Venedig

Bei so viel Sehnsuchtsziel könnte man fast auf die Idee kommen, Winston Churchill hätte bei seiner berühmten Victory-Geste Werbung für die Lagunenstadt machen wollen. V für Venedig, das passt! Kaum eine andere Stadt kann auf so viele verträumte Gäste hoffen, wie die schwimmende Stadt, die auf Pfählen gebaut wurde, deren Ende öfter prophezeit wurde als das Ende der Pandemie, die sich allen Unkenrufen zum Trotz lebhafter Besucherströme gleichzeitig erfreut und zur Wehr setzt.

Venedig ist ein gespaltenes Verhältnis zu seiner eigenen Pracht. Ja, die Architektur und die Einzigartigkeit seiner Lage machen Venedig zu einem Juwel unter den Städten, weltweit. Andererseits möchte man angesichts der Unmengen an Besuchern und der gigantischen schwimmenden Hotels und ihrer alles bedrohenden Bugwellen in der Lagune sich fast schon wieder von dem Gedanken verabschieden die Stadt in Augenschein zu nehmen. Wer sich entscheidet die Stadt „sozialverträglich“ zu erkunden, hat mit den Reisebuchautoren Sabine Becht und Sven Talaron die einzige – beste – Wahl für das getroffen, was man machen muss, was man kann und – in Venedig gaaaanz wichtig – was man tunlichst unterlassen sollte. Wo in Deutschland die „Draußen-Nur-Kännchen“-Mentalität für Schmunzeln sorgt, herrscht in Venedig die „Draußen-Nur-Scheine“-Doktrin. Wer im Café draußen sitzt, kann das Kleingeld da lassen, wo es war, im Portemonnaie. Wer dagegen – wie es Commissario Brunetti immer wieder vorlebt seinen Koffeinschuss an der Bar einnimmt, kommt mit ein paar wenigen Münzen zurecht. Die Stadt erkundet man schließlich nicht im Sitzen, obwohl eine Gondelfahrt fast schon das komplette Venedig-Klischee erfüllt. Man erkundet sie zu Fuß, mit diesem Buch in der Hand.

Es hat bis zum Jahr 2021 gedauert bis es zur ersten Ausgabe des Reisebandes kam. Das liegt sicher auch daran, dass die Stadt willentlich Attraktionen in Superlativen zu bieten hat. Das muss man erst einmal zusammentragen und dann den Reiseband auch noch handlich gestalten. Entweder lässt man etwas weg oder kreiert ein Buch, das eher an eine goldverzierte mittelalterliche Bibel erinnert. Der goldene Mittelweg ist den Machern mit diesem Buch gelungen. Handlich, handhabbar und voller Überraschungen. Zwischen den bereits erwähnten Gondelfahrten (teuer und oft nicht besonders einfallsreich) bis hin zu Fingerzeigen, die man wirklich braucht, wenn man das erste Mal in Venedig ist. Beispiel gefällig? Wer aufmerksam die Stadt auf sich wirken lässt, erkennt oft kleine hölzerne Terrassen auf den Dächern der Stadt. Na klar, hier trocknet der Lagunenbewohner seine Wäsche, ist doch klar. Doch was haben diese mit dem Biondo veneziano zu tun? Nur ein Histörchen, das man den zahlreichen farbig unterlegten Kästen entnehmen kann, die einen Venedig-Aufenthalt nicht nur einzigartig, sondern nachhaltig machen.

Acht Touren haben die reisebucherfahrenen Autoren zusammengestellt. Immer mit Bedacht, ohne dabei die essenziellen Höhepunkte auszusparen. Und wenn es was zu sparen gibt, dann lassen die beiden den Leser gern daran teilhaben. Was genau? Steht alles im Buch, lässt sich auch dank der einleuchtenden Übersichtlichkeit leicht finden.

Kurzum: Venedig besuchen – ja. Venedig auf eigene Faust erkunden – ja. Venedig ohne dieses Buch entdecken – möglich, aber nur der halbe Spaß zum doppelten Preis.