Celibidache: Der Maestro um Spiegel von Zeitzeugen

Es gibt sicher nicht viele, die beim Namen Celibidache in Verzückung geraten. Nicht, weil es nicht so viele Gründe gibt, sondern weil der Name fast schon in Vergessenheit geraten ist. Er war einer der Dirigenten, die dem Status des Stardirigenten – ein heutzutage viel zu inflationär gehandeltes und vor allem verwendetes Wort – fast schon eine neue Dimension verlieh.

1945 lagen Deutschland und Europa in Trümmern. Und das in jeder Hinsicht. Die Kultur musste nach den Jahren des Kampfes gegen Verleumdung, Verschleppung und Missachtung nun immer noch kämpfen. Es war die Zeit, in der die Kultur der Ablenkung diente. Die berühmten Berliner Philharmoniker standen vorerst ohne (Star-)Dirigenten da. Furtwängler, der Mann am Pult, musste sich eingehenden Prüfungen durch die Siegermächte unterziehen. Schließlich dirigierte er unter der braunen Flagge mit mehr als nur Duldung durch die Führungsriege.

Sergiu Celibidache sprang – salopp gesagt – in die drohende Lücke und füllte sie mit einer nie da gewesenen Hingabe. Er sah es nicht als Chance sich selbst zu profilieren – dafür möchte und verehrte er den großen Furtwängler viel zu sehr. Aber er machte sich das Pult zu Eigen. Mit ihm blieben die Philharmoniker nicht nur am Leben, sie alle zusammen unter dem Taktstock des jungen Rumänen legten die Grundlage für eine fortlaufende Karriere. Als Furtwängler starb, stimmte man jedoch für Karajan als neuen Maestro.

Celibidache ging und tingelte durch die Welt. Wo immer er auftrat, feierte man seine Art Musik zu interpretieren. Als er als gereifter Dirigent die Münchner Philharmoniker übernahm, schuf der Großes. Sein Orchester war in aller Munde. Er formte es, und bis heute zehrt es von seiner Strahlkraft.

Kirsten Liese lässt in ihrem Buch, das nicht nur Klassikfans und Orchesterliebhaber begeistern wird, Wegbegleiter zu Wort kommen, die das vielfältige Bild des Dirigenten vervollkommnen. Celi, wie er genannt wurde, wie er sich auch gern nennen ließ, war kein einfach einzuordnender Charakter. Das liegt aber wohl an der Wahl der Profession – wenn es denn so was überhaupt gibt. Despotisch im Sinne von seinen eigenen Vorstellungen vom Musikerlebnis so nah wie möglich zu kommen. Offen und empathisch gegenüber denen, die das gleiche Ziel verfolgten. Musiker und Dirigent auf Augenhöhe, doch niemals die Hackordnung aus den Augen verlieren. Die leidenschaftlichen Interviews mit Musikern, die mit Celi musizierten oder von seinen Erfahrungen anderweitig profitierten, lesen sich wie eine unterhaltsame Biographie, die man nicht so schnell beiseite legen möchte. Wer Celi nur noch als beleibten, im Sitzen dirigierenden, weißhäuptigen Taktgeber kennt, erfährt auf jeder Seite mehr und mehr von einem Mann, der von der Leidenschaft nach dem perfekten Musikerlebnis getrieben war. Dass sich links und rechts des Weges Opfer auftürmen, ist bis heute nicht zu vermeiden. Doch das, was bis heute von Celis Wirken noch erlebbar ist, war ihm ein Graus. So widersprüchlich kann nur ein wahres Genie sein.