Archiv für den Monat: August 2015

Hotel Schräg

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Es ist schon schräg hier, im Slant House. Alles ein bisschen runtergekommen. Optimistisch könnte man es als urig bezeichnen. Doch der leicht patinierte Charme täuscht nicht. Die Patina hat schon aufs Gebäudeinnere übergegriffen. Der Chef, Alain Schräg ist ebenso kurios wie berühmt seine einstigen Gäste waren. Der Fotograf Valéry Vale hat hier genächtigt und auch gearbeitet. Und schon ist der Leser mitten in einer schrägen (!) Geschichte. Als Benôit Flucks samt Freundin Lola im Hotel Quartier beziehen, entwickelt sich eine haarsträubende Geschichte.

Die beiden nächtigen in einem Zimmer, in dem der berühmte Fotograf Vale auch schon übernachtete. Von seinen Bildern gibt es nicht mehr viele auf dem Markt. Nur hier, in der runtergekommensten Kaschemme der Schweizer Alpen soll das letzte noch verfügbare Exemplar zu sehen sein? Die Nase kitzelt, das große Geld lockt, Ruhm und Ehre sind zum Greifen nah. Sowohl für Alain Schräg als auch für Fluchs und Lola.

Martin Walker, nein, nicht der mit dem unerschöpflichen Ideenreichtum und unbändigen Geschäftssinn und dem Kommissar aus dem Perigord, sondern Martin Walker der Journalist mit dem untrüblichen Gespür für außergewöhnliche Reisebücher („Schweiz für die Hosentasche. Was Reiseführer verschweigen“) führt den Leser in die Tiefen der menschlichen Neugier. Ein Kunsthistoriker, der seine große Chance wittert. Ein Hotelier, der seine letzte Chance sieht. Eine Frau, die erst gar nicht begreift, dass zwei Männer in ihr das Gleiche sehen: Eine Chance.

Der Leser weiß gar nicht wie ihm geschieht. Hanebüchene Story oder Tatsachenroman? Fakten, die keine sind, aber so überzeugend dargebracht werden, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, die Personen zu googeln. Das ist Literatur wie sie sein soll. Es gibt kein Echt und Unecht. Alles Fiktion oder doch Realität? Als Leser fühlt man sich nicht verschaukelt, eher animiert weiterzulesen, sich in die Gehirnwindungen der Personen zu versetzen. Alles so echt, so nah. Und doch alles erfunden! Oder doch nicht?

Die leere Wand – Museumsdiebstahl: Der Fall der zwei Turner-Bilder

Die leere Wand - Museumsdiebstahl Der Fall der zwei Turner-Bilder

Was macht eigentlich ein Museumsdirektor den ganzen Tag? Bilder angucken? Neue Ausstellungsobjekte suchen? Auch! Doch manchmal wird der für Außenstehende nicht besonders spannende Job zu einem Abenteuer, das schier unendlich andauert. Nämlich genau dann, wenn ein Bild – oder mehrere – auf Nimmerwiedersehen verschwindet. So geschehen Ende Juli 1994. Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt zeigt seit einiger Zeit unter anderem zwei Bilder von William Turner. Versicherungswert: 24 Millionen Pfund Sterling. Und die wurden durch zwei weiße Flecke an der Wand ersetzt. Autor Sandy Nairne war zu dieser Zeit Programm Direktor der Tate Gallery London, der die Bilder gehörten. Von nun an hat er eine zusätzliche Aufgabe: Die Bilder wieder beschaffen! Davon erzählt er in diesem Buch.

Schon kurze Zeit nach dem dreisten Raub gibt es erste durchaus erfolgversprechende Hinweise auf den Verbleib der Bilder. Die Versicherungsgesellschaft ist daran interessiert die Versicherungssumme nicht auszuzahlen. Die Tate Gallery will ihre – als nationales Heiligtum anerkannten – Bilder zurück. Die Kunsthalle Schirn will die Schmach des Verlustes auswetzen. Die BBC will eine einzigartige Doku drehen. Und … Trittbrettfahrer wollen auf den rollenden Geldzug aufspringen. Da ist einiges zu organisieren für Sandy Nairne. Als Detektiv zu arbeiten, konnte er sich nie vorstellen…

Muss er auch nicht. Er hat ein Team von Experten um sich sowie die Ermittlungsbehörden. Schritt für Schritt nähern sie sich den Tätern, die dann schließlich auch gefasst und verurteilt werden. Von den Hintermännern und den Bildern jedoch fehlt weiterhin jede Spur. Erst acht Jahre später sollen sie wieder an ihrem Platz hängen. Wie es dazu kam, wer mit wem welche Allianzen eingehen musste und wie viel Absprachen in diesem Metier wirklich wert sind, beschreibt Sandy Nairne auf besonders anschauliche Art und Weise. Doch damit nicht genug!

