Deutschland leuchtet

Alfred Hitchcock benutzte die Vogelperspektive, um dem Mörder eine Drohung „von Oben“ zu schicken. So als ob Gott mit dem erhobenen Zeigefinger dem Delinquenten klarmacht, dass er gegen das fünfte Gebot (sofern er Katholik ist, ansonsten gegen das sechste) verstößt bzw. verstoßen hat. Der Einblick ist allumfassend. Seit dem die Technik, sprich Drohnen, so weit fortgeschritten ist, dass ein ebenso umfassender Blick eine ganze Szene erfasst, gibt es kein Halten mehr. Immer mehr Fotos „von Oben“ ermöglichen Sichtweisen, die man bisher nicht kannte. Der Fotograf Robert Grahn hat diesem Genre nun die Krone aufgesetzt. Deutschland von Oben. Deutschland in der Nacht. Deutschland leuchtet!

Er zeigt mit seinen teils ganzseitigen Fotos wie agil das Land bei natürlicher Dunkelheit ist, und wie farbenfroh es des Nachts im künstlichen Licht erstrahlen kann. Wenn die Nacht über den Ku’damm Einzug hält, springen die Lichter der Großstadt und verzögern die hereinziehende Lähmung. Ein Lichtband durchzieht den Prachtboulevard, Häuserblöcke trotzen der fruchteinflößenden Lichtstille. Von Unten kennt man die Schaufenster der Passagen und Ladengeschäfte. Scheinwerfer, die einem ins Gesicht scheinen, sind niemandem fremd. Doch aus einer Höhe von mehr als dem höchsten Punkt rund um die Flaniermeile, sieht man erst das ganze Ausmaß des nächtlichen Funkenspiels: Vom Tauentzien bis zum Maison de France, Gedächtniskirche und Europacenter – bekannt bei Tag, ein optischer Leckerbissen bei Nacht. Aus der Vogelperspektive fast noch als Neuland zu bezeichnen.

Doch nicht nur die Metropole Berlin fasziniert in diesem prachtvollen, außergewöhnlichen Bildband. Schon der Einband mit der Dresdner Frauenkirche zieht den Betrachter in seinen Bann. Die exakt gestaltete Parkanlage inkl. Schloss Sanssouci in Potsdam, die Jerusalembrücke in Magdeburg oder der Marktplatz in Halle an der Saale, hier kann man sich sehr lang darin verlieren, das am Tag Gesehene in einer Nachtaufnahme nachzuerforschen.

Ein nächtlicher Streifzug durch Leipzig lohnt sich immer. Ein Blick, ein Appetitmacher darauf liefert Robert Grahn auf einer Doppelseite. Sie macht Lust die Stadt zwischen Alt und Neu zu erkunden. Selbst Leipziger entdecken hier ihre Stadt noch einmal neu!

„Deutschland leuchtet“ ist mehr als nur eine Alternative im Lockdown (der ist irgendwann vorbei, das Buch bleibt für immer) sich eine aussichtsreiche Zukunft auszumalen. Man wird immer wieder zu diesem Buch greifen, um den Blick von Unten, den man tagein tagaus hat, mit den Ansichten von Oben in Einklang zu bringen.