind Vergangenheit. Heute regiert das Grün, liebliche Straßenzüge, romantische Uferpromenaden sind die Zierde dieser Stadt, die vor dreißig Jahren noch in einen Rauchkokon getaucht war. Der weitere Verlauf gen Westen wird wieder von einer unendlichen Weite geprägt. Obstwiesen, ertragreiche Felder, endlose Alleen und dicht bewachsene Ufer – das ist es, was man zu sehen bekommt, auch wenn man nicht direkt danach sucht.

Mit diesem Havel-Reiseband wird eine Kulturlandschaft erlebbar, die noch immer entdeckt werden kann. Man muss nicht mal so tief suchen. Eigentlich muss man nur in diesem Buch blättern…

Feldberger Seenlandschaft

Auch erfahrene Reisende überlegen erstmal ein bisschen. Feldberg – okay, Freiburg im Breisgau oder Taunus. Aber Seenlandschaft – gibt’s weder hier noch da. Wo soll das denn nun wieder sein? Kürzen wir es ab: Die Feldberger Seenlandschaft ist eine Region nördlich von Berlin, südlich von Neubrandenburg, im Westen begrenzt durch Neustrelitz, das östliche Ende markiert Prenzlau.

Das Besondere an dieser Region ist nicht nur ihre Verschwiegenheit, sondern das Paradoxon, dass man selbst ohne störende Hügel nicht immer weit schauen kann. Das liegt daran, dass man hier eine Landschaft vorfindet, die das Prädikat „ursprünglich“ wie selbstverständlich sich selbst umhängt. Urwald gibt es also nicht nur in fernen Ländern, sondern auch um die Ecke – je nachdem woher man kommt (die Freiburger Feldberger werden sicher nicht von „um die Ecke“ sprechen…). Doch egal wie lange die Anfahrt ist, jede Minute der sehnsuchtsvollen ist kostbar und nicht verschwendet.

Luzin – dieses fremd klingende Wort wird jedem in Erinnerung bleiben, der sich hier einmal – und sei es nur für Minuten – niedergelassen hat. Schmaler Luzin, um genau zu sein. Ein kleiner See, der durch den Bäk mit dem Carwitzer See verbunden ist. Wer gern paddelt, hat vielleicht schon davon gehört. Wer’s noch nicht kennt, will unbedingt dorthin. Und vielleicht auch paddeln. Für sie und alle anderen hat sich Mutter Natur eine Besonderheit ausgedacht. Auf kleinstem Raum kann man ungestört herumstromern, eine flügellahme Mühle besichtigen, bei Hans Fallada in die Küche schauen, auf Findlingen herumklettern, eine über 300 Jahre alte Kirche besuchen und himmlische Ruhe genießen. Wer es schneller mag, schafft das alles in ein paar Stunden – doch dann wäre der letzte Punkt, die Ruhe, futsch. Sich Zeit nehmen, alle Sinne öffnen – so erlebt man die Feldberger Seenlandschaft!

Immer wieder staunt man beim Lesen über die Fülle an Highlights, die man in dieser – für die meisten unbekannten – Gegend erleben kann. Immer wieder stolpert man auch schon beim Blättern über Anekdoten, frische Hintergrundinformationen und detailreiche Karten. Schlossgeschichten und Gartenlatein geben sich die Klinke in die Hand. Kulinarische Wegweiser und Gedenkorte sind hier so selbstverständlich wie der Drang dem Umblättern das Herumtreiben anzufügen.

Der Schrecken

Während auf dem Kontinent sich die gegenüberSTEHENDEN Armeen gegenseitig die Köpfe einschlagen, geschehen in Wales seltsame Dinge. Im Moor versinken Menschen, sie stürzen Klippen hinab, hinter Hecken leuchtet es unerklärlich und ein Schiff versinkt. Einfach so. Neben all den Schreckensnachrichten über den Krieg – eine Bezifferung ist zu dieser Zeit noch nicht nötig – beschäftigen diese unerklärlichen Fälle menschlicher Tragödien die Menschen um ein Vielfaches. Und sie regen die Phantasie an.

