Archiv für den Monat: Juli 2014

Dem Himmel nah

Dem Himmel nah

Anfang Juli 1990. Die Sonne brennt. Im Land, wo die Zitronen blühen kämpfen zweiundzwanzig Spieler gegen die Hitze und einen Goldpokal. Der eine Teil Deutschland schaut reisetechnisch gen Wesen (endlich!), ein kleine Gruppe aus dem westlichen Teil schaut sehnsuchtsvoll und teils auch bange gen Osten. Drei Bergsteiger machen sich auf den Weg den Pik Kommunism zu erklimmen. Qullai Samani heißt der wieder, nachdem die Sowjetunion und der gesamte Ostblock als abgeschlossenes Kapitel in den Geschichtsbüchern stehen.

Papiere besorgen von Ländern, die gerade im Entstehen sind bzw. gerade zerfallen, ist keine leichte Angelegenheit. Die Drei haben sich aufgeteilt. Jeder übernimmt eine andere Aufgabe. Das erste Abenteuer ist die Zugfahrt von Köln nach Moskau. Unterwegs müssen die Achsen gewechselt werden, weil es in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, dem Nachfolger der Sowjetunion, eine andere Spurbreite gibt. Endlich angekommen im Pamirgebirge werden die Drei gleich auf eine erste harte Bewährungsprobe gestellt: Eine Expedition hat den Aufstieg nicht überlebt. Im Camp mit Bergsteigern aus allerlei Nationen herrscht Betroffenheit. Im Gegensatz zu ihren Mitstreitern sind die drei Rheinländer Amateure. Ihre Ausrüstung ist ausreichend – sie alle sind wahrhaft keine Anfänger mehr – im Vergleich mit der Profiausrüstung der teils gesponserten Teams wirkt ihre Equipment aber eher simpel.

Nach Tagen der Eingewöhnung macht sich das Dreigestirn auf den Weg in die bisher unerklommenen Höhen über 7.000 Meter. Die Luft ist dünn, die Kraft lässt nach, der Wind nicht. Wer Bergsteiger ist, kennt die Strapazen, die von einem auf den anderen Moment auftreten können. Klaus Auen gibt in seinem Buch einen Einblick darin, was es heißt Bergsteiger zu sein. Die Beine werden schwer, der Kopf leer. Auch wenn es sich reimt (und das soll ja angeblich gut sein), ist es eine Tortur, die keiner jemals zuvor erlebt hat. Den Drachenfels hochsprinten (wie in der Vorbereitung) ist dagegen ein Klacks.

Wer Bergsteigergeschichten mag, wird hier vollends auf seine Kosten kommen. Wem die Bergwelt bisher ein Buch mit sieben Siegeln war, leckt Blut. Ausführlich und dennoch nicht ins Bedeutungslose abdriftend verleiht Klaus Auen seiner Faszination für die Berge Ausdruck. Der Leser fiebert mit. Schaffen die Drei den Aufstieg? Und wenn ja wie? Ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Montagsblues

Montagsblues

Dem Alltagstrott entfliehen. Den Montag mal anders beginnen als mit Müdigkeit und tendenzieller Depression. Ein echtes Abenteuer erleben. Melanie (die Erzählerin), Tina und Carmen sind frustriert. Nicht weil sie Singles sind. Das ist schon in Ordnung. Es ist der Alltag, der ihre Seele frisst. Kurzerhand – und das ist in diesem Roman wörtlich zu nehmen, planen sie einen Banküberfall, den sie auch gleich in die Tat umsetzen, flüchten aus der Tristesse ihres Lebens. Und schon sonnen sie sich unter der Sonne Thailands. Das ist doch kein Krimi! Nein ist es auch nicht. Es ist ein Antikrimi.

Jutta Brettschneider geht es nicht um wilde Schießereien und noch wildere Verfolgungsjagden. Ihr Augenmerk liegt auf der Zeit danach. Denn die kann man nicht planen. Wenn man zum Beispiel einen Anhalter mitnimmt, kann man nie wissen, ob der nicht vielleicht Drogen im Gitarrenkoffer versteckt. Oder wenn Polizisten mehr oder weniger zielstrebig auf einen zulaufen, kann man nie wissen, ob sie einfach nur einem die schweren Taschen tragen wollen. Bis zu ihrem ersten Ziel Bangkok erleben die Drei einige vermeintlich brenzlige Situationen.

