Geschichten der übelsten Sorte

Man kennt den Spruch, dass es immer einen Deckel für einen Topf gibt. Man muss vielleicht nur den Staub abdaumen. Heißhändig sich an die Arbeit machen. Und ab und zu mal die Knüllspuren beseitigen. Wer mit diesen Formulierungen nicht überfordert ist, kommt dem Geheimnis von Garielle Lutz – vielleicht nicht schnell, aber immerhin – auf die Spur.

Die Kurzgeschichten sind Spickstücke der Sprache. Den Regeln der Grammatik folgend, Wortschöpfung in selbige einpassend, trifft sie den konzentrierten Leser mitten ins Mark. Die Folge: Verwirrung, Euphorie, Genveränderung. Nie wieder will man Klassisches im klassischen Stil lesen! Ist es Punk? Ist es Revolution? Nö. Es ist nur eine andere Form des Ausdrucks. Schwer einzuordnen, wenn man einen Buchladen zu bestücken hat. Krimi, Reiseliteratur, Selbsthilfe, Kinderliteratur – die Einteilung ist beliebig und nachvollziehbar. Auf eigene Faust sich im Karteikartensystemlabyrinth einen Weg zu Garielle Lutz zu bahnen, endet im Tränenmeer der Verzweiflung.

Nichts scheint zusammenzupassen. Buchstabensalat, Satzteilverstümmelung, Syntaxmäander sind die Gesellen, die erst im Nachgang eine Clique bilden. Immer wieder setzt man ab und sucht nach der Geschichte in der Geschichte. Hat man sie aber erstmal gefunden, ist das Licht der Erkenntnis so grell, dass es einem nicht nur die Sicht versperrt. Es schmerzt erst jetzt die Erleuchtung zu haben.

Wie begegnet man also so einem Buch? Kurzgeschichten, modern geschrieben, … mal was anderes. Am besten ist es wohl ganz unvoreingenommen sich Seite für Seite zu erarbeiten. Ohne abzusetzen. Nach fünf, sechs Geschichten sollte man innehalten. Was war das denn? Wirklich nicht überlesen, alles richtig verstanden? Nochmal zurückblättern und sich vergewissern, dass es genau so verstanden werden soll wie man es aufgenommen hat. Ah, darin liegt also die Besonderheit der Avantgarde von Garielle Lutz’ Schreiben.

Ja, es dauert bis man den richtigen Grove gefunden und sich selbst aller Selbstzweifel entledigt hat. Und den Lesefluss, den man kennt, kann man getrost ad acta legen. Jede Geschichte ist ein in sich geschlossener Kosmos. Nichts ähnelt einer der Geschichten zuvor. Alle paar Seiten öffnet sich eine Tür in eine neue Welt. Die Rasanz des Wechsels verstört anfangs. Das Ego im Zentrum, die Welt außen vorlassen. Dennoch sucht Garielle Lutz permanent Anschluss an eben diese Welt. Ihre Wege sind definitiv einsam, vielleicht verschroben, ungewöhnlich allemal. Die „Geschichten der übelsten Sorte“ warten nicht auf Leserschaft. Sie überrumpeln den Leser, nehmen ihn in Isolationshaft und foltern ihn bis er sich regungsvoll ergibt. Das „Exit“ auf dem Buchcover schreit wie Hohn dem teilnahmslosen Betrachter ins ungläubige Gesicht. Denn es gibt ihn nicht, den einen Ausweg. Man muss schon durchhalten, bis zum letzten Letter lesen und sich dann selbst fragen …