Die Straße in die Stadt

Es sind keine Flausen, die Delia sich in den Kopf setzt oder sich setzen lässt. So oft sie kann verlässt sie das lieblose Heim in dem kleinen Dorf, in dem sie lebt, um in die Stadt zu gehen. Die Stadt. Dort will sie einmal leben. Mit Mann und Kind. Aber eigentlich nur, weil es die Stadt ist. Und nicht das dreckige kleine Kaff, in dem sie der Niemand auf dem Präsentierteller ist. Sie will jemand sein. Jemand in der Stadt, denn nur dort ist man wer.

Ach, süße Sechzehn! Azalea wohnt auch dort. Die große Schwester. Sie hat alles: Einen Gatten, Kinder, … einen Pelzmantel und ein Bett, von dem aus sie ihr kleines Reich regiert. Dazu gehört es ihren Mann anzufauchen. Und auch ihren Freund – per Telefon. Das Dienstmädchen – auch das hat Azalea – kümmert sich schon um den „Rest“.

Noch ein Jahr dann ist Delia so alt wie Azalea als sie heiratete … und das Dorf verließ. Verlassen konnte. Bald wird auch Delia diesen Schritt gehen. Doch mit wem? Mit Giulio? Der ist total verschossen in sie. Der Sohn des Doktors. Also keine schlechte Partie. Oder doch mit Nini. Cousin soundsovielten Grades, der der Familienhölle entkam und in Delias Familie Unterschlupf fand. Doch Nini ist mehr an Büchern und Lesen interessiert.

Delia saugt die Stadt auf wie einen Schwamm. Dass hier erst recht nicht alles azurblau ist, bemerkt sie nicht. Erst als ihrer Schwester sämtliche Glücksfelle davonzuschwimmen drohen – ihr Liebhaber will sich binden, aber nicht an Azalea – und sie selbst schwanger ist, beginnt der Ernst eines Lebens, für den der Ausweg in die Stadt keine Option mehr ist. Und es kommt noch schlimmer für die unschlüssige Delia…

Natalia Ginzburg beweist schon in ihrem ersten Roman ihr enormes Geschick knallharte Realität mit weicher Stimme Gehör zu verschaffen. Die naive Delia muss pronto lernen, dass die citta ebenso Himmel wie Hölle bedeuten kann. Und zwar ganz anders als sie es sich in ihrem so bisherigem kurzen Leben vorstellen konnte. Ihre Wünsche und Träume sind vollkommen legitim. Der Weg zu deren Erfüllung ist steiniger als sie es überhaupt überblicken kann. Sie verzweifelt nicht. Erst ein endgültiger Schicksalsschlag lässt sie ihre Blindheit vergessen.