Geyers Schädel

Geyers Schädel

Zu seinem 200. Geburtstag erfährt Richard Wagner die Aufmerksamkeit, die ihm über Jahrzehnte entzogen wurde. Über sein Werk – da sind sich die Experten einig – gibt es wenig zu diskutieren. Monumentale Musikgeschichte, die selbst im Filmgeschäft als Meilensteine eingesetzt werden (drohende Gefahr im Anflug ohne den Walkürenritt – undenkbar). Richard Wagners politische Einstellung und sein Antisemitismus riefen und rufen immer wieder Mahner auf den Plan, Wagner nicht allzu sehr zu glorifizieren.

Marcus Imbsweiler schlägt einen anderen Weg ein. Er schickt zwei Kommissare in die Spur einen Schädel einem Korpus zuzuordnen. Um dem Ganzen die Wagner‘sche Schwere zu nehmen, verteilt er die Geschlechterrollen sehr traditionell: Er, der Chef – Sie die Assistentin. Einige urkomische Situationen entschärfen jedoch die drohenden feministischen Anfeindungen dieser Rollenklischees.

In einem Wald bei Bayreuth wird ein Schädel gefunden. Ein mörderisches Verbrechen muss dahinter stecken. Den Kommissaren und somit auch dem  Leser werden schnell klar, dass es sich einen besonderen Schädel handelt. Haderer und Leschkowski – so die Namen der Ermittler – kommen einer Geheimorganisation auf die Spur. GRAL – die Bedeutung der Abkürzung wechselt des Öfteren im Laufe der Geschichte, um Verwirrung bei den Beamten zu erzwingen.

„Geyers Schädel“ ist die wohltuende Alternative zum Wagnerwahn im Jahr 2013. Keine bloße Faktenaneinanderreihung, die immer neue Erkenntnisse über den „großen deutschen Komponisten“ ans Licht befördert. Vielmehr eine despektierliche Abhandlung über das, was wäre, wenn es so abgespielt hätte. Ein Zeitreise der Ermittler nimmt den Leser mit in Wagners Zeit, von Leipzig über Dresden nach Bayreuth. Kein Skandal, der die Kunstwelt erschüttert, eine amüsante Sichtweise auf das Leben Wagners in der Vergangenheit und seiner Jünger in der Gegenwart. Laut dem Autor kommt der Untertitel Kapitulation, also eine Unterwerfungserklärung, die von caput tollere, das Haupt verlieren, stammt. Laut Lexikon stammt es von capitulare, „in Kapitel einteilen“. Imbsweilers Roman erfüllt beide Erklärungen mit Inhalt: Die einzelnen Kapitel drehen sich nur um eines, ein verlorenes Haupt.

Ein Wenig Geschichts- und Wagnerkenntnisse sind von Vorteil, um den Witz des Romans vollständig zu erkennen. Dann wird „Geyers Schädel“ zu einem umwerfenden, ungewöhnlichen Lesevergnügen.