Sandy Nairne beschäftigt der Fall nicht nur die gesamten acht Jahre hindurch, sondern auch darüber hinaus. Er macht sich Gedanken, wozu Kunst überhaupt gestohlen wird. Ausstellen kann die Objekte nicht. Jeder Experte kennt die Bilder und würde sie als Diebesgut enttarnen. Verkaufen? Ja, aber zu einem Bruchteil des eigentlichen Wertes. Die damit erzielten Summen reichen immer noch aus, um ein sorgenfreies Leben gestalten zu können. Aber ist das Risiko all das wert? Oder gibt es noch weitere Gründe derart öffentlich eine Straftat zu begehen?

Wie man mit dem Feuer philosophiert

Wie man mit dem Feuer philosophiert

Interessanter Titel, oder?! Wie soll man denn mit dem Feuer philosophieren. Ich lodere also bin ich. Nein, eher nicht. Vielmehr geht es darum, einen stilvollen, sprachlich ausgereiften und ungemein spannenden Ausflug in die Geschichte der Chemie – in früheren Tagen auch gern als Alchemie bezeichnet – zu machen. Schnüren Sie den Tornister und machen Sie sich auf eine Wanderung durchs Feuer gefasst.

Das Feuer ist die Kraft, die gebändigt werden muss, um Neues zu erschaffen. Das geschieht heutzutage in Laboren. Doch schon immer wurde Neues erfunden, kreiert und geschaffen, auch ohne sterile Forschungszentren. Man beobachtete die Natur. Wie schützen sich Tiere vor Krankheiten? Oder warum sind abgebrannte Flächen so ein Anziehungsmagnet für Fleischfresser? Letzteres wird heute noch exzessiv praktiziert. Beim Grillen. Ganze Sondersendungen – von „Mode“- bis „Alltagshilfe“-Sendungen – werden nur zu gerne neue Trends bei der heißen Zubereitung kalter Speisen hinausposaunt. Apropos Posaunen bzw. Trompeten: Gleich zu Beginn des Buches stellt der Autor Jens Soentgen eine wenig verbreitete, und doch existierende Methode vor Papier zu gewinnen. Der Spruch „aus Sch… Bonbons machen“ wird hier in „aus Sch… Papier machen umgewandelt. Das funktioniert wirklich. Hängt mit der außergewöhnlichen Verdauung der grauen Dickhäuter zusammen. Das alles gehört ins Reich der Waldchemie. Chemie ist eine Wissenschaft der Reduktion, wenn man also das W und das D aus Waldchemie weglässt, betrifft man den Fachbereich Alchemie.

Paracelsus und Johann Friedrich Böttger sind zwei der Meister dieser Wissenschaft, die auch heute noch mit dieser Zeit in Verbindung gebracht werden. Sie waren aber schon nah dran an Weißkitteln und Laboreinrichtungen. Gold herstellen war ihr Anliegen. Ihre Ergebnisse sind bis heute noch verfügbar. Und weiter geht es mit der Reduktion: Nimmt man den Alchemisten das A und das L, entsteht das, was so manchem Schüler die Schädeldecke abheben ließ: Chemie. An dieser Stelle alle auftretenden Personen aufzuzählen, würde zu weit führen. Doch ohne Chemie geht’s heute nicht mehr. Worin sollten wir unsere Lebensmittel transportieren? Wie sollten wir uns kleiden?

