Die Tränen von San Lorenzo

Es sind die unscheinbaren Orte, die große Geheimnisse in sich bergen. Torreón ist so ein Ort. Irgendwo im Norden Mexikos. Hier gibt es nicht viel. Wüste, Sand, Öde. Doch die Geschichte, die Vicente Alfonso zu berichten weiß, hat es in sich. Eigentlich sind es mehrere Geschichten. Und alle haben es in sich. Und alle gehören zusammen. Und alle fügen sich nach und nach zu einem großen Ganzen zusammen.

Remo und Rómulo sind Brüder, Zwillinge. Eineiig. Zum Verwechseln ähnlich. Erst, wenn man sie näher kennt, treten die Unterschiede deutlich zu Tage. Und genau da liegt die Krux! Die beiden kennenzulernen, ist eine Mammutaufgabe. Ein Psychologe versucht es trotzdem. Unfreiwillig. Denn Remo ist sein Patient.

In einer Bar wurde Farid Sabag ermordet. Und Remo soll der Täter sein. Oder doch Rómulo? Wer soll die beiden auseinanderhalten? Der Vater kann’s, der aber ist Richter und somit befangen. Die Mutter lebt nicht mehr. Warum? Haben die beiden was damit zu tun? Genauso wie mit dem Verschwinden von Niña?

Jedenfalls ist Remo beim Therapeuten, sein Gegenstück, Rómulo, ist verschwunden. Der Therapeut glaubt Remos Ausführungen. Einst waren er und sein Bruder beim Großen Padilla angestellt. Einem Zauberer der Extraklasse. Er, die Ayala-Brüder und seine Assistentin waren die Attraktion bei jedem Fest. Man kann es schon erahnen: Alle hatten ein großes Geheimnis. Beziehungsweise gleich mehrere. Manche teilten sie sogar. Manche nicht.

Rómulo ist verschossen in Magda, die Assistentin. Doch scheint zum Großen Padilla zu gehören. Als Remo sich in sie verliebt, lässt sie ihn zappeln. Doch eine Lösung scheint in Sicht…

Vicente Alfonso schubst den Leser ab der ersten Zeilen ins Labyrinth der Andeutungen, Mutmaßungen und wagen Vermutungen. Ein Journalist, der der geheimnisvollen Niña auf die Schliche kommen will. Ein Zauberer, der schlussendlich im Dreck das Zeitliche segnen muss. Und zwei Brüder, die in ihrer Gleichheit die Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten alle um sie herum verzweifeln lassen. Mystisch? Nein! Dafür sind die Charaktere zu real. Verworren? Oh ja!

Immer wieder springt der Autor zwischen den Zeitebenen und gibt dem Leser neue Rätsel auf. Die Totenmasken auf dem Cover scheinen den Leser fast zu verhöhnen. Doch wer ganz genau hinsieht, zwischen den Zeilen liest, und die Geduld nicht verliert, wird mit jedem Puzzlestück weiser und klüger. Die Zutaten des Krimi-Chilis von Vicente Alfonso sind spürbar. Sie auf den Löffel der Offenbarung zu buchsieren, erfordert höchste Konzentration.