Riwan oder der Sandweg

Nach Jahren des Exils kehrt eine junge Frau in ihr Dorf in Senegal zurück. Der Serigne regiert hier. Er ist eine Art Ortsvorsteher, Doktor, Alleskönner. Zu ihm kommt man, wenn man gerufen wird oder ein Problem aus der Welt geschafft werden muss. Der Serigne ist geschickt und furchtlos. Er setzt auf die Kraft der Selbstheilung, die er selbst in Gang setzen kann. Ein echter Weiser.

Und der Serigne hat gleich mehrere Frauen. Nicht zwei, drei oder vier … nein mehr als zwei Dutzend. Die junge Frau, die unverkennbar die Züge der Autorin trägt, beobachtet das Treiben in dem abgeschotteten Kosmos ihrer für sie neuentdeckten Heimat. Da ist Rama. Eine sehr junge Frau. Auch sie „gehört“ dem Serigne. Wie alle Frauen verrichtet sie ihre Arbeit und ist zur Stelle, wenn der Serigne ruft. Beziehungsweise sie rufen lässt.

Aber da ist auch Riwan. Er ist die exotischste Figur an diesem exotischen Platz. Ein stummer Zeuge der Gegenwart. Willfähriger Diener, der sich nicht andient, sondern einfach nur da ist. Sein Schicksal ist es hier zu sein. Er genießt weitreichende Privilegien. Er darf dort hin, wo sonst nur der Herr des Hauses, was eigentlich ein Gehöft ist, Zutritt hat. Er richtet nicht, er richtet sich nach Gottes Geheiß. Ein wundersamer Mensch, der so friedvoll sein Leben beschreitet.

Dann ist es eines Tages doch soweit. Auch die namenlose Erzählerin wird vom Sergine erwählt. Sie soll eine weitere Frau im Harem des Meisters sein. Angst hat sie nicht. Sie lebte in Europa, hat viel gesehen, kennt mehr Kulturen als ihr lieb ist. Sie kam zurück, weil die ständige Suche nach Heimat ihre Reserven angriff. Der Serigne weiß um die Weltgewandtheit seiner neuen Frau. Sie stellt aber keine Gefahr für seine Macht dar …

Ken Bugul ist das Pseudonym von Mariétou Biléoma Mbaye und bedeutet „eine, die unerwünscht ist“. So poetisch der Name klingt, so dramatisch die Geschichte dahinter. Sie lebte in Belgien und Benin und war die achtundzwanzigste Frau in einem Harem. Heute ist sie Schriftstellerin und Kunsthändlerin. Die alles erfassende Beobachtungsgabe macht „Riwan oder der Sandweg“ zu einer Schatztruhe voller Einblicke in eine Welt, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Ihre Heldin verneint nicht die „Vielweiberei“ wie es einst genannt wurde. Das Leben im Harem ist auch nicht primär die einzige Zuflucht aus einem möglichen Leben in Armut und Angst. Es ist essentieller Bestandteil eines Lebens, das man annehmen kann oder man lässt es. Das brachte der Autorin oft und lautstark Kritik ein. Die Frauen des Harems sind weitgehend frei in ihren Entscheidungen. Sie haben immer noch den Sandweg, der sie aus ihrem Alltag herausholt.