Das Feuer hat den Menschen von jeher fasziniert. Zuerst als Schauspiel, dann als Hilfsmittel, oder war es umgekehrt? Feststeht, dass der Chemie immer etwas Negatives anhaftet. Mit ihr verbindet man in erster Linie Unheil und Schaden. Erst auf den zweiten Blick werden uns die weitreichenden Auswüchse bewusst: Es geht nicht mehr ohne. Doch Vorsicht ist geboten! Wenn pufft und zischt, sollte man in Deckung gehen. Eine Weisheit, die so manchem Waldchemiker oder Alchemisten, ja selbst exzellent ausgebildeten Chemikern nur allzu oft und allzu tiefgehend praktisch nahegebracht wurde. Jens Soentgen nimmt die Furcht vor dem, was keiner versteht. Ein sprachgewaltiger Feuerlauf durch die Jahrtausende und stilvoller Abriss der Wissenschaft. Im zweiten Teil des Buches macht er das, was ein Wissenschaftler immer tun sollte: Er beweist seine Thesen. Das heißt, dass jeder Chemie erleben, fühlen und nachvollziehen kann. Und das ist es doch, was dieses Buch bezwecken will. Chemie ist nun nicht mehr nur ein Buch mit sieben Siegeln, sondern ein Zeitvertreib, der Spaß macht.

Wolf Erlbruchs Kinderzimmerkalender 2016

Kinderzimmerkalender

Übermut tut selten gut – stimmt, aber selten wurde er so eindringlich dargestellt. Wolf Erlbruch zeigt mit seinen satirischen Zeichnungen, dass man nie früh genug an Humor herangeführt werden kann.

Ein Frosch, der keck seine Zunge herausstreckt, normalerweise um einen Käfer sich einzuverleiben, lässt diesen darauf balancieren. Stilecht mit Schirm. Oder ein Hase, der sich im Skispringen versucht. Die wehenden Ohren geben ihm den nötigen Auftrieb. Sämtliche Bilder sind nicht nur wie gemalt, um die kleinen Details zu suchen, sondern sie sind einzig aus diesem Grund gemalt worden. Suchen, finden, sich amüsieren!

Und jeden Monat wartet ein neues spannendes Suchabenteuer auf die großen und vor allem kleinen Entdecker.

Spannend ist auch die Frage, warum die Katze auf dem Geländer die Treppe runterrutschen darf und der Nachwuchs nicht. Liebe Eltern, viel Spaß beim Erziehen! Mit „Übermut tut selten gut“ wird man da nicht weit kommen… Die Gefahren des Kippeln bei Tisch werden da schon eher zum Lehrbild (im April). Zum Brüllen komisch ist der Juni: Ein Schwein, das ins Wasser springt. Das witzige Detail hier: Die Badehose passt sich sogar dem Ringelschwänzchen an.

Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur eines noch: Wolf Erlbruch hat unseren tierischen Mitbewohnern nicht aufs Maul, sondern auf Mimik und Gestik geschaut. Und die ist unserem Tun viel öfter näher als man denkt.

Gebrauchsanweisung für Rom

Gebrauchsanweisung Rom

Gleich zu Beginn fühlt die Autorin Birgit Schönau den Leser auf dem Zahn. Das Buch ist gar keine Gebrauchsanweisung! Wie soll man denn eine Stadt gebrauchen? Schon kurze Zeit später wird klar, dass sie den Römer Humor schon ganz und gar verinnerlicht hat. Ja, den gibt es wirklich, den Römer Humor. Erzählen wird sie ihn das gesamte Buch hindurch und darüber hinaus. Wer meint Rom zu kennen scheint, es immer wieder mit seiner Anwesenheit beehrt hat, die unzähligen, kleinen, versteckten Geheimtipps kennt, wird hier eines Besseren belehrt. Denn Birgit Schönau ist Römerin, zugereist, aber dennoch Römerin. Sie kennt Rom so, wie nur die paar Millionen, die darin wohnen. Doch selbst unter ihnen sticht die Autorin noch heraus. Eine Wanderung durch die Stadt mit den vielen Beinamen führt mit ihr zu einem echten Wissensrausch.

Sie beginnt ihre Rundgänge an Orten, die man erstmal auf sich wirken lassen muss. Auf den Piazze wie der Piazza Navona, Piazza San Pietro oder Piazza Venezia. Vor dem geistigen Auge lässt man sie Revue passieren, verharrt in Erinnerungen. Dann beginnt das, was sich viele nicht trauen: Hinter die Kulissen zu schauen. Hinein in die guten Stuben, die Hinterhöfe betreten, die Geschichte(n) aus der Versenkung holen.

