Die Frauen von Brewster Place

Brewster Place – vier Blöcke und am Ende der Straße eine Mauer, die mehr ist als nur ein Sichtschutz. Es ist die Grenze. Eine Grenze, die nur diejenigen überschauen können, die ganz oben wohnen und den Hals weit rausstrecken können. Hier leben die, die nicht (mehr) wegkommen. Doch sie leben hier alle zusammen. Mit ihren Träumen, ihren Wehwehchen, ihrem Glauben und der Zuversicht, dass der morgige Tag auch nicht viel anders sein wird als die vergangenen. Für die meisten ist das sogar gut so. Getratsche, Leidklagen, Nachbarschaftshilfe – auch das ist Brewster Place. Die große Stadt ist gleich um die Ecke, geographisch. Die große Stadt ist ganz weit weg, in Echt.

Mattie Michael ist so was wie die gute Seele des Blocks. Zu ihr kommt man oder sie kommt zu einem. Immer einen Rat oder zumindest eine Lebensweisheit auf den Lippen. Zusammen mit Etta Johnson besucht sie regelmäßig die Kirche. Doch die beiden Frauen haben unterschiedliche Beweggründe das Gotteshaus aufzusuchen. Rat und Trost und die Suche nach dem Glück. Eine gewaltige Mischung, die nicht zwingend zur Explosion führen muss. Doch die Unterschiedlichkeit sorgt so manches Mal für eine gereizte Stimmung.

Auch Kiswana Browne wohnt hier. Tief im Inneren ist sie eine militante Black Power Sympathisantin. Doch der Trieb wächst sich einfach nicht aus ihr heraus. Lackierte Zehennägel sind öfter wichtiger als der Kampf gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Wohl auch, weil der Kampf in ihren Augen erfolglos erscheinen mag. Die Streitigkeiten mit ihrer Mutter hingegen sind real und allgegenwärtig.

Cora Lee führt auch einen Kampf. Den gegen ihre eigene Kinderschar. Nicht falsch verstehen. Sie liebt jedes ihrer Kinder. Doch machen die es ihr von Mal zu Mal schwerer. Da der Zahnarzt einem der Sprössling Zucker und Süßigkeiten verboten hat, sucht sich das liebe Kind das ersehnte Glukoseglück eben in der Mülltonne. Das bleibt den Nachbarn nicht verborgen und schon stehen sie bei der Mutter auf der Matte.

Gloria Naylors Schriftstellerinnen-Karriere begann mit „Brewster Place“. Hier ist immer was los. Hier tobt das Leben. Hier langweilt sich der Stillstand zu Tode. Rührende Charakterstudien, treffliche Beschreibungen von Menschen, die nichts mehr aus der Bahn werfen kann, rumorende Konflikte – und dennoch bekommt man nie das Gefühl, dass hier die Welt aus den fugen geraten ist. Man arrangiert sich nicht mit den Problemen, man bietet ihnen die Stirn. Das funktioniert nur, weil in diesen vier Häusern eine Gemeinschaft gewachsen ist, die aus der Not eine Tugend gemacht hat. Und Gloria Naylor gibt ihnen eine Stimme, die weithin und lang anhaltend zu hören sein wird.