Die Rache der Mercedes Lima

Ist sie es? Ja, sie ist es! Sie. Mercedes Lima. Vor gefühlten Ewigkeiten lebte sie in seinem Haus. Als Vater noch lebte. Alberto traut seinen Augen nicht als er im Supermarkt Mercedes Lima wiedererkennt. Sie hat sich kaum verändert. Auch sie erkennt ihn wieder. Doch Albertos Freude kann sie nicht teilen. Im Gegenteil: Sie rennt davon, bezahlt so schnell wie möglich und ist ebenso schnell verschwunden wie sie wieder in Albertos Leben getreten ist.

Die Schatten der Vergangenheit treten wieder klarer hervor, klarer als je zuvor. Daniel Rodríguez Mena war Albertos Vater. War. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Guatemala fest im Griff einer Junta, die Widerworte mit dem Widerhall von Gewehrsalven erwiderte. Eine gefährliche Zeit. Eine widerliche Zeit. Eine Zeit, in der Albertos Vater an der Uni dozierte und sein Zuhörerkreis regelmäßig ausgedünnt wurde. Ihm warf man vor, dass er zu wenig tue. Gar nichts tue.

Erst Ana Mercedes Lima weckt in dem bisher ruhigen Daniel Rodríguez Mena den Drang einzuschreiten. Aus Liebe zu Mercedes? Auch, aber vielmehr, weil er in ihr eine zu Schützende sieht. Sie ist fleißig und begabt. Ja, und gut aussehend auch. Und schwanger, was in ihr den Gedanken reifen lässt, das Studium abzubrechen. Daniel Rodríguez Mena will sie unbedingt davon abbringen und erfährt Dinge, die besser niemals an sein Ohr gedrungen werden. Er bietet ihr zu allem Überfluss auch noch Asyl an. Und dann eines Tages kommt er blutüberströmt nach Hause. Der kleine Alberto, gerade mal neun Jahre alt, sieht die Explosion von Blut, wie es in seinen Augen erscheint. Er hörte die Schreie der Mutter, die den Vater nicht mehr versteht und ihn zu seiner „Hure“ wünscht. Am nächsten Tag ist Daniel Rodríguez Mena tot.

Seitdem ist viel passiert. Albertos kleiner Bruder, Daniel, der damals die Blutspuren nicht sah, ist weit weg. Alberto arbeitet als Fotograf und ist verheiratet mit Luisa, die sich immer mehr in Luft auflöst. Guatemalas Junta ist nicht mehr. Doch ihre Krakenarme sind noch spürbar.

Genauso wie die Erinnerung an die schrecklichen Stunden als der Vater blutete und dann verschwand wie so viel in dieser Zeit. Mercedes, kann sicher Licht in dieses schwarze Familienkapitel bringen. Alberto stößt mit seiner Verfolgung von Mercedes Lima Türen auf, die Licht in seine eigene Geschichte bringen, doch neue Schatten erzeugen, die er nie mehr loswerden wird. Denn Mercedes trägt mehr als ein dunkles Geheimnis mit sich. Und das schon seit einem Vierteljahrhundert…

Arnoldo Gálvez Suárez stößt mit „Die Rache der Mercedes Lima“ ebenfalls mehr als eine Tür auf. Türen, die ein Land portraitieren, das maximal eingefleischten Atlaslesern bekannt ist. Guatemala gehört fast noch zu den weißen Flecken auf der Landkarte der Literatur. Mehrere Jahrzehnte stöhnte das Volk unter einem Bürgerkrieg, der hierzulande kaum größere Beachtung fand. Erst Mitte der 80er Jahre wurde ein Friedensvertrag geschlossen. Eine echte Aufarbeitung Juntazeit hat aber nie stattgefunden. Und so lauern immer noch zahlreiche Geschichten unter der demokratischen Decke in dem lateinamerikanischen Land. Die Geschichte von Mercedes Lima steht symbolisch für das ganze Land. Wem kann man trauen, wem nicht? Wer spielt welche Rolle? Alberto will nur wissen, wer seinen Vater auf dem Gewissen hat. War es die Junta, war es ein Eifersuchtsdrama? Oder spielen noch weitaus mehr Faktoren eine Rolle, um die Schatten endgültig im Lichte des Wissens auszulöschen?