Birgit Schönau ist keine Reiseleiterin, die zum Zeichen des Erkennens einen Schirm hochhält, damit die tumbe Traube von Menschen ihr folgen kann und sie ihren Lehrstoff stumpf herunterbetet. Birgit Schönau ist die Geschichtenerzählerin, die zufällig auch Wissen vermittelt. Nur Wenige hatten das Glück so einen Lehrer zu haben. Mit grandezza und passione weht die Autorin durch die Gassen und Jahrtausende und lässt keinen Besucher / Leser zurück. Jedes Kapitel ist ein Füllhorn an Kurzweil und brisanten Histörchen. Päpste und arbeitsunwillige Nachbarn erhalten die gleiche Aufmerksamkeit wie die Trattoria um die Ecke oder der Messerschleifer.

Und – liebe Männer, aufgepasst! – sie spricht über Fußball. Nicht weil, sieSchulball von Fußball unterscheiden kann und deswegen meint Sportjournalistin zu sein, sondern weil sie sich wirklich auskennt. Mehr als so mancher, der bei AS Roma wie in Trance die Spieler anfeuert. Sie kennt das ganze Drumherum wie nur Wenige. Zum Beispiel weiß sie, wann das pane e porchetta am besten schmeckt…

Wer Rom besucht, braucht Hilfe. Die Fülle an Sehenswürdigkeiten erschlägt einen sonst. Kurze Momente der Ruhe werden mit diesem Buch mit Lokalkolorit aus erster Hand bereichert. Erst wer die Menschen der Stadt versteht, ihre Macken kennt, den Rhythmus verinnerlicht hat, wird Rom wirklich kennen. Birgit Schönau ist die Art von Reiseleiterin, der man am liebsten nicht von der Seite weichen möchte. Voller Elan führt sie den Leser durch die Ewige Stadt ohne hektisch zu werden.

Gebrauchsanweisung für das Burgenland

Gebrauchsanweisung Burgenland

Das Burgenland ist das zweitkleinste Bundesland Österreichs. Und das Jüngste. Es grenzt ans die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Das sind die wichtigsten Fakten, die Touristen aber eher als Nebeneffekt weitgehend unerheblich erachten. Darin sind sich auch die beiden Autoren Martin und Andreas Weinek einig. Denn nur durch die geographische Lage lässt sich der Reiz des Burgenlandes nicht näherbringen. Sie kommen diesem Reiz über die Menschenauf die Spur. Denn der Burgenländer hat fünf Seelen – glaubt man dem Autorenpaar.

Die erste Seele ist die kulinarische. Zuerst räumen die beiden mit dem Vorurteil auf, dass hier immer noch die einstige XXL-all-inclusive-Küche ihr El Dorado hat. Das war einmal. Unter dem zu viel propagierten Schlagwörtern saisonal und regional wird hier gekocht, gebrutzelt und geschlemmt. Und vor allem verwöhnt. Wem beim Lesen schon das Wasser im Munde zusammenläuft, der kann eines der abgedruckten Rezepte gern selber ausprobieren. Sozusagen als Einstimmung auf zwei Wochen Burgenland. Oder im Anschluss als lukullische Aufarbeitung oder genüssliches Gedächtnistraining. Eine Besonderheit sollte jede Region aufweisen können. Hier im Burgenland ist es der Uhudler. Man kann die Zunge noch so sehr verdrehen, es findet sich kein hochdeutsches Pendant dazu. Der Uhudler ist eine Weinsorte, die es nur hier gibt. Erst seit den frühen Neunzigern darf er wieder angebaut und hergestellt werden. Doch auch die EU-Bürokraten arbeiten schon wieder an einer Modifizierung, verbieten werden sie ihn wohl nicht können.

Die zweite Seele ist die künstlerische: Joseph Haydn wirkte hier am Hofe der Eszterhazys, Franz Liszt wurde hier geboren. Das allein reicht schon, um sich eine künstlerische Seele ans Revers zu heften. Doch die zahlreichen Festivals, Museen und Veranstaltungen machen das Burgenland zu einer Kulturregion.

Unternehmungslustig sans auch, die Burgenländer. Das ist die dritte Seele. Bei solchen Ausflugszielen kein Wunder. Neusiedler See, mittlerweile Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, unberührte Wiesen, auf denen man noch ganz old school Schmetterlingen hinterherjagen kann oder … ach was, die Zahl an Möglichkeiten geht schier ins Unendliche.

