Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann

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Lange Zeit hatte man das Gefühl, dass deutsche Literatur nur von einem Autor geschrieben werden konnte: Goethe. Der war ja überall und nirgends. Ein echter Tausendsassa. Der Wachwechsel wurde mit der Wiederentdeckung von Thomas Mann eingeläutet. Alle überschlugen sich, der interessierte Leser konnte sich mit Biographien eindecken bis er nicht mehr atmen konnte. Mann soweit das Auge reichen konnte. Auch die Frauen der Manns wurden ausgiebig besprochen. Vorteil Manns.

Elisabeth Tworek scheint ins gleiche Horn zu stößen. Doch nur oberflächlich. Sie interessiert sich für die Zeit und (vor allem) den Ort, an dem Thomas Mann, der Wegbereiter des Mannschen Ruhms, und seine Familie wirkte. München. Ein Stadt, die heute für markante Fußballkunst, das größte Volksfest der Welt und eine Landesregierung bekannt ist, die den Großen der Welt die Stirn bietet, sich anbiedert und immer wieder ins Rampenlicht drängt. Doch Literatur und München? Mundart, bitte schön! Das sehr wohl.

1894 führt der Weg der Manns in die bayrische Landeshauptstadt. Ein pulsierender Quell des künstlerischen Ausdrucks. Bertolt Brecht, Karl Valentin (da ist er wieder, der Dialekt), Oskar Maria Graf, Frank Wedekind und eben Thomas, Klaus, Erika, Heinrich, Katia und wie sie alle hießen. Die Manns eben. Sie alle – nicht nur die Manns – waren von München beeinflusst, leisteten im Gegenzug ihre Beitrag zur Entwicklung der Stadt. Wer was werden wollte, wer als Schriftsteller vom Ruhm der Autoren profitieren, sich inspirieren lassen wollte, musste in München sein. Und leben.

Das war und blieb so bis ins erste Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Dann änderte sich das Bild der Stadt. Freigeister wurden zuerst zögerlich, dann immer öfter und offener zum Freiwild. Hauptstadt der Bewegung nannten die Nazis München. Das ungezwungene Leben wurde immer schwieriger, reglementierter bis hin zur Repression. In den Dreißiger Jahren packten viele gezwungenermaßen ihre Koffer und flohen vor Verfolgung und Berufsverbot. Die Auswirkungen sind bis heut spürbar.

Der Autorin gelingt mit scheinbarer Leichtigkeit das süße Leben der „nördlichsten Stadt Italiens“, die Leichtigkeit des Seins, die musischen Kräfte der Isar-Metropole einzufangen. Sie durchforstete Familienalben, recherchierte in Archiven, sammelte Anekdoten und fügte alles zusammen in diesem wunderbaren Band. Das hochdeutsche München der Bohème vor rund einhundert Jahren. Mehr als nur eine Fortsetzung in der Reihe der zahlreichen Biographien über die Manns. Vielmehr ein Kaleidoskop der Umgebung, des menschlichen Diskurses und des Kampfes gegen Engstirnigkeit für den viele einen zu hohen Preis gezahlte hatten.