Denn wie sonst als mit dem unguten Trieben einer höheren Macht, eines perfiden Planes fremder Mächte, seltsamer Gestalten oder doch handfester Fieslinge sind diese Ereignisse zu erklären. Mit Z-Strahlen vielleicht, wie es der Doktor meint? Ist zumindest eine Theorie. Doch das hochgestochener Gebrabbel, seine nicht jedermann verständlichen und nicht enden wollenden Ausführungen lassen das alles schnell als Spinnerei abtun. Dennoch bleiben die Theorien haften. Vielleicht ist ja doch was dran?! Und außerdem wartet der Geschichtenonkel immer wieder mit neuen „Fakten“ auf.

Als Leser wird man von einem Sog erfasst, der einfach kein Entkommen zulässt. Ohne auch nur einen Gedanken an stumpfsinnige Spinnerei zu verschwenden, befindet man sich im Nu in einer wahrlich phantastischen Geschichte. Und zwar eine Geschichte aus einer Zeit, in der das viel geschundene und missbrauchte Genre Fantasy nun wirklich noch nicht einmal in der Wiege lag.

Arthur Machen (ausgesprochen Mecken, er war Waliser) lässt seinen Theorienaufsteller nicht verzweifeln an der Missachtung seine Theorien. Vielmehr treibt sie ihn an. Immer wieder ergeht er sich in historischen Ausflügen, die seine Gedanken stützen. Auch wenn es ab und an groteske Züge annimmt, wenn also beispielsweise deutsche Soldaten im Untergrund (im wahrsten Sinne des Wortes) agieren.

Dieses Buch und die dazugehörige Werksausgabe als Grundstein für Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen, würde weit über das Ziel hinausschießen, es nicht einmal ins Visier nehmen können. Arthur Machen verbreite mit „Der Schrecken“ keinen Schrecken. Dieses Buch ist ein anregendes Stück Literatur, das einen sofort gefangen nimmt. Ein ziviler Arrest, den man mit Freuden annimmt, wenn man sich der Wortgewalt einmal bewusst ist.

Italiens Provinzen und ihre Küche

Schon beim Erblicken des Titels weiß man, das kann nur gutgehen. Und dieses Vorurteil wird auf den folgenden 160 Seiten ein ums andere Mal bestätigt. Denn Italien und Essen – das passt wie Roma e storia und  Napoli e vesuvio. Dolce vita zwischen zwei Buchrücken, mit Gaumenfreuden alla nonna. Davon kann man nie genug bekommen!

Das hat sich auch Alice Vollenweider gedacht. Und räumt mit dem Vorurteil auf, dass nur Pasta und Pizza auf dem Stiefel auf die Teller kommen.

So unterschiedlich die Regionen sind, so unterschiedlich sind auch die kulinarischen Gepflogenheiten. Im Laufe der Zeit hat sich sogar der vino zur Pizza in eine gepflegte Hopfenkaltschale verwandelt. Ja, mittlerweile hat der Bierkonsum den Weinverzehr überholt. Das aber nur als Randnotiz für all diejenigen, die mit offen stehendem Mund und stotternder Stimme in bella italia sich entrüsten wollen, dass der Traubensaft so sehr nach zuhause ausschaut…

Liest man das Buch nun mit oder ohne Lätzchen? Das muss jeder für selbst entscheiden. Wer jedoch bei Minestra di fagioli (Triestiner Bohnensuppe), Conchiglie e broccoli (Teigmuscheln mit Broccoli) oder Torta di ricotta (muss man wohl nicht übersetzen) ein leichtes, freudiges Grummeln in der Magengegend verspürt, sollte vorsorgen.

