Paradies der falschen Vögel

Was, glauben Sie, passiert, wenn Wolfgang Beltracchi in ein Museum geht? Alle, vor allem die elektronischen, Augen sind auf ihn gerichtet. Zuckt sein Auge, wenn er vor einem Turner steht? Lächelt er verschmitzt, wenn er vor einem – sagen wir – van Gogh steht? Zeigt er eine besondere Reaktion bei einem Michelangelo? Denn er weiß, wo seine Fälschungen noch hängen.

Anton Velhagens Lebensweg scheint vorgezeichnet. Sein Onkel ist begnadeter Fälscher. Er erfindet Ayax Mazyrka, einen Barockmaler. Doch dem nicht genug: Er erfindet auch noch dessen Biografen. Und Anton? Schon im Alter von fünf Jahren „fälscht“ er die Überreste des Misthaufens des Prager Fenstersturzes.

Alles Lüge? Alles Lüge! Führen wir uns die Geschichte vor Augen: Ein Autor (wahr) lässt einen Fälscher die Geschichte seines Onkels Robert Guiscard erzählen, der ein Fälscher war. Dieser wiederum hat einen Maler erfunden und einen Biografen gleich dazu. Das nennt man dann wohl Vielschichtigkeit. Und wie ein Maler Schicht für Schicht auf die Leinwand trägt, so lässt Wolfgang Hildesheimer (der Echte) Anton Velhagen die Lebenslüge seines Onkels wieder abtragen. Im Orientexpress trifft er eine Spionin, die unumwunden zugibt, welcher Tätigkeit sie nachgeht. Ein weiterer Mitreisender, ein wasch-echter(!) Procegoviner, deren Nationalheld Ayax Mazyrka war, lässt Robert alle Vorsätze über Bord werfen. Auch den, dass man seinem Gegenüber immer ausführlich und bis ins kleinste Detail antworten sollte. So verliere der die Lust am Nachfragen. Raffinierte Technik! Onkel Robert und seine Zugfahrt – Kauzige Vögel trifft man da. Doch nicht nur da…

Und schon haben wir den Titel des Buches zum Thema gemacht, „Paradies der falschen Vögel“. Falsche Fuffziger könnten es auch sein. Doch dann … ja dann wäre das Buch aber nicht so beeindruckend zu gestalten gewesen. Monika Aichele hat den Titel wortwörtlich genommen und zahlreiche Exemplare der Gattung birdus fakus beigefügt. Also Vögel, die es nie gab, nicht gibt, und aller Voraussicht nach auch niemals geben wird. Genauso wie es birdus fakus nie geben wird. Fake birds, gefälschte Vögel. Das ist mal ‘ne echte Fake news.

Monika Aichele setzt dem ganzen Spiel um Wahrheit und das, was als diese angesehen wird, noch einen drauf. Als Hüterin der „Enzyklopädie der falschen Vögel“ – sie selbst hält es nicht für ein Werk von Robert Guiscard, obwohl es eindeutig aus dessen Familie zu ihr gelangt ist – gibt sie ihren Zeichnungen der Nachtschrecke, des Palmenschwanzes oder des Kanzelschwammbrüters legendäre Biografien. Man merkt ihr den diebischen Spaß an, den sie hatte als die den Kettenhemdkauz, den Moonbird (nicht zu verwechseln mit dem Mohnvogel) oder den Teppichkehrer zeichnete.

Wolfgang Hildesheimer zeichnet ein sarkastisches Bild der Kunstszene, Monika Aichele liefert die nüchternen Tatsachen. Das einzig echte an diesem Buch ist die Faszination, die es auslösen wird. Elegant, handhabbar, witzig, nachdenklich, exzellente Gestaltung – so muss ein Buch sein. Und wer so richtig auf den Geschmack gekommen ist, der kauft sich ein Ticket für den Bernina-Express. An der Haltestelle Poschiavo im Schweizer Kanton Graubünden. Denn anders als das Fürstentum Procegovina, lebte hier eine echter Künstler: Wolfgang Hildesheimer.