Damals in Alexandria

Was soll man zu dieser Familie sagen?! Sie küssten und sie schlugen sich? Liebe, Verachtung, Zusammenhalt, Prahlerei – hier kommt alles auf den Punkt, auf den Tisch, zur Sprache. Und alles in Alexandria. Die Stadt, die dieser jüdischen Familie eine Heimat geworden ist. Italien, England, Türkei – da kommen sie her, da werden sie einmal leben. Sie werden ihre neue Kultur lieben, im gleichen Atemzug nicht minder verachten. Sie werden sich anpassen. In Japan hat es schon mal nicht geklappt. Der Autohandel war mehr ein Experiment, als ein von Erfolg gekrönter Masterplan. Und so hockt man im Exil, während in Europa der Krieg wütet und sie als Juden mehr als nur laufende Zielscheiben sind.

Es ist keine einfache Familienbande. Frotzeleien gehören zur Tagesordnung. Aber eben auch der gemeinsame Einkauf auf dem Markt. Im Trubel der Zeit, des selbstgewählten Exils huschen Lichtblitze der Hoffnung an ihnen vorbei. An Gigi, Vili, Adele und alle den Anderen, die gar nicht so recht wissen wohin mit all ihrer Energie. Das ist vielleicht auch der Kitt, der sie zusammenhält. Lebenslust vs. Überlebenswillen. Und in der Ferne tönen die Kanonen von Rommels Armee. Bald schon wird auch Alexandria nicht mehr das Paradies sein, das man liebt, über das man sich so köstlich aufregen kann.

Die Sippe bekommt noch einmal Zuwachs, aus Deutschland. Wieder eine, die es geschafft hat, rauszukommen aus dem Elend und der schändlichen Umgebung. Wird Alexandria die Heimat bleiben, oder wird es einmal mehr der Ausgangspunkt einer weiteren Reise, einer Flucht werden?

André Aciman lädt den Leser ein an der Tafel dieser großen Familie Platz zu nehmen. Es wird reichlich aufgetischt. Seitenhiebe gehören zum Hauptgang. Kleine Sticheleien sind als Aperitif ein willkommener Gaumenschmeichler. Und zum Dessert die ganz große Tragödie. Wie ein Getriebener liest man sich durch die Kapitel und ist fasziniert wie Familie in dunklen Zeiten funktioniert. Dass nicht jeder jeden mag gehört zum Spiel des Lebens. Doch der unbedingte Wille dieses Konstrukt – aus unterschiedlichen Gründen – am Leben zu erhalten, überwältigt dank der Sprachgewalt des Autors. Immer wieder schlägt er Haken und lässt den Leser mit einem erstaunten Ausdruck von „is alles gar nicht so schlimm“ zurück. Fängt ihn aber postwendend wieder auf, wenn Alexandria als Synonym für Weltoffenheit und Chancenteppich dargelegt wird.

„Damals in Alexandria“ verzichtet auf klischeehafte Andeutungen und Handlungen. Zimperlich darf man nicht sein, wenn man dieses Buch liest. Der Autor ist es auch nicht. Betroffenheitskitsch ist ihm ebenso fremd wie übertriebene Darstellung jüdischen Lebens. Ganz normale Menschen, die in diesem ungewöhnlichen Buch die besondere Zeit hochleben lassen.