Das deutsche Zimmer

Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Eigentlich. Aber es liegt wohl in der Familie, dass sie – die namenlose Erzählerin – sich nun in einer Situation befindet, die sie niemals erwartet hat. Ihre Eltern flüchteten vor Jahren mit ihr vor der argentinischen Junta in die Bilderbuchidylle Heidelbergs. Da war sie noch ganz klein, erinnert sich, wenn überhaupt an Gerüche, den Neckar und die Bäckerei. Der Rest ist wie im Nebel verschwunden. Denn ihr Leben in Heidelberg dauerte nur ein paar Jahre. Argentinien war das Land, in dem sie aufwuchs, in dem sie lebt, sich von ihrem Freund trennte.

Nun ist sie wieder in Heidelberg – auf der Suche nach … ja, wonach eigentlich. Da ist es wieder: Dieses Eigentlich. Sie wohnt in einem Studentenwohnheim. Allein. Auf sich gestellt. Nur Miguel Javier – was ein bescheuerter Name, findet sie – ist für sie eine Art Verbindung in ihre Heimat. Er ist Argentinier und ziemlich aufdringlich. Wohl eher einsam, das wird sie bald herausfinden. Er kümmert sich um sie. Zuerst auch um seiner selbst Willen. Ziemlich schnell wendet sich das Bild, er ist für sie da. Denn sie braucht wirklich jemanden. Sie ist schwanger! Mitten in der Fremde, die einmal eine Zeitlang ihre Heimat war. Eine Heimat, die sie wieder zu entdecken hofft. Doch eigentlich … eigentlich ist sie hier, um … ja, auch das ist ihr nicht ganz klar. Heidelberg – Buenos Aires, größer könnten die Unterschiede nicht sein. Hier das betuliche Städtchen mit dem Zuckergusscharme, dort der pulsierende Moloch, in dem der Fortschritt immer nur eine kurze Zeit für Furore sorgt.

Carla Maliandis Erstling besticht durch seine konzentrierte Schlichtheit der Sprache. Eine Frau verloren im Meer ihrer Vergangenheit schwimmt sich frei von Altlasten ohne sich dessen bewusst zu sein. Will sie nur ihren Ex-Freund vergessen und eine neues Leben starten? Das gelingt nur sporadisch und mit Nichten endgültig. Wie ein Blatt im Herbstwind wird sie aufgewirbelt, und flattert planlos zu Boden. Hat sie ein Ziel? Wird sie es erreichen?

Der Leser muss tapfer sein. Immer wieder malt sich während des Lesens aus wie das Leben der jungen Frau weitergehen könnte, sollte, muss. Es gibt keine definitive Antwort. Und das ist das Spannende an diesem Romandebüt.