Ein Mensch wird

Ein langes Leben wurde ihr von vorn herein nicht prophezeit. Ein ereignisreiches Leben ebenso wenig. Doch Alma Karlin zeigte allen Kritikern und Spöttern gleichermaßen. Sie war ein spätes Kind, ihre Eltern hatten mit der Familienplanung schon seit längerer Zeit abgeschlossen, als es ihrer Mutter immer schlechter ging. Da war was in ihrem Bauch. Sicher eine Geschwulst, die dringend raus musste. Die Schwester im Krankenhaus meinte, dass die schon von allein rauskommt. So in ein paar Monaten. Almas Mutter war schwanger.

Der süffisante Unterton, den Alma Karlin in ihren endlich auf Deutsch erschienenen Biographie lässt die Zeit auf die nächste Seite unerträglich lang werden. Ja, sie war der Nachzügler, den niemand erwartete und so auch nicht richtig haben wollte. Doch ihre Eltern gaben sich die größte Mühe. Mama war streng und unnachgiebig, der Vater etwas milder, doch unfähig seine Liebe komplett zu zeigen. Auch weil Alma nicht zu hundert Prozent gesund zur Welt kam.

Doch aus ihr wurde was, wie man so schön zu sagen pflegt. In Ermangelung gleichaltriger Spielgefährten vertiefte sie sich schon früh in Bücher. Daher wohl auch die abgeklärte, teils bissige, immer aber unterhaltsame Sprache. Sprachen waren ihre Leidenschaft. Im Laufe ihres Lebens erlernte sie Dänisch, Schwedisch und Norwegisch, Englisch, Französisch und Spanisch, Italienisch und Russisch sowie Sanskrit, Chinesisch und Japanisch. Mit Engelsgeduld lehrte sie auch einige dieser Sprachen.

Aufgewachsen als Teil der deutschen Minderheit in Slowenien, das damals noch zu Österreich-Ungarn gehörte, ging sie früh hinaus in die Welt. Sie studierte in London und arbeitete schon früh als Sprachlehrerin. Später zog es sie weiter in die Welt hinaus. Ihre Reisebücher waren Verkaufsschlager. Doch sie selbst starb verarmt und vergessen 1950 in ihrer Heimat bei Celje.

Alma Karlins Bücher waren in den 20er Jahren das Lesetor in ferne Welten. Als die Nazis die Herrschaft übernahmen, wurde sie umgehend inhaftiert. Und alsbald wieder freigelassen. Trotz ihres Engagements im Widerstand wurde sie als deutschsprachige Schriftstellerin nach dem Krieg nicht anerkannt.

Biographien haben immer den bitteren Beigeschmack alle Zahlen und Fakten zwischen zwei Buchrücken pressen zu müssen. Alma Karlin hat sie diesem Zwang nicht unterworfen und schreibt ungekünstelt, aber auch ohne Gier nach Anerkennung über ihr wahrhaft ereignisreiches Leben. Immer wieder setzt man ab und staunt, was diese Frau allen Widerständen und widrigen Umständen zum Trotz alles gesehen und erlebt hat. Es ist schon fast skandalös, dass über ein halb Jahrhundert ins Land gehen musste, damit ihr die Ehre zu Teil wird, die sie verdient. „Ein Mensch wird“ liest sich spannend wie ein Abenteuerroman, geschrieben von einer Frau, die Konventionen nicht anerkannte und ohne zusätzliche Plessuren durch die Wand ging.