Der magische Pfad

Es gibt Bücher, die rufen unweigerlich Erinnerungen hervor. Und mit ihnen kommen die Fragen. Wann hat man eigentlich das erste Mal etwas über Haïti gehört? War es bei Graham Greene, der in „Die Stunde der Komödianten“ die Diktatur von Papa Doc demaskierte und der Weltöffentlichkeit präsentierte? Oder war die erste Berührung mit haïtianischer Kultur doch der James-Bond-Streifen „Leben und sterben lassen“, als am Beginn des Films eine Totenprozession bedächtig durch die Straßen von New Orleans zog, und nach einem Anschlag plötzlich die Stimmung kippte und der Zug sich in eine Party verwandelte? Oder hörte man von dem karibischen Land doch erst als vor einigen Jahren ein verheerender Orkan das Land in Schutt und Asche legte, die bis heute noch das Land übersät?

Gary Victor vereint in seinen Büchern sowohl die grauenhafte Zeit der Diktatur, aber auch die Verwüstungen des Hurrikans. Und eine ganz besondere Rolle spielt in seinem Werk die tief verwurzelte Kultur des Totenkults. Was bei Onlinewarenhäusern mit billig produzierten Voodoo-Puppen in schwindelerregendem Kitsch endet, trifft in seinen Büchern auf fruchtbaren Boden.

Persée Persifal – ein Name wie Donnerhall – gehört zu denen, die das Charaktermerkmal gerecht zurecht mit Stolz tragen dürften, wenn man es ihnen anheften könnte. Das ruft Neider, und vor allem diejenigen auf den Plan, die etwas zu verbergen haben und denen Persée Persifal gehörig auf die Füße tritt. Er wird vergiftet.

Und nun beginnt eine Reise wie sie nur in dem gebeutelten karibischen Land vonstatten gehen kann. Denn nicht wie unseren Vorstellungen wird der Leichnam beerdigt, die Trauergemeinde trauert … und das Kapitel ist geschlossen, steht Persée am Anfang einer beschwerlichen Reise in ein neues Reich. Er droht zum Zombie zu werden. An dieser Stelle muss man alles Gehörte und Gesehene, vor allem das klischeehafte Gelesene (Untote, Werwölfe, Vampire, und was sonst noch zu einem kitschigen Roman des Genre dazu gehört) über Bord werfen und sich ganz auf Gary Victor verlassen.

Es wird ein Seelentrip, den man so schnell nicht vergisst. Es gibt nur einen Weg, den Persée Persifal beschreiten kann. Eine steiniger Weg, der jedoch am Ende ein wahrhaft elysisches Ende haben kann. Immer wieder ertappt man sich beim Lesen dabei, dass man Mühe hat Realität und Mythos nicht so einfach auseinanderhalten kann. Das ist es aber, was die Faszination des Buches ausmacht. Eine Kultur, die fremd ist, versteht man nicht auf Anhieb. Man muss ihr Zeit geben sich zu entfalten. Dann offenbart sie sich in ihrer gesamten Vielfalt. Die Erkenntnis steht auch am Ende dieses Buches.