Fehlen noch zwei Seelen. Die Dunkle und die Versöhnliche. Nach so viel Sonnenschein auch Schatten? Nicht unbedingt. Das Autorenduo Weinek lässt – wie im gesamten Buch – hier der künstlerischen Seele (!) freien Lauf. Nicht alles, was in diesem Buch geschrieben steht, sollte man auf die Goldwaage legen. Ironisch und informativ sind nur zwei Attribute, die man diesem Buch auf keinem Fall absprechen wollte. Übrigens, Burgen gibt es hier auch!

Wenn man die fünf Seelen der Burgenländer sich erlesen hat, ist es nur noch ein Katzensprung ins Burgenland. Man ist bestens präpariert, um das einstige Bollwerk am Eisernen Vorhang zu erleben. Die „Gebrauchsanweisung für das Burgenland“ versteht sich nicht als Reiseführer im herkömmlichen Sinne, es ist das Buch, das man braucht, um die Bilder im Kopf ins rechte Licht zu rücken. Viele Zeilen geben erst vor Ort ihre wahre Bedeutung preis. Die ideale Zusatzlektüre zum Reisebuch!

Das Gelbe Haus – van Gogh, Gauguin: Neun turbulente Wochen in Arles

Das gelbe Haus - van Gogh, Gauguin

Genialität im Doppelpack – für viele der einzige Weg, um sein Potential vollständig zu entwickeln. Man denke nur an Laurel und Hardy, die nur als „Dick und Doof“ zu Weltruhm gelangen konnten. Für Vincent van Gogh und Paul Gauguin war eine Zusammenarbeit nicht von Nöten. Zumindest nicht für ihre Genialität. Neun Wochen sollten sie zusammensein. Sehen, Malen, Diskutieren, Streiten, aber auch Genießen. Martin Gayford war nicht dabei, damals im Herbst/Winter 1888. Doch er lässt den Leser in diese Zeit reisen und mit den beiden Maler-Göttern am Tisch sitzen, gewährt Blicke auf die Staffeleien und in deren Seelen.

Alles begann am 23. Oktober 1888. Der Impressionismus muss seit Jahren durch eine handfeste Krise gehen. Die Absätze und die Akzeptanz schwinden. Van Gogh hat sich – auch dank der Unterstützung seines Bruders – in Arles in der Provence niedergelassen. Das Gelbe Haus ist sein neues Zuhause. Seit ein paar Monaten arbeitet er hier, seit ein paar Wochen wohnt er auch hier. Doch van Gogh ist einsam. Dank seines Bruders kann er hier leben. Doch ihm fehlt das Leben. Das Leben, das er hofft sich zurückholen zu können, in dem Paul Gauguin, der zur Zeit auch in der Nähe des Meeres, allerdings des rauen Atlantiks, in Pont Aven wohnt. Beide Maler verbindet ein gemeinsames Schicksal: Beide verdienen mit ihrer Kunst nicht gerade viel Geld (man stelle sich vor, dass man heutzutage auf dem Flohmarkt einen echten Gauguin oder van Gogh finden könne…). Ihre Reputation ist mehr als zweifelhaft. Ihr Selbstbewusstsein ist stark angeknackst. Und diese beiden sollen nun in den letzten Wochen des Jahres 1888 hier vor der spätherbstlichen Kulisse der Provence zusammenarbeiten, leben und sich entwickeln? Ob das was wird?

Immer wieder flechtet der Autor kleine Begebenheiten aus dem Leben der beiden Künstler ein, um den Charakteren typische Züge zu verleihen. So werden die abgebildeten Werken in den entsprechenden Kontext gesetzt. Schon nach wenigen Seiten kann sich der Leser als „kleiner Experte in Sachen Gauguin und van Gogh“ bezeichnen.

Die Zeit verrinnt. Der Herbst in der Provence, das unvergleichliche Licht und die letzten kräftigen Sonnenstrahlen des Jahres lassen die beiden Künstler tagein, tagaus die Gegend auf Leinwand bannen. So gegensätzlich die beiden waren, so einvernehmlich sind ihre Studien und Bilder. Noch! Der selbstbewusste Gauguin mit Talent und der in sich gekehrte, unausgeglichene van Gogh mit dem überbordenden Talent. Van Gogh profitiert von Gauguin insofern, dass er ihm die Ruhe liefert konzentriert arbeiten zu können. Gauguin ist von van Gogh Sichtweise beeinflusst. Manchmal sitzt van Gogh in der ersten Reihe und malt, Gauguin platziert sich nur wenige Meter hinter ihm.

