Ich beantrage Freispruch!

Er hat ein bisschen was von Hans Albers. Markantes Kinn, stechender Blick und die Schaffenszeit passt auch auf alle Fälle. Doch es ist nicht der blonde Hans von der Reeperbahn, es ist der brillante Erich aus Berlin Moabit. Strafverteidiger seines Zeichens. Dr. jur. und Dr. phil. Was der Ruf von Kommissar Gennat in der Kriminalpolizei war, war Erich Frey für die Anwesenden im Gerichtssaal. Ein Star, begehrter Anwalt der Ganoven, gefürchtete Zunge der Ankläger und Richter. Im Exil in Chile, wie so viele musste auch dieser erstklassige Fachmann während des Naziterrors Deutschland verlassen, schrieb er seine Erinnerungen auf, die nach einem halben Jahrhundert nun endlich wieder als Lesebuch für alle Neugierigen zur Verfügung stehen.

Freys Erinnerungen beginnen gleich mit einem echten Paukenschlag. Wer nun erwartet, dass es gewiefter Winkeladvokat zum Besten gibt wie er die Judikative zum Narren hielt, wird staunenden Auges verblüfft werden. Friedrich Schumann steht Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vor Gericht. Im Falkenhagener Forst soll er mehrere Menschen ermordet haben. Elf Morde werden ihm angelastet. Einen Tag vor Prozessbeginn springt sein Verteidiger ab. Dr. Frey kommt gerade des Weges als man ihn bittet das Mandat zu übernehmen. Viel Arbeit, wenig Zeit … und erst Recht keine Chance auf Freispruch. Doch das Todesurteil kann und will Dr. Frey verhindern. Nichts davon wird sich erfüllen. Der Schlosser Friedrich Schumann wird zum Tode verurteilt. Sechs Morde konnten ihm nachgewiesen werden. In der noch jungen Weimarer Republik tut man sich schwer Todesurteile rasch zu vollstrecken. Das kommt Dr. Frey zu pass. Er legt Revision ein. Doch sein Mandant ermutigt ihn diese zurückzunehmen. In den darauffolgenden Monaten besucht Dr. Frey Schumann so oft es seine Zeit zulässt. Schumann entlockt ihm das Versprechen ihn postwendende zu informieren, wenn er Vollstreckungstermin feststeht. Im Mai 1921 muss Dr. Frey Schumann mitteilen, dass er noch ein Vierteljahr zu leben hätte. Ab diesem Moment – so erfährt der Verteidiger von den Wächtern – schläft Schumann wie ein kleines Kind. Er ist erleichtert. Kurz vor der Hinrichtung fasst sich Schumann ein Herz und gesteht. Nicht nur die sechs Morde, die sind ihm zweifelsohne anzuheften. Auch nicht die fünf weiteren Morde, deren er angeklagt war. Nein, in Summe fünfundzwanzig Morde gesteht Schumann dem baff erstaunten Anwalt. Der sieht darin die Tat eines nicht Zurechnungsfähigen. Was die Aussetzung der Todesstrafe zur Folge hätte. Doch Schumann will sterben…

Würde Dr. Dr. Erich Frey heute praktizieren, wäre er bestimmt keiner dieser betroffenheitskitschigen „Anwälte“, die im TV sinnfreie Sprüche wie „Wenn der Täter der Täter ist, dann ist er der Täter und muss bestraft werden. Dafür werde ich kämpfen. Wenn es sein muss bis zum bitteren Ende.“ Er wäre auch keiner, der vor einer Bücherwand als „Experte“ Paragraphen in „normales Deutsch“ übersetzen würde. Er wäre Anwalt. Nicht mehr nicht weniger. Seine Memoiren aus den Gerichtsälen sind heute, fast ein Jahrhundert später, nicht minder spannend als zu der Zeit als sie wie eine Erzählung vom gestrigen Abend klangen. Mitglieder der so genannten Ringvereine – Clan-Kriminelle ohne familiären Hintergrund – nahmen sich Dr. Frey zum Anwalt. Für ihn war das Gesetz nicht dehnbar.

Das Nachwort dieser Biographie gehört Dr. Regina Stürickow, die mit ihren Büchern über die dunklen Seiten der Hauptstadt Berlin schon so manchem Leser Schauer über den Buchrücken jagte. Zum ungefährlichen Eintauchen in die Unterwelt Berlins in Goldenen Zeiten kommt man an diesen engagierten Memoiren einfach nicht vorbei.