Endlich angekommen in Bangkok meinen sich die drei Gangsterbräute im Paradies. Endlich mal einkaufen ohne Reue. Zwei Millionen Euro Beute, das reicht schon eine Weile. Auf Koh Samui – dort, wo sie ihr Leben nicht beschließen, dennoch genießen wollen – fühlen sie sich endlich angekommen. So wie einst: Job, Wohnung, Leben. Jetzt: Hotel, Wellness, Strand.

Doch der Reiz des Neuen speist sich eben auch nur aus dem Neuen, der neuen Umgebung. Wenn das Neue Alltag wird, ist es eben auch nur Alltag. Und der ist in Thailand vielleicht nicht ganz so grau, eher sonnengelb, dennoch nicht minder blass.

Jutta Brettschneider lässt ihre drei Heldinnen leiden. Zuerst auf ganz hohem Niveau. Sie können sich ihre lang gehegten Träume verwirklichen. Doch Konsum und scheinbarer Luxus sind nur ein Bruchteil des Glücks. Besonders, wenn einem andere dies nicht gönnen …

Lesereise Helsinki

Lesereise Helsinki

Finnland im Allgemeinen und Helsinki im Speziellen finden im Bewusstsein vieler nur während der Wintersaison der Sportler statt. Da ist es viel zu kalt. Und im Winter wird‘s nie richtig helle, im Sommer niemals dunkel. Vorurteileüber Vorurteile, die … naja … stimmen. Aber ist das ein Grund Helsinki und Finnland mit Nichtachtung zu strafen? Nein! Rasso Knoller erklärt in diesem erstklassigen Büchlein warum.

Natürlich ist es im Winter hier oben im Norden verdammt kalt. Aber in Zeiten von Funktionskleidung dürfte das ja wohl kein Problem sein, oder?! Und außerdem überleben die Finnen die lange kalte Jahreszeit ja auch. Sie rennen nicht vor der Kälte davon. Apropos Flucht. Im Sommer fliehen die Finnen. Nicht – wie jetzt vielleicht manch einer denkt in die Kälte, weil sie es halt gewöhnt sind – nein, sie fliehen aufs Land. Jedes Jahr im Sommer setzt eine organisierte Stadtflucht aus Helsinki ein. Jeder, der kann, setzt sich richtig Natur in Bewegung. Alle auf einmal! Stau? Na und! Der Finne an sich ist geduldig. In einer Runde zu schweigen, animiert die meisten von uns Mitteleuropäern zum anhaltlosen Plappern. In Finnland kennt man nur den Begriff des behaglichen Schweigens.

Rasso Knoller stöbert weiter in der Ostsee-Metropole. Er trifft auf Werktags-Abstinenzler, die dafür am Wochenende (mit Erlaubnis der Gattin!) so richtig ihrem über der Woche aufrecht erhaltenen Alkoholentzug entsagen. Ein geflügeltes Wort besagt, dass Alkohol ohne Rausch vergebens ist. Dabei bleibt der Autor immer neutral – er wertet dieses Gebaren nicht. Auch die verwunderten, ja manchmal sogar bedauernden, Blicke seiner Kollegen, weil jeden Tag zur Mittagszeit sich ein kleines Bier genehmigt, sind für ihn bald Normalität.

Ein Helsinki-Aufenthalt ohne Sauna ist nur die Hälfte wert. Das Wort Sauna ist das einzige, was weltweit mit dem kalten Landstrich in Verbindung gebracht wird. Ok, Nokia vielleicht noch. Die Finnen sind nicht verrückt nach Sauna, für sie ist elementarer Bestandteil des Alltags. Manche gehen soweit ihrer Passion Räder unterzuschnallen. Ob nun vier- oder zweirädrig. Sauniert wird immer und überall.

Rasso Knoller macht Appetit auf Finnland und Helsinki. Geschichte und Geschichten wechseln sich im fröhlichen Reigen ab. Wer Helsinki nur aus den Nachrichten kennt, und sich bisher kaum für unseren nordöstlichen Ostseeanrainer  interessiert hat, dem wird mit diesem kleinen Büchlein klar, dass er bisher was verpasst hat. Ein Appetitmacher auf Heiß und Kalt!