Rot, sagte er

Bei einem Museumsbesuch kann es einem schon mal passieren, dass man sich in ein Bild hineinziehen lässt. Irgendeine Faszination geht vom Farbenspiel aus, die Komposition erregt einen, das Motiv fesselt den Betrachter, die Ausmaße, die Ausleuchtung haben etwas an sich, das einen nicht loslässt. Jetzt möchte man noch tiefer in dieses Bild eintauchen. Will wissen, woher es kommt, was den Maler dazu bewegte. Wie sind die Verbindungen zwischen Maler und Objekt? Wer sich diese Fragen schon einmal gestellt hat, findet in diesem Buch einen wahren Freund.

Volterra, die alte etruskische Stadt, die in ihrer Geschichte so manche herbe Niederlage einstecken musste, ist der geographische Mittelpunkt dieser Geschichte. Hier lebt Angel Mariani. Künstlerin und Katermutter. In der Zeitung liest sie vom tragischen Ende von Eremo. Kein besonders geselliger Einwohner der Stadt. Eigentlich gar kein Mensch, der die Gesellschaft anderer suchte. Aber immer freundlich. Ein guter Zuhörer. So richtig kannte ihn niemand. Woher er kam, was ihn hierher verschlug, was er machte – keiner kann eine rundum zufrieden stellende Antwort geben. Und doch wer er immer da. Einem Glas Wein war er nicht abgeneigt. Immer nur eines. Und immer vom Feinsten. Das erfährt Angel aber erst nach einer Erfahrung, die ihr noch lange im Kopf herumschwirren wird.

Sie hat also vom Tod Eremos gelesen. In der Zeitung waren dank der eines Filmteams (sie drehen eine Serie über die Medici, der Familie, die Volterra den Garaus machen wollte) exzellente Fotos zu sehen. Da liegt er in der Schlucht. Der Mann, den jeder erkannte, den aber niemand wirklich kannte. Angel geht dieses Bild nahe.

In der Pinakothek sucht sie Ablenkung. Rosso Fiorentinos Deposizione, die Kreuzabnahme lässt sie tief in die Szenerie einsteigen. Der Meister hat sich selbst darin verewigt. Ein Fingerzeig. Tragische Szenen. Die flammenden Farben. Angel ist tiefer bewegt als sie es sich anfangs eingestehen kann. Tränen kullern über ihre Wangen. Das ist neu für sie. Ja, sie ist Künstlerin. Sie ist besonders sensibilisiert für derartige Empfindungen. Aber so stark hat sie sich noch nie wahrgenommen. Kann es sein, dass Eremo in diesem Bild ihr erschienen ist? Gar nicht mal mystisch oder gar esoterisch, nein echt, wahr, real. Angel beginnt zu erst in ihrem Kopf zu kramen, um herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Nach und nach sieht sie einen Zusammenhang in dem Dreieck Volterra – Fiorentino – Eremo…

Klaudia Ruschkowski könnte den Leser durch ein Museum führen und ihm die Geschichte einiger Bilder erklären. Sie könnte auch aus dem Seelenleben einer Künstlerin erzählen. Oder die Geschichte eines rätselhaften Mannes. Oder eine kleine Kulturgeschichte der Toskana. Sie entscheidet sich für alles! Alles in einem Roman. Ganz sanft lässt sie ihrer Heldin Platz, um sich zu schütteln und der Situation Frau zu werden. Was dann geschieht, haut nicht nur sie, sondern die gesamte Leserschaft um. Ein Feuerwerk, das dem geforderten Rot des Künstlers in Nichts nachsteht!