Archiv für den Monat: Oktober 2013

Wir müssen die Welt verändern

Wir müssen die Welt verändern

„Wir müssen die Welt verändern“ – na dann mal los! Attacke. Oscar Niemeyer kennt man meist „nur“ als genialen Architekten, der eine ganze Hauptstadt dem Dschungel Brasiliens abtrotzte und ihre mit seinen Visionen seinen Stempel aufdrückte. Als er im Jahr 2012, nur zehn Tage vor seinem 105. Geburtstag (!) starb, hinterließ er auch eine Reihe von Interviews mit Alberto Riva. Diese, zusammen mit der abschließenden Betrachtung Niemeyers über sein eigenes Leben und Empfinden, geraten in diesem Buch zu der Erkenntnis, die gleichzeitig den Titel des Buches trägt. Stillstand ist immer Rückschritt. Oscar Niemeyer war Kommunist, tief im Inneren. Genauso wie Idealist. Und Künstler. Als Handwerker sah er sich weniger. Ihn verband eine herzliche und dauerhafte Freundschaft mit Sartre und Castro. Er fühlte sich mit Che Guevara verbunden wie mit Albert Camus. Ähnlich wie Stéphane Hessels „Indignez-vous!“ (Empört Euch!), jedoch nicht ganz so kämpferisch, rüttelt er auf. Schon allein das handliche Format wird dazu beitragen, dass dieses kleine Büchlein den Siegeszug durch die Seitentaschen von Weltenbummlern antreten wird. Es immer mal wieder rausholen, darin blättern, sich der gegenwärtigen Situation bewusst werden – dafür ist dieses Buch gemacht. Jedes Jahrzehnt hat „sein kleines Büchlein“. Das Bolivianische Tagebuch in den 60ern, die Mao-Bibel in den 70ern … nur dieses Jahrzehnt hat schon zwei. Eben das von Hessel und nun Niemeyers „Wir müssen die Welt verändern“. Lesen, verstehen, handeln.

Sacher – Das Kochbuch

Sacher - das Kochbuch

Wien besuchen, ohne auch nur einmal im Sacher gewesen zu sein – das ist wie Paris zu erkunden ohne den Eiffelturm zu erklimmen. Oder den Italienurlaub ohne leckeres Gelato zu genießen. Oder in Amsterdam … naja lassen wir das! Nun ist es so, dass das Sacher als Touristenattraktion auch gern mal überfüllt ist, und man einfach keinen Platz ergattern kann. Und in absehbarer Zeit muss die Rückreise angetreten werden oder man hat noch ein hartes Erkundungsprogramm vor sich. Wien bietet ja so viel!

So muss man sich das Sacher eben nach Hause holen. Aber wie? In den Koffer stecken, geht nicht! Da bietet sich dieses – so lapidar als Kochbuch angepriesene – Buch an. „Die feine österreichische Küche“. Das klingt nach mehr. Mehr lecker, mehr Genuss am Gaumen.

Auf vierhundert Seiten hat Herausgeberin Alexandra Winkler das Beste aus dem schier unendlichen Küchenfundus des Hotels Sacher in der Philharmonikerstraße 4 in 1010 Wien zusammengetragen. Und warum? Weil sie es kann! Denn sie ist seit 2004 die Geschäftsführerin des Hotels. Und wie sie es kann. Sie hat wohl den schönsten Job in der Donau-Metropole. Denn sie darf, wann immer sie will in die Töpfe schauen, kosten und genießen. Sie muss sich maximal ankündigen. Dem Leser erlaubt sie mit diesem Buch einen fast so gehaltvollen Blick hinter die Kulissen des Betriebes. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Leser nun selber kochen … muss, nein darf!

