Aminas Lächeln

Jeder hat mit seinem ganz persönlichen Druck zu kämpfen. Ein Gerüstbauer spürt sicher einen ganz anderen Druck, wenn er die Bauteile auf seinen Schultern trägt als eine junge Tunesierin – Amina – die jeden Tag, jede Stunde, jede Minute daran erinnert wird, dass sie rein äußerlich nicht „von hier ist“. Und irgendwann hält auch das stärkste Ventil nicht mehr stand. Dann platzt es aus einem heraus.

Im Falle von Amina ist dieses Es so, dass sie einen Mann in der U-Bahn zusammenschlägt. Sie ist Boxtrainerin, weiß also, wie sie zuschlagen muss. Weiß, wo es weh tut. Und wenn er, der sich nun am Boden vor Schmerzen krümmt, ihr zuvor ins Gesicht gespuckt hat, ist das alles zum Teil auch nachvollziehbar. Wenn es denn so war.

Wenn der Samenspender sich plötzlich von der Vaterfigur zum Vater entwickeln soll, ist das für eine der beiden weiteren beteiligten Personen ein ähnlicher Fall. Ada und Eva sind ein Paar. Ihre Kinder wurden von Ingo gezeugt. Der ist ständig präsent. Doch nicht als Vater, sondern als Freund. Als Eva vorschlägt, dass ihr Nachwuchs Ingo Papa nennen kann, bricht eine Welt zusammen. Nicht für die Kids. Nicht für Ingo. Ada wurde nicht gefragt. Nun läuft sie weg. Weg aus München. Weg ach Hamburg. Doch auch hier ist die Sache nicht aus der Welt. In ihrem Kopf spielen ihr die wüstesten und wütendsten Gedanken einen Streich.

Alles nur Einbildung? Oder alles wahr? Björn Bicker gibt den Personen in seinen Kurzgeschichten einen Raum, den sie nicht kennen. Sie treten ein und werden von sich selbst in eine Rolle gedrängt, die sie nie wahrnehmen wollten. Die sie nicht kannten. Und schon gar nicht wussten, dass sie diese Rolle mit Leben füllen können. Sie sind nicht von dieser Welt, diese Rollen. Aber die Menschen sind von dieser Welt. Nur aus verschiedenen Ecken, Ländern, Städten, aus verschiedenen Kulturen. In ihnen rattert der unaufhörliche Zug des Gewissens. Und manchmal stoppt er an Orten, die sie nicht kennen. Nun stehen sie im Nirgendwo und wissen nicht wie ihnen geschieht. Der Ausbruch aus dem einen Leben als Einbruch in ein Loch, das sie nicht ausfüllen können.

Manchmal muss man im Buch ein paar Seiten zurückblättern, um sich zu vergewissern, dass man tatsächlich hier gelandet ist. So eigenwillig sind die Gedanken des Autoren. Immer wieder findet man sich in einer Welt wieder, die man den Akteuren nie zugetraut hätte. Und das ist wahre Spannung!