Schlangentanz – Reisen zu den Ursprüngen des Nuklearzeitalters

Schlangentanz

Wenn man eine Stadt oder eine Region mehrmals bereist hat, aber immer noch der Meinung ist Neues erleben zu können, dann ist es an der Zeit seine Urlaubsplanung thematisch auszurichten. Paris auf den Spuren Picassos. Oder Sizilien kulinarisch. Oder Belgien auf den Schlachtfeldern, ist ja gerade sehr angesagt. Doch wie plant man eine Reise in die Vergangenheit, zurück zu einem schrecklichen Ereignis? Zeitreisen sind und bleiben Phantasie.

„Schlangentanz“ ist real, Patrick Marnham auch. Und er macht eine Reise, die seit siebzig Jahren unternommen werden kann, auf die aber jeder Humanist gern verzichten kann: Eine Reise zu den Ursprüngen des Nuklearzeitalters. Oder zu den Wurzeln des Übels, den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

Das Verblüffende ist, dass er nicht in Laboratorien seine Reise beginnt, oder mit Interviews mit Hinterbliebenen von Opfern und Wissenschaftlern, sondern in Belgien. Brüssel genauer gesagt. Im Justizpalast. König Leopold verleibte sich durch einen geschickten Schachzug Kongo ein. Belgisch-Kongo war jahrelang der dunkelste Ort auf Erden. Völkermord, gnadenlose Ausbeutung der Bodenschätze und ein nahezu rechtsfreier Raum entstanden. Hier wurde auch das Uran gefördert, das zu Forschungszwecken in die USA geliefert wurde und aus Angst vor dem „bösen Russen“ und den noch viel verachtenswerteren Naziregime in Deutschland die Grundlage der ersten beiden Atombomben diente. Das Ergebnis ist bekannt: Bis heute sind die Nachwirkungen von „Little Boy“ und „Fat man“ spürbar.

Die Reise führt ihn weiter nach New Mexico. Einen Staat, einer Region, dessen Geschichte auch nicht immer nicht immer von strahlender Zukunft geprägt war. Kriege, Massaker, Zankapfel zwischen Streitmächten gehören genauso zu New Mexico wie Jahrtausende alte Indianerkultur. Hier wurden die beiden Bomben mit den unverfänglichen Namen ersonnen.

Auf seiner Reise wird der Autor von vielen seiner Kollegen begleitet. Joseph Conrad und Aby Warburg waren genaue Beobachter der von ihnen besuchten Regionen und Kulturen. Conrad im Kongo, Warburg in New Mexico.

Ein weiterer Deutscher – Warburg war Deutscher, der Pole Conrad schipperte von England aus nach Afrika – Joseph Oppenheimer gehört zu illustren Reisegesellschaft. Als Vater der Atombombe sollte er in die Geschichte eingehen, ein Ruf, der ihn ein Leben lang anhaftete und der ihm nicht schmeckte.

Alles was mit Atom zusammenhängt, hat einen bitteren Beigeschmack. Hiroshima und Nagasaki sind Synonyme für die perfide Verwendung der im Grunde fortschrittlichen Entdeckungen. Wohl auch daher rührt die Angst vor dieser Technologie. Erst vor wenigen Jahren wurde es wieder einmal offensichtlich, dass Forschung und Fortschritt auch gravierende negative Nebenwirkungen haben: Fukushima. Bis in eine weit entfernte Zukunft wird dieser Fleck Erde nicht mehr zu besiedeln sein.

John Marnham ist nicht der Erste, der durch das Atomzeitalter reist. Viele haben sich versucht und sind daran zerbrochen. Marnham ist aber kein Forscher auf dem Gebiet der Nukleartechnologie, er ist Beobachter, Geschichte-Erzähler in der reinsten Form. Er wertet nicht, er beobachtet und notiert. Dem Leser wird eine neue Sichtweise auf das Thema Atom eröffnet. Spannend wie nie zuvor, einem Krimi gleich – Marnham hat unter anderem auch eine Biographie über Georges Simenon veröffentlicht – reist der Leser zu fremden Kulturen, in ferne Länder und durch die Labore der Welt.