Von B nach B. Begegnungen auf dem Radweg Deutsche Einheit

Alljährliche Herbstroutine im offiziellen Berlin: Anfang Oktober wird staatsragend der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Alle klopfen sich huldvoll auf die Schulter. Das ist im angemessenen Maßstab auch angebracht. Doch die Vereinigung eines Volkes, eines Landes, das vier Jahrzehnte in entgegengesetzte Richtungen marschiert ist bzw. marschiert wurde, passiert nicht von Heute auf Morgen. Und wer vor ’89 keine Beziehungen nach Drüben hatte, der hat auch heute noch sicher seine Schwierigkeiten damit.

Mina Esfandiari lebt in Berlin. Sie interessiert diese Vereinigung im besonderen Maße. Doch sie will nicht einfach nur wissen, wie man innerhalb von dreißig Jahren die Strecke von A nach B zurückgelegt hat, sie will wissen, was passiert ist in dieser Zeit … auf der Strecke von B nach B. Gemeint ist natürlich der politisch vorgeschriebene Weg von Bonn nach Berlin. Von der alten Bundeshauptstadt in die Neue, in die wieder erwachte Weltstadt Berlin. Zunächst muss sie aber die Zugstrecke in umgekehrter Richtung nehmen, die zufällig auch von B nach B führt.

In Bonn angekommen, nimmt sie ihr erstes Quartier in Besitz. Immer bei Menschen, die ihr für eine Nacht gern ein Couch zur Verfügung stellen. Immer am Puls der Zeit. Da kann es schon mal passieren, dass eine Gruppe aus Spanien und ein Weißrusse zur selben Zeit vor dem Bad stehen. Was aber viel faszinierender ist, sind die Begegnungen mit Menschen, die man so niemals bei der Google-Suche nach Deutscher Einheit finden würde. Sie haben ihre ureigene Sicht auf die Dinge und ihre Stadt. Kein glatt gebügeltes Eventprogramm, das findige Tourismus-Experten ausarbeiten ließen. Ein echtes Leben sucht Mina Esfandiari … und sie findet es dreißigfach. Denn ihre Reise hat dreißig Etappen. Mehr als die Tour de France. Und die sind auch „nur“ auf dem Fahrrad unterwegs.

So wie die Autorin und Fotografin. Marburg, Bad Hersfeld (hier musste man immer den Pass vorzeigen), Kassel, Einbeck, Quedlinburg, Dessau, Beelitz sind nur ein paar der Orte ihrer 1.280 Kilometer langen Tour von West nach Ost, von Damals ins Heute, oder einfach nur von B nach B.

Wer ihr auf Instagram folgt, hat schon so manches miterleben dürfen. Kleine Grüße aus der Proviantküche. Das Hauptmenü folgt nun in diesem exzellent gestalteten Buch, das – oh Wunder – nicht in Deutschland verlegt wurde, sondern im benachbarten Luxemburg! Die grafische Gestaltung und die mehr als aussagekräftigen Fotografien, die fast ausschließlich von Mina Esfandiari stammen, ergeben ein Zeitdokument, das noch lange Bestand haben wird. Keine rührseligen Geschichten von Trennung und Schmerz, sondern echtes Erstaunen darüber, was tatsächlich geschafft wurde. Offen gesagte Meinungen über das, was noch zu schaffen sein muss. Und vor allem echte Erlebnisse, die so nur einmal erlebt werden können. Den Radweg Deutsche Einheit wurde zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit ins Leben gerufen. Er verbindet bereits vorhandene Radwege und ermöglicht auf seinem Weg sieben Bundesländer zu entdecken. Und – Mina Esfandiari kann ein Buch darüber schreiben – man hat die Möglichkeit unendliche viele unterschiedliche Menschen kennenzulernen.