Taba-taba

Schon zu Beginn der Corona-Pandemie kam man an einem Buch von Patrick Deville nicht vorbei: „Pest und Cholera“. Darin begab sich Deville auf biographische Spurensuche der beiden Forscher Alexandre Yersin, Pesterfroscher und Pestbekämpfer, und seines Assistenten Louis Pasteur, dem Vater der Bakteriologie.

In „Taba-Taba“, was, wenn man Devilles Neigung zum Reisen kennt, wie ein unbekanntes Land klingt, begibt er sich auf seine wohl persönlichste Fahrt. Es ist die Geschichte seiner Familie, und unweigerlich zieht er Parallelen zur Geschichte Frankreichs. Hierbei unterlässt er es mit Jahreszahlen zu jonglieren wie ein Wissenschaftsjournalist, der vorgibt als Einziger in den Vorlesungen an der Uni aufgepasst zu haben.

Nein, einem Patrick Deville kann man nichts vormachen. Er kennt die Geschichte Frankreichs wie kein Zweiter. Nur die seiner eigenen Familie kennt er nicht. Also nicht so gut. Deswegen, auf in den Norden!

Ein kleiner Junge wächst acht Jahre lang – eine Ewigkeit in diesem Lebensabschnitt! – in einem Lazarett auf. Er hat ein verkürztes Bein. Die Bewohner des kleinen Ortes, vor allem die Kinder, sind nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht sich das Maul über den Jungen zu zerreißen. Dem Jungen wächst mit der Zeit ein dickes Fell, so dass er das Tuscheln nicht mehr hört.

Auf der Treppe des Lazaretts sitzt zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk ein Mann. Offensichtlich zu Recht, denn er bewegt unablässig seinen Körper vor und zurück. Taba hin, taba her. Mit jeder Bewegung formt sein Mund die mantraartige Taba – Taba – Taba. Dieser Mann und die Bücher der Bibliothek haben mehr Einfluss auf ihn als so mancher Hieb, so mancher Hinweis, so mancher Rückschlag.

Der Junge muss – nicht an die frische Luft – raus! Raus in die Welt. Das wird er eines Tages auch. Doch zuerst will er wissen woher er kommt. Wer er ist. Patrick Deville verwebt in „Taba-Taba“ sein eigenes Schicksal mit dem einer Sehnsucht und des Landes, dessen Bewohner er ist. In Anekdoten kratzt er nicht nur an der Oberfläche der Geschehnisse – vom Algerienkrieg bis hin zur Gelbwesten-Bewegung – er taucht tief zu ihren Wurzeln hinab. Die liegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts als seine Urgroßmutter als Kleinkind aus Ägypten kommend französischen Boden betrat. Dass ein Land durch seine Bewohner fortwährend Geschichte schreibt, leuchtet jedem ein. Patrick Deville gelingt es dieser Erkenntnis mit seiner Sprachvielfalt die Kirsche aufzusetzen.