Das Meer und der Norden

So eine Reise macht man nicht an einem Tag. Auch nicht in einer Woche. Einen Monat – vielleicht. Doch die Wucht der Eindrücke kann einen dann schon erschlagen. Charlotte Ueckert nimmt die Herausforderung an und lässt sich ein wenig durch den Norden Deutschlands treiben. Und da ist auch schon die erste essentielle Frage: Wo endet der Norden eigentlich? Sprachlich da, wo aus dem Wort „maken“ das „machen“ wird. Das wäre die so genannte Benrathlinie, von Aachen (besser gesagt Benrath mit dem berühmten, literarisch verewigten Schloss) über Kassel bis Magdeburg. Kulturell lässt sich die Grenze nicht ganz so genau ziehen.

Im Zwiegespräch mit einer Freundin, die in Jugendtagen nach Australien ausgewandert ist, lässt die Autorin ihre Beweggründe für dieses Buch aufblitzen. Ein wenig Rückschau halten, unbändige Neugier auf das, was sich bis heute verändert hat und der Drang dem Gedankenfluss folgen zu dürfen.

Über das einst sehnsüchtige Sylt über das lebenswerte Oldenburg führen sie ihre Streifzüge von Küste zu Küste. Markante Bauten säumen den Weg ohne den Blick zu verstellen. Wie war es, wie ist es, wie könnte es einmal sein? Fragen, die sich im Verborgenen stellt und deren Antworten gar nicht so wichtig erscheinen. Denn der Weg ist das Ziel.

Laut stampfend wird man Charlotte Ueckert nie erleben. Ihr Metier sind die leisen Töne. Sehr persönlich, so dass man fast schon dazu gezwungen wird eigene Gedanken mit ins Lesespiel zu bringen. Wie hat man diese Stadt, die Region selbst erlebt? Man entdeckt viele Parallelen, aber noch mehr Unterschiede.

So unterschiedlich die Region, so unterschiedlich sind demzufolge auch die Eindrücke der Autorin. Rügen – so malerisch. Finkenwerder – so klar strukturiert. Wismar und Lübeck so pittoresk und liebenswert wie kaum zwei andere Städte.

Wer Charlotte Ueckerts Werk ein wenig kennt, weiß um ihre Affinität zur Kunst und zur Geschichte. Ihre Biographie über Christina von Schweden ist so detailreich, das sich kaum ein anderer je wieder an dieses Thema wagen kann. Auch über Paula Moderssohn-Becker hat Charlotte Ueckert eine Biographie geschrieben – und Worpswede gehört schlussendlich mit zum Reiseplan der Autorin. Ein kleines Dorf mit einer lebhaften Künstlerkolonie, zu der auch eben genannte Moderssohn-Becker und ihr Mann gehörten, hat es ihr wirklich angetan.

Diese Reiseimpressionen strotzen vor Informationen, sind im Gegenzug aber auch sehr persönlich. Wer sich darauf einlässt, bekommt ein Buch an die Hand, das er auf eigenen Reisen im und durch den Norden immer wieder hervorholen wird und in eine ereignisreiche Welt eintauchen kann.