Stallungen

Das kann ja heiter werden. Eine Party ohne Frauen. Don Guido Carrión feiert vielleicht einen seiner letzten Geburtstage. Ein paar hundert Gäste treffen sich auf dem ausgedehnten Anwesen des angesehenen Pferdezüchters in den Höhenlagen Guatemalas. Alle sind ausgelassen. Es gibt viel zu trinken. Und viel zu bestaunen. Die Pferde von Don Guido sind erlesene Schätze. Als die ersten maulen – schließlich sind ja keine Frauen zur Party eingeladen worden – und zu gehen drohen, knallt’s. Und zwar wirklich. Mit einem Rumms stehen die Stallungen in Flammen. Auch Duro II, der Stolz seines Besitzers und der gesamten Umgebung fällt den Flammen zum Opfer. Der Erzähler, Schriftsteller, der mit seinem Vater die Party besucht, wird von vielen erkannt und beglückwünscht. Sicher haben die meisten sein Buch nicht gelesen, wohl aber von dessen Veröffentlichung gehört. Und sie kennen ihn. So wie der Anwalt Jesús Hidalgo. Er überreicht ihm seine Karte mit einer Bitte und einem Hinweis: „Darüber sollten Sie mal schreiben!“.

Kurzerhand nimmt er Einladung an. Ob er am Ende des Buches noch einmal so reagieren würde? Ein zwielichtiger Typ, dieser Anwalt. Er scheint alle Fakten zu kennen, die zu der Brandkatastrophe führten. Aber er will auch niemandem auf die Füße treten. Deswegen soll ein fiktiver Roman entstehen. Doch warum das alles?

Das Gespräch geht in einen Ausflug über und unversehens blicken der Zarte, die rechte Hand des Dons, Dona Barbara, von der keiner so recht weiß, warum sie ihre deutsche Heimat verließ und in Guatemala nun Pferde züchtet, der Anwalt und der Erzähler in den Lauf einer Pistole. Ein Stallbursche am anderen Ende des Revolvers.

„Stallungen“ ist keineswegs einfach nur ein kleiner Roman aus einem kleinen fernen Land. Aus der Idee innerhalb des Romans einen Roman aus den Geschehnissen rund um eine Geburtstagsparty zu schreiben, wird schnell Ernst. Ds Machtgefüge innerhalb der Finca Palo Verde, seinem Patron und dessen Gefolge wird eher beiläufig erwähnt. Hier herrschen Zustände wie im Mittelalter. Wer nicht spurt, spürt die Knute. Wer aufbegehrt, verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Dass immer wieder rebelliert wird, zeigt nur, dass der Funke Hoffnung immer noch mehr als nur glimmt.

Rodrigo Rey Rosa ist ein Künstler mit der Feder. Die bedrohliche Situation am Tisch als plötzlich der Stallbursche die Waffe zieht, wirkt für alle wie im Film. Sie rechnen nicht mit dem alles verändernden Knall. Manche aus Arroganz, weil sie weit über dem Burschen stehen, obwohl der das bessere Argument in den Händen hält. Manche sind fast schon furchtlos, weil sie in ihm das Gute sehen. Die vierzehn Kapitel dieses Buches fliegen im Nu an einem vorbei. Erst nach dem Absetzen fühlt man die Kraft, die von diesem Buch ausgeht.