Die Zauberflöte

In fast jeder Firma gibt es Einen, der sich seinen Posten mit Mitteln erschlichen hat, die Anderen Grund zur Spekulation geben. Unvermögen und Duckmäusertum, gepaart mit Angst – eine gefährliche Mischung.

Dieuseul Lapénuri ist so einer. Aber Angst muss man vor ihm nicht haben. Er ist der Prügelknabe für seinen alten Herren. Seine Frau Anodine verachtet ihn, den Schlappschwanz. Und dennoch hat er es geschafft, dass ihn der Präsident von Haïti zum Minister für moralische und staatsbürgerliche Werte ernennt. Ja, die Familie seiner Frau verkehrt in den höchsten Kreisen. Den Präsidenten halten sie für unfähig, umschmeicheln ihn und seine Entourage jedoch kräftig. Auch, dass die Gemeinde samt Pfarrer ordentlich die Werbetrommel rührte, damit er den Ministerposten bekommt, spielt sicher eine gewisse Rolle. Nur Dieuseul, der Name bedeutet Gott allein, weiß welches Geheimnis hinter seiner Ernennung steckt. Wenn er doch nur gerissener wäre, könnte er die Situation noch viel mehr ausnutzen. Als er noch ein kleiner Beamter im Finanzministerium war – auch hier hatte er nicht viel dazu beitragen müssen, den Job zu erhalten – hatte er gelegentliche amouröse Abenteuer mit den weiblichen Büroangestellten.

Nur bei Rita biss er regelmäßig auf Granit. Sie machte ihm unmissverständlich klar, dass ihr Frauen lieber sind als Männer. Wohl auch deswegen versteht er sich bis heute mit ihr besser als mit den anderen.

Nun ist er Minister, soll die Korruption mit den Werten des Landes bekämpfen, was nach der Ansicht eines jeden, der das Land kennt, ein Widerspruch in sich ist. Rita wünscht ihm Kraft, insgeheim weiß sie, dass er nur scheitern kann. Sein Vater weiß ganz genau, dass sein Junge scheitern wird. So stürzt Dieuseul Lapénuri in das größte Abenteuer seines Lebens.

Und das hält auch gleich einen ganz dicken Brocken für den Frischling parat. Der Innenminister reicht ihm ein Dosier weiter, in dem es um das Festi Masi geht. Eine Kampagne der schwul-lesbischen Vereinigung Haïtis. Ein heikles Thema in einem Land, in dem Religion eine derart große Rolle spielt. Unterstützung bekommt er dennoch von oberster Stelle. Denn der Präsident scheint ein persönliches Interesse an dem Thema zu haben. Und Dieuseul Lapénuri weiß auch warum… Dass andere das auch wissen, weiß er allerdings nicht!

Gary Victor zaubert einmal mehr eine Gesellschaftsskizze aufs Papier, die dem Leser zum Einen das unbekannte Haïti zeigt, zum Anderen einen unbändigen Lesespaß bereitet. Ich weiß was, was Du nicht weißt. Dafür weiß ich nicht, was Du alles weißt. Das Wechselspiel zwischen Wissen und Macht wird durch Gary Victor auf ein höheres Niveau gehoben.