Das Wunder von Runxendorf

Es ist eine trostlose Zeit in den 70ern. Gerald träumt von einem Moped, einem Mädchen und einer Timex. Das ist alles, was er braucht. Doch alles, was er hat, sind seine Zigaretten, die er sich cool anzündet, eine emotionslose Mutter und einen Vater, der einen Plan hat wie er der saarländischen Dorfgemeinschaft ein Staunen abringen kann. Mit einem Partykeller. So kurz vor der WM, 1974, ist das sicher ’ne dufte Sache. Mit Farbfernseher! Wenn schon denn schon. Zur Einweihung gibt’s Schnittchen und Kartoffelsalat. Und Bier, und Mariacron. Steffi, Geralds Schwester soll die Herren der Nachbarschaft bedienen. Dass die dem jungen Mädchen öfter mal an die Wäsche gehen, stört weder Bruder noch Vater sonderlich. Ist ja nur ein Mädchen.

Die Fußballabende enden nicht selten mit einem ordentlichen Kater. Auch für Gerald. Zum Glück lässt man ihn lange schlafen. Doch eines Tages ändert sich alles für Gerald. Der Vater, ein ehemaliger Bergmann, lässt den Sohn an sich ran. Gibt ihm Geld, macht ihm Mut sich mal an ein Mädchen ranzumachen. Allerdings hat die Sache einen Haken. Vater Müller möchte von der Jugendlichkeit, der Unbekümmertheit auch profitieren. Wenn der Junior ein Mädchen mal mitbringen könnte. Während er und seine Kumpane im Partykeller mal wieder Fußball schauen. Dann ist der Weg zum ersehnten Moped nicht mehr weit…

Ein perfides Spiel beginnt. Gerald wird mit den Ritualen der Alten vertraut gemacht. Ewald Müller nimmt seinen Filius des Nachts mit auf … die Jagd. Ein Kalb soll dran glauben. Mit Hammer und Meißel. Gerald traut seinen Augen nicht. Nimmt’s aber stoisch hin. Einmal mit dem Alten was machen – kann ja nicht schaden. Auch als eines der Fußballspiele vorbei ist, das „Mitbringsel“ von Gerald ausgeweidet auf dem Partytisch liegt, schlagen bei ihm noch lange nicht die Alarmglocken an.

Michael Wäser ist der Sensenmann für die piefige Dorfidylle der 70er Jahre. Mit einem Hieb versetzt er der Szenerie einen Schlag, den sie nicht überleben wird. Und das im doppelten Wortsinn. Mit gezielt gesetzten Worten charakterisiert eine Gruppe von Menschen, die jeglicher Illusion auf ein besseres Leben den Rücken zugekehrt haben. Animalische Triebe und profanes männliches Klischeedenken unterdrücken jedes Gefühl von Empathie. Die Gemeinschaft steht im Vordergrund. Wer was hat, muss es teilen. Und für jeden Gefallen wird postwendend der Gegengefallen eingefordert.

Die Mordserie bildet den Rahmen für diese Gesellschaftsstudie, die sich ebenso jeder Untersuchung verweigert wie dem erhobenen Zeigefinger. Der Erzähler steht mitten im Geschehen. Seine unverblümte, ungeschönte Ausdrucksweise zieht ab der ersten Zeile den Leser in eine Welt, die es so – hoffentlich – nicht mehr gibt. Sie anzuschauen, jagt einem Schauer über den Rücken. Sie zu lesen, ist ein echtes Erlebnis.