Nico

Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Zumindest, wenn man ein Boulevard-Magazin zu verantworten hat. Ein Leben mit Drogen, Tod, Abweisung, Verlust, Verrat – im schrillen Schein der Prominenz.

Nico, der Name sagt vielen nichts mehr. Doch wer auch nur ein bisschen in diesem Buch herumblättert (das intensive Lesen folgt dann ganz automatisch), wird sich der Bedeutung von Christa Päffgen, die sich Nico nannte, schnell bewusst. Sie war zeitweise die drohende Stimme von Velvet Underground. Sie war die Mutter eines der Kinder von Alain Delon. Sie war. 2018 hätte sie ihren 80. Geburtstag feiern können, stattdessen jährt sich ihr Tod bereits zum 30. Mal.

In ihrem Geburtsjahr 1938 dreht sich die Welt etwas schneller, etwas heftiger und in eine gefährliche Richtung. Pogrome sind kurz nach ihrer Geburt in Köln an der Tagesordnung. Kurz vor Ende des Weltkrieges flieht die Familie aus dem bombardierten Köln ins brandenburgische Lübbenau. Und schon kurz Zeit später flieht Christa ins nahe Berlin. Die Trümmer sind ihre Spielwiese, und das KaDeWe, das schon bald wieder eröffnet wird, ist ihre Bühne. Hier entdeckt sie ein Fotograf. Herbert Tobias. Sie wird einmal ein Star. Das weiß er, daran arbeitet er. Doch als „dat Christa“ wird das wohl nichts. Eine unerfüllte Liebe Tobias‘ ist Namenspate für die schlanke Blondine mit den hohen Wangenknochen und der unverwechselbaren Stimme. Nico is born. Die Magazine reißen sich um sie. Paris wird ihr neues Zuhause. Sie reist wie ein Star, obwohl sie da noch kein echter Star ist. Als Schauspielerin will sie sich probieren, doch ihr eigener Kopf steht ihr immer wieder im Weg.

Die Melancholie, die harsche Ablehnung jeglicher Konventionen vernagelt ihr so manche Tür. In Fellinis „La dolce vita“ spielt sie mit, sich selbst. An der Seite von Alain Delon soll sie in „Nur die Sonne war Zeuge“ die weibliche Hauptrolle übernehmen. Sie kommt zu spät und Marie Laforêt bekommt die prestigeträchtige Rolle. Nicht zum letzten Mal wird ihre eigensinnige Haltung zur Pünktlichkeit einer anderen die Bühne bereiten. Zu allem Überfluss wird sie schwanger, von Delon, der den Titel des Vaters seither aber kategorisch ablehnen wird. Das Kind wird ein Omakind, wird sogar von Nicos Mutter adoptiert.

New York ist die nächste Station in Nicos viel zu kurzem Leben. Erst hat sie Andy Warhol in Europa getroffen, nun steht sie schon im Studio mit Warhols neuestem Projekt: Velvet Underground. Die Band, die am häufigsten als Vorbild genannt wird, jedoch nie einen echten Hit hatte. All ihre Songs wurden erst später zu Ohrwürmern. Affären mit Jim Morrison von den Doors, Bob Dylan, Iggy Pop, um nur ein paar auserwählte Namen zu nennen, folgen. Doch bringen sie der stets betrübten Nico kaum etwas Zählbares ein. So umgeht sie aber das Stigma durch Beziehungen Ruhm zu erlangen.

Punk, New Wave, neue Deutsche Welle – Trends interessieren Nico nicht im Geringsten. Der nächste Schuss ist ihr näher als so manche Liebe. Sie versetzt ihr Harmonium, das Instrument, das sie beherrscht, das ihr den Lebensunterhalt sichern könnte. Patti Smith springt ein und kauft ihr ein neues. Ende der Siebziger geht es wieder bergauf mit Nico. Das Heroin wird durch Methadon ersetzt, Sohn Ari ist wieder an ihrer Seite. Er vergöttert seine Mutter, mit fatalen Folgen…

Tobias Lehmkuhl konnte für seine Biographie Nico nicht interviewen. Als sie starb, war er gerade mal Zwölf und hatte sicher noch nie was von Christa Päffgen oder Nico gehört. Mit vehementer Detailverliebtheit zeichnet er ein Bild einer Frau, die so undurchsichtig war, so verschlossen, so geheimnisvoll. Jedes einzelne Gerücht zu entkräften, Geheimnisse zu lüften kann also gar nicht gelingen. Muss es auch gar nicht. Denn sie selbst hat schon in jungen Jahren derart viele und vor allem verworrene falsche Fährten gelegt, dass hier der Begriff Legende seinen Ursprung zu haben scheint. Was jedoch stimmt und sich niemals ändern wird: Nico wird für immer das fleischgewordene Geheimnis bleiben.