Das Institut in Riga

Idyllische Landschaft, ein Gutshaus, endlose Natur – hier zieht man gern die Kinder groß. So hat es sich Edda einmal gewünscht. Dass ihr Wunsch einmal in Erfüllung geht, blieb lange ein Traum. Hier, vor den Toren Rigas, lebt die Adelige nun mit ihren Kindern auf dem Kleistenhof. Ihr Mann begleitet eine hohe Stellung im Gesundheitswesen. Er leitet das Institut für medizinische Zoologie, und er ist verantwortlich für das Gesundheitswesen in den baltischen Staaten. Die waren Bestandteil des Deutschen Reiches. Als strammer Nazi, der schon früh im Dunstkreis Hitler agierte, dem die Rassentheorien keinen Schauer über den Rücken jagten, ist Herbert Bernsdorff die Kehrseite der Medaille in dieser Idylle. Außerdem sind er und seine Familie inklusive einige seiner eifrigen Mitarbeiter die einzigen Nutznießer. Mit Einsatz forschen sie an einem Impfstoffe gegen das Fleckfieber, auch Kriegspest genannt. In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Krankheit, an der man mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit sterben konnte. Läuse bieten hier einen brauchbaren Lösungsansatz. Die müssen allerdings gefüttert werden. Mit Blut. Menschlichem Blut. Und das kommt unfreiwillig von jüdischen Gefangenen. Das Institut von Riga, Originalabbildung auf dem Cover, hatte einen guten Ruf. Die Vorgänge im Inneren sind unumstößlich als abscheulich zu betrachten.

Alle Beteiligten sind verbürgt, Täter wie die Opfer. Sie haben nach dem Krieg geschwiegen, sich offen und lautstark geäußert, haben relativiert und sich von einem Leben gesprochen, das nur selten diesen Namen verdiente. Percy Gurwitz hat in Büchern über seine Zeit hier geschrieben. Er war einer derjenigen, der als „Läusejude“ Nahrungsquelle für die Heilung versprechenden Läuse diente. Er muss höllisch gejuckt haben mit der Kultur auf Beinen und Armen. Die unmenschliche Arbeit kam noch zusätzlich hinzu. Schmerzen waren an der Tagesordnung, für Wochen, Monate und länger.

Uta von Arnim wollte den Dunstschleier um dieses Institut lüften, zumindest aber Klarheit in die Machenschaften der Angestellten bringen. Und sie wollte Licht ihre eigene Familiengeschichte erhellen. Denn sie ist die Enkelin von Herbert Bernsdorff. Er starb als sie vier Jahre alt war. Für sie war er der „schöne Opa“. Das war der Krieg schon lange vorbei, der Großvater wieder als Arzt in Amt und Würden. Seine Frau Edda, der das Gutshaus gehörte, drängte ihn sich um seine Entnazifizierung zu kümmern. Er selbst wollte es nicht, wollte nicht lügen. Aber auch nicht bestraft werden.

Wie man es dreht und wendet, viel Sympathisches kann man nicht finden an Herbert Bernsdorff. Gewissenloser Wissenschaftler oder Menschenschinder – die Fakten sprechen eine klare Sprache. Und nur, weil es weitaus Schlimmeres „Kollegen“ gab, mindert es nicht seine Taten. Zur Aufarbeitung der Nazizeit trägt dieses Buch auf alle Fälle bei. Das stringente System von exakter Aufgabenverteilung trug dazu bei, dass alles dokumentiert wurde. Aber es ist auch der Grund, warum sich so viele von ihrer Schuld teilweise freisprechen konnten.