Zwei Fremde im Zug

Guy Haines sitzt im Zug von New York nach Texas. Er könnte ein zufriedener Mensch sein. Als Architekt mit Ambitionen wird er als der kommende Frank Lloyd Wright gesehen. Doch das Schicksal und die Gedankenflut in seinem Inneren hindern ihn die Welt durch eine rosarote Brille sehen zu können. Denn er ist auf dem Weg nach Metcalf, um sich mit Miriam zu treffen. Seiner Frau. Die will die Scheidung nicht mehr, die sie erst so sehr forciert hat. Er will die Scheidung, weil er mittlerweile in Anne die Frau fürs Leben gefunden hat. Der Gedanke an Miriam lässt seine Lebenskraft gefrieren.

Da setzt sich unaufgefordert ein Mann auf den gegenüberliegenden Platz. Nicht viel zu lesen in seinem Gesicht, denkt sich Guy. Und schon plappert der Neuankömmling im Abteil fröhlich drauf los. Hat wohl einen über den Durst getrunken. Die Plauderei nimmt Fahrt auf und plötzlich – keiner weiß so richtig wie es passieren konnte – wird der perfekte Mord geplant. Denn Charles Anthony Bruno hat das Gefühl, dass Guy viel besser dran wäre, wenn jemand Miriam dran bekommt. Sie ermordet. Und er selbst, also Bruno. Wäre doch auch viel besser dran, wenn es seinen verhassten Vater nicht mehr gäbe. Das Mittel der Wahl ist der Mord über Kreuz. Guy solle Samuel Bruno, Brunos Vater, den Garaus machen. Im Gegenzug würde Bruno Miriam ins Jenseits befördern. So einfach ist das. Wer solle die beiden verdächtigen? Sie haben doch kein Motiv. Und wer soll schon herausbekommen, dass die beiden sich im Zug kennengelernt haben und im Handumdrehen Morde planen? Das Risiko ist doch sehr überschaubar.

Guy lehnt natürlich ab. Obwohl ihm die Idee, dass Miriam in seinem Leben keine Rolle mehr spiele, eine gewisse Zufriedenheit bescheren würde. Aber mit dem Typen da? Ein Tunichtgut, ein Schmarotzer, der Mutti noch auf der Tasche liegt, der dem Vater nicht ein gutes Haar abgewinnen kann. Nee, dann lieber ein Leben mit Miriam. Das ist ja eh bald passé.

Guy trifft sich mit Miriam, Bruno in die hinterste Ecke des Kopfes verbannt. Sie ist so lieblich, voller Tatendrang, zielstrebig. Das ist zu viel für Guy. Er ist des Streitens müde. Okay, wenn sie will, dann nimmt er sie mit nach Florida zu seinem nächsten Projekt. Miriam ist schwanger – nicht von Guy. Sobald das Kind da ist, wird die Scheidung vollzogen, und alle gehen zufrieden ihrer Wege.

Für Bruno hingegen ist die Plauderei mehr als nur Spinnerei. Er nimmt das heft des Handelns in die Hand. Als Guy hört, dass Miriam erdrosselt wurde, schwant ihm Böses. Muss er jetzt seinen Teil der nicht getroffenen Abmachung einhalten? Was soll er Anne erzählen? Was den Polizisten, die alsbald bei ihm auf der Matte stehen? Und wird er Charly Bruno noch einmal begegnen?

Patricia Highsmith gelang es mit ihrem Debütroman mehr als nur eine Duftmarke zu setzen. Alfred Hitchcock kaufte aus dem Stand die Rechte an dem Stoff und verfilmte ihn kurz darauf, wenn auch in stark abgewandelter Form. Highsmith rückt nicht das Verbrechen an sich in den Vordergrund, sondern das, was es mit den Tätern macht. Das perfekte Verbrechen gibt es nicht. Nur für Außenstehende und Träumer.