Around the world in 72 days

Wer heute um die Welt reisen will, steigt nach dem Frühstück in den Flieger und liegt pünktlich zum Sandmännchen wieder gemütlich auf der Couch. Dabei ist es heutzutage unerheblich, ob man nun eine Frau oder ein Mann ist. Maximal als „das dritte Geschlecht“ könnte man noch für Aufsehen sorgen. Geht man jedoch einhundertdreißig Jahre zurück, ins prüde Amerika, dann erscheint eine Reise um die Welt für eine Frau fast schon undenkbar. Die Zeitung The World suchte per Annonce jemanden, der es schaffte den Erdball zu umrunden. Welch originelle Art die Auflage zu steigern – heute unmöglich! Ein reichliches Jahrzehnt zuvor hatten Phileas Fogg und Passepartout achtzig Tage benötigt, allerdings nur im Roman von Jules Verne. Nach der Bibel das zur damaligen Zeit erfolgreichster Buch der Welt.

In den Redaktionsräumen der Zeitung wurde man fündig. Die gerade mal sich in den Zwanzigern befindliche Nellie Bly (sie schummelte ein wenig beim Alter, machte sich drei Jahre jünger, ein PR-Gag, der Name war auch eine Pseudonym) brach am 14. November 1889 zu dieser Reise von New York gen Osten auf. Ein Konkurrenzblatt schickte eine weitere Dame mit dem gleichen Ziel (Auflagensteigerung) gen Westen los. Die Leser konnten mit Coupons auf die Dauer der Reise tippen und einen Europa-Trip gewinnen. So war das damals, in der vermeintlich guten alten Zeit…

Nellie Bly sorgte ein paar Jahre zuvor schon für Furore als sie in einem erschütternd ehrlichen Buch die Zustände in einer Nervenheilanstalt anprangerte. Sie war die erste und bei Weitem sicherlich die beste Wahl, auf alle Fälle ein Glücksfall für den Verlag und bis heute für den Leser. Der Titel verrät es: Wer auf seinem Zettel die 72 stehen hatte, konnte sich berechtigte Hoffnungen auf eine Reise in die alte Welt machen.

Bei all der Faszination, die Nellie Blys Buch bis heute auf den Leser ausstrahlt, darf eines nicht übersehen werden. Ihr (halten wir es ihr mal zugute – unfreiwilliger) Rassismus ist allgegenwärtig. Es ist ein Zeichen der Zeit wie Amerika auf den Rest der Welt hinabschaute. Fast jeder Zehnte der heutigen (!) Einwohner Europas brach im 19. Jahrhundert in die neue Welt auf. Die USA beschnitten die Rechte chinesischer Einwanderer, sofern diese überhaupt welche hatten. Nellie Bly stieß ins selbe Horn als sie im Süden Chinas die Primitivität und die hygienischen Standards der Einheimischen „bemerkte“. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun, wenn man – aufgeklärt und humanistisch gebildet – am Beginn des 21. Jahrhunderts darüber liest. Es ist Rassismus, nichts mehr und nichts weniger. Unwissen schützt vor nichts. Dieses Buch aufgrund dieser Tatsache zu verteufeln, wäre allerdings auch nicht im Sinne des Erfinders. Ihr Reisebericht ist spannend und wohl formuliert und strotzt glücklicherweise auch nicht auf jeder Seite vor Vorurteilen. Man sollte sie halt bloß nicht zu sehr in den Vordergrund stellen.

„Around the world in 72 days“ ist Abenteuer zwischen zwei Buchdeckeln. Neugierig und zuweilen nassforsch steckt Nellie Bly (das phonetische Pendant  Bligh steht für Weltreisen und Entdeckertum mit strenger Hand) ihre Nase, die sie sehr wohl etwas angehen. Sie will schließlich Berichte schreiben, die man so vorher nur aus Büchern kannte. Um es vorweg zu nehmen, es gelang ihr brillant. Obwohl der der große Erfolg versagt blieb. Sie hielt nach ihrer Reise Vorträge, bekam ein großzügiges Gehalt. Doch so groß sich Amerika gab, so rückschrittlich war es bei der Umsetzung der Gleichberechtigung.