Madame Roland

Schon beim ersten Durchlesen der biographischen Daten am Ende des Buches – man sollte ja niemals eine Buch am Ende beginnen, in diesem Fall ist es aber sogar ratsam – erkennt man, dass Erziehung und frühes Erkennen von Begabungen mehr Einfluss auf das Werden haben als es so manche Experten vermitteln können. Jeanne-Marie Phlipon wird im Frühjahr 1754 als Tochter eines Graveurs in Paris geboren. Schon früh las sie und lernte das Gravurhandwerk. Im Internat nahm sie ein Adeliger unter seine Fittiche und förderte sie, in dem er ihr Bildung angedeihen ließ. Und das war gut so – man stelle sich vor in einem Lebenslauf von heute würde man so seinen Lebensbeginn beschreiben… unmöglich. Kein Personalchef der (westlichen) Welt würde auf so eine Formulierung positiv reagieren. Aber wir sind ja mitten im 18. Jahrhundert in Frankreich. Schon bald wird das Adelsreich bröckeln und eine weltumspannende Revolution das Land und den Kontinent erschüttern.

Jeanne-Marie Roland, so wir sie später einmal heißen, ist sicher nicht die prägendste Gestalt dieser Zeit. Und schon gar nicht stand sie auf den Barrikaden, noch weniger halb entblößt und mit wehender Fahne. Dennoch ist ihr Leben mindestens genauso spannend wie das derer, die noch heute in aller Munde sind. Von ihr stammt beispielsweise die erste Autobiographie aus der Feder einer Frau. Warum also noch ein Buch über diese Person? Man könnte die Autobiographie ja einfach lesen und fertig… Oh contraire mon frère, möchte man voller Ungeduld dem Frevler entgegenschmettern. Ganz im Gegenteil!

Zum Einen ist da die Autorin, Christiane Landgrebe, die schon mit ihren Biographien über Diderot und Germaine des Staël die Strahlkraft der einflussreichen (und fast vergessenen) Namen der Geschichte wieder aufpolierte. Zum Anderen ist es die unverbrüchliche Neugier des Lesers wahre Geschichte(n) aus erster Hand erlesen zu können. Christiane Landgrebe rückt die Zeilen aus Briefen und Überlieferungen ins rechte Licht.

Heutzutage wäre Madame Roland, wie man sie noch heute ehrfurchtsvoll nennt, eine mittelschwer erfolgreiche Influencerin. Sie bewegte sich in Kreisen, die den meisten schwer bis gar nicht zugänglich waren. Jeder Schnappschuss mit dem Adel würde heutzutage sicherlich ein paar Tausend Likes einbringen. Und ein paar revolutionäre Hashtags würde die die gebildete Frau (was heutzutage in manchen Ohren immer noch befremdlich klingen mag) auch zum Nach- und Umdenken beisteuern können. So vergessen Madame Roland heute erscheinen mag, umso erstaunlicher ist wie modern ihre Ansichten für eine Gesellschaft heute noch wirken. Geschichte ist immer schon vorbei. Die Gegenwart mit dem Wissen um die Geschichte gestalten ist deswegen bedeutsamer als man sich eingestehen möchte. Und dieses Buch ist in gewisser Art ein Baustein, um Wissen von damals mit dem Können von heute auf ein solides Fundament stellen zu können.