Denn es geht weiter. Region für Region, vom Trentino bis Sizilien, von Venetien bis Sardinien reicht die Menükarte. Und auf ihr hinterlassen Kalb, Hühnerleber und Kaninchen einen leckeren Nachgeschmack.

Schon beim Lesen fällt auf, dass es zwischen den Regionen sehr wohl gewaltige Unterschiede gibt. Während im Norden Polenta auf den Tisch kommt, vertreten Makkaroni bei einer Blindverkostung eindeutig Sizilien.

Neben den Unterschieden verbinden aber auch – zwischen den Zeilen – die Gemeinsamkeiten die cucina italiana. Wo andernorts mächtig Butter verwendet wird, schwören italienische Köche auf Olivenöl. Die barbarische Verwendung von Butter – die ersten italienischen Einwanderer in Deutschland staunten nicht schlecht wegen der Brocken Butter in deutschen Tiegeln – wird hier niemals das reine Öl ersetzen.

Wer Italien liebt, tut dies auch wegen der kulinarischen Entdeckungen. Dieses Buch strotzt nicht nur wegen der einfühlsamen Beschreibungen der Küche Italiens, sondern punktet nicht zuletzt wegen der enormen Anzahl an leicht nachzukochenden Rezepten. Achtundachtzig an der Zahl – und jedes einzelne ein Stück Italien. Buon appetito!

Wir, Europa – Fest der Völker

Der Untertitel „Fest der Völker“ wurde auch schon missbraucht. Leni Riefenstahls Olympiafilm der Spiele 1936 wird bis heute ob der Optik unter diesem Titel gefeiert. Laurent Gaudé setzt mit seinem Stempel „Fest der Völker“ ein weiteres Denkmal für unseren Kontinent.

Auch wenn bei dem Namen Europa immer mehr sich die Hände vors Gesicht knallen, ist es doch die Idee, die hinter der Marke Europa steht, die im Vordergrund stehen sollte. Laurent Gaudé ist Europäer, nicht, weil es immer mal wieder en vogue ist ein bisschen verklausuliert und mysteriös wirkend sich hinter dem Kontinent Europa zu verstecken, sondern weil es im Herzen fühlt. Per Passport ist er Franzose. Auch Laurent Gaudé ist aufgefallen, dass das Prädikat Europa immer mehr an Glanz und Durchschlagkraft verliert. Woran liegt`s?

Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, und auch der Autor kann Teilen der Wahrheit nur nahe kommen. Er wählt den nicht einfachen Weg der Poesie sich seinem Kontinent und dessen Geschichte zu nähern. Ohne dabei auf unbedingten Reimzwang zu achten – sicherlich ein Dorn im Auge der Bürokraten europäischer Kommissionen, Dienste und Abteilungen. Doch es geht nicht um Normen und Richtlinien, sondern um die Wurzeln Europas.

Mazzoni, Garibaldi, Paris, Wien, Kohle, Prag, Berlin – die Liste der Schlagworte ließe sich fast unendlich fortsetzen. Mit nicht enden wollender Empathie fabuliert sich Laurent Gaudé durch die zerstückelte Geschichte Europas. Ein bisschen Vorkenntnisse sollte man schon mitbringen. Nicht Tiefgreifendes, aber Namen und Orte sollten im Groben schon vorhanden sein. Dann liest sich dieses Endlos-Gedicht-Ohne-Reimanspruch wie eine Kurzgeschichte, die man sich gern auch ein zweites, drittes … Mal durchliest. Oder man genießt „Wir, Europa“ häppchenweise. Wie einen guten Wein, der ja auch zur europäischen Geschichte der Blaue Reiter oder Crystal Palace.

Europa so gesehen, ist immer noch eine Erfolgsgeschichte. Leider sind die Erfolge nicht mehr so leicht zu vermarkten wie sie einmal waren. Den Umschwung einmal mehr hinzubekommen, darin sollte die Stärke Europas liegen.