Die Poesie der Gemeinsamkeit sitzt auf einem brodelnden Vulkan. Die Unterschiede sind kaum sichtbar, da treten sie mit geballter Macht hervor. Das Ende ist bekannt: Eine der berühmtesten Anekdoten und die berühmteste Flucht der Kunstgeschichte. Dem Einen fehlt ein Ohr, der Andere flüchtet in die Südsee. Das kennt jeder. Doch wie es dazu kam, weiß kaum jemand. Dank Martin Gayford rücken zwei Maler wieder in den Fokus des Interesses. Exzellent recherchiert, spannend geschrieben und reich bebildert.

Wie bei Laurel und Hardy waren die beiden Maler unterschiedliche Charaktere. Laurel und Hardy hielten es Jahrzehnte miteinander aus – mal besser, mal weniger gut. Van Gogh und Gauguins Zusammenarbeit war eher ein Intermezzo von wenigen Wochen. Ihre Liaison bzw. das Ergebnis daraus ist heute Millionen wert.

Dieses Buch liest man als Unterhaltungslektüre am Baggersee, um die Lichtstimmung der herbstlichen Provence annähernd zu genießen oder als Tagebuch im Rhythmus des Kalenders ab dem 23. Oktober bis in die Weihnachtszeit. Beides hat seinen Reiz. Wer sich bisher nicht recht für die Kunst der beiden Helden begeistern konnte, wird Sonnenblumen und Landschaftsaufnahmen von nun an mit anderen Augen sehen.

22 schönste Radeltage an Main und Tauber

RaMT-Umschlag 256

Über achthundert Kilometer mit dem Rad? Da braucht man schon mehr als stramme Waden. Zum Beispiel damit aus den 861 Kilometern nicht schnell doppelt so viele Kilometer werden, braucht man mindestens einen Reiseband, der einem kenntnisreich an die schönsten Orte führt. Zugegeben an Main und Tauber ein leichtes Unterfangen.

Doch dieses Buch ist kein Reiseband im eigentlichen Sinne. Er ist speziell für Pedalisten konzipiert. Das heißt, dass hier vorrangig die Radwanderwege vorgestellt werden. Wer will schon immer einen nervösen Bleifuß hinter sich spüren? Neunzehn Touren werden vorgestellt – im Titel stehen doch zweiundzwanzig, fehlen da nicht drei? Nein, denn so manche Tour ist nur für geübte Pedalritter an einem Tag zu schaffen. Aber dieses Buch ist kein Reiseband für sportive Kilometerschinder, sondern für alle, die rollend sich an Flora und Fauna erfreuen wollen. Ab und zu mal etwas kräftiger in die Pedale treten kann nicht schaden, doch hier stehen die Erlebnisse links und rechts der Touren im Vordergrund.

Die beiden Autoren kennen die Gegend zwischen Würzburg, Tauberbischofsheim, Rothenburg ob der Tauber und Aschaffenburg in- und auswendig. Besonders die exzellent erschlossenen Radwege. Und sie wissen, was man beachten muss und wo man einkehren kann.

Jede Tour wird zu Beginn kurz vorgestellt: Länge und Profil der Strecke werden kurz skizziert, so dass jeder einschätzen kann, ob diese Tour machbar ist oder in Etappen in Angriff genommen werden muss. Eine Tour ausfallen lassen, erübrigt sich, da jeder Ausflug, jeder Abschnitt sehens- und erradelnswert ist.

Wer die einzelnen Streckenpunkte genauer erkunden will, für den sind die farbig abgesetzten Kästen im Buch eine willkommene Abwechslung. Hier werden dem Leser, der von nun an nur noch radeln will, einige Hintergrundinfos geliefert. So erfährt man auch, wo Schneewittchen wirklich zu Hause war oder was es mit Grünkern auf sich hat.

Ob allein, zu zweit oder in Familie – Radeln ist eine Wohltat für Körper und Geist. Ganz abgesehen vom ökologischen Aspekt. Wer sich klimatisiert auf vier Rädern fortbewegt sieht viel, wer die müden Knochen in Bewegung hält, hält auch Augen und Ohren offen. Und sieht noch mehr. Kann beim Entschleunigen die Zeit vergessen und sich an Main und Tauber vom Reiz der Landschaft gefangen nehmen lassen.