Alberts Verlust

Ein zarter Film überzog die Straße, machte sie glänzend, rutschig. Und gefährlich. Wie in einem Film nimmt Albert noch einmal alles um ihn herum wahr. Der Wagen ist Schrott, genauso wie sein Leben. Nichts mehr da! Alles weg. Durch Schläuche mit dem Leben verbunden, harrt er im Krankenbett der Dinge, die noch kommen.

Gerda, seine Frau versteht die Welt nicht mehr. So hat sie ihren Albert noch nie gesehen. Sie berührt ihn, streichelt ihn, entdeckt nach all den Jahren sogar Neues an ihm. Es ist wie eine Analogie für das, was auf Albert und Gerda noch zukommen wird. Denn Albert und Gerda müssen erst wieder zueinanderfinden. Alberts Gedächtnis reicht nur noch wenige Stunden zurück. Gerda erkennt er nicht. Momentan, kurz nach dem Aufwachen hat er ein drängenderes Problem. Weiter unten, so ziemlich in der Mitte seines Körpers…

Dr. Beck sieht den Patienten Albert mit nüchternem Blick. Dass das Gedächtnis nach so einem schweren Unfall nicht mehr richtig funktioniert, ist nichts Besonderes. Gerda gefriert bei solch faktenorientierter Beschreibung das Blut in den Adern. Albert ist doch ihr Mann! Er gehört zu ihr! Sie und Albert, das ist doch eine Einheit! Albert bekommt alles um ihn herum mit. Doch die Frau an seinem Bett ist ihm fremd. Der Mann neben seinem Bett wohl ein Arzt. Albert ist der personifizierte Y2K. Zur Jahrtausendwende 1999 / 2000 befürchtete man ja auch einen weltweiten Absturz aller Computersysteme durch die Umstellung der ersten Ziffer der Jahreszahl von Eins auf Zwei. Der blieb aus. Albert muss nun mit den persönlichen Umständen seines Milleniumbugs umzugehen lernen.

Dr. Beck sieht in Albert eine Chance für einen wissenschaftlichen Erfolg. Gerda sieht in Albert eine Chance ein neues „Albert und Gerda“ zu schaffen. Und Albert? Der will einfach nur wieder Albert sein…

Das Gezerre um Alberts Gedächtnis wird von Urs Zürcher wie ein zartes Pflänzchen dargelegt. Ruhig und mit breiter Wortvielfalt begegnet er Albert auf Augenhöhe. Kein Vorwurf, keine Anklage, nur der Mensch als Opfer seiner Erinnerungen. Doch ist man denn ein Opfer, wenn die Erinnerungen gelöscht sind? Kann man noch einmal neu beginnen, ein neues Leben der Vergangenheit führen? So leise die Töne in diesem Buch, so ungeduldig liest man Seite für Seite in diesem Buch.