Zum Beispiel eine gelbe Paprikaschaumsuppe. Mit einer gehörigen Portion Schlagobers. Oder Stürzerdäpfel. Kartoffeln kochen und über Nacht stehen lassen. Dann reiben und in Schmalz oder Öl braten. Zum Martinigansl passen am besten Maroni, Quittenrotkraut und Erdäpfelknödeln. Schon diese kleine Auswahl aus diesem Prachtband verrät, was da auf den passionierten Koch und Leser zukommt: Eine geballte Ladung Lebenslust und Kochkunst, die man aber zu Hause leicht nachvollziehen kann. Über die Desserts legen wir am besten den Mantel des Schweigens, sonst sabbert man noch auf das so liebevoll gestaltete Buch. Denn Germgugelhupf, Kaiserschmarren und Holunderblütenparfait sind nicht dazu geeignet, dass man einfach nur die Rezepte liest. Die muss man sofort nachkochen bzw. nachbacken. Und dann verpasst man vielleicht ein weiteres Rezept. Und dann noch eines und noch eines. Wer zu Weihnachten gern ein Kochbuch an einen geliebten Menschen verschenkt, der dieses Geschenk auch zu schätzen weiß, wird sich mit diesem Buch im Herzen des Beschenkten für immer einen Platz reservieren.

London

London

Städtereisen mit Kindern? Ein Wagnis. So viele Eindrücke strömen auf die wissbegierigen Kleinen ein. Zu viel. Da ist guter Rat teuer. Nicht immer. Denn mit diesem erstklassigen Buch ist man bestens gerüstet für eine Reise in eine der schönsten und eindrucksvollsten Städte der Welt. Einst war sie die unumstrittene Weltmetropole: London. Miroslav Sasek hat bereits 1959 dieses Buch veröffentlicht. Und es war ein Riesenerfolg. Di eNew York Times kürte es zum am besten illustrierten Kinderbuch. Verständlich. Denn die Zeichnungen in diesem Buch sind kindgerecht und auch bei Erwachsenen erstehen vor dem geistigen Auge Bilder, die man gern in der Realität sehen möchte. Die kurzen Texte umreißen das zu Erwartende in der britischen Hauptstadt.

Nun ist es beim Verlag Antje Kunstmann in einer Faksimile-Ausgabe  neu erschienen. Das heißt, es wurde nichts verändert. Der nostalgische Schleier von einem halben Jahrhundert umweht diese Ausgabe.

Der Autor sieht London durch die Augen von Kindern. Das heißt, man eigentlich nichts, denn in London herrscht immer Nebel. Ein Klischee. Aber so lockert man die Stimmung gleich zu Beginn auf. Farbenfroh geht die Reise weiter. Als erstes fallen einem die Bobbys auf. Die Polizisten in ihren schneidigen Uniformen und den für London so typischen Mützen. Nicht vergessen – das Buch wurde vor über 50 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht. Heute sind die Polizisten immer noch auffällig, aber bei weitem nicht mehr so ungewöhnlich gekleidet. Bank of England, St. Pauls Cathedrale, Billingsgate und die Börsianer mit ihren Bowler-Hüten prägen das Stadtbild heute wie damals. Okay, die Bowler sind eher Casual-Wear gewichen. Doch ab und zu sieht man diese Uniform doch noch. London ist halt doch traditionell.

Am Ende des Buches werden einige in diesem Buch dargestellte Fakten in die Gegenwart transformiert. Denn trotz allem Traditionsbewusstseins, entwickelt sich London weiter. Nicht nur die Bowlerhüte sind fast verschwunden. Auch die Fleetstreet ist schon lange nicht mehr das Mekka der schreibenden Zunft. Rupert Murdoch sei Dank. Geblieben sind jedoch die Wachposten mit ihren Bärenfellmützen. Anhand ihrer bunten Federn kann man ihre Regimentszugehörigkeit erkennen: Rot, das sind die Coldstreams, Weiß die Grendaiere, Blau für die Irish Guards, die Welsh Guards haben ein weiße Feder mit einem grünen Streifen. Nur die Schotten sind federlos. Ja, auch wir Erwachsene können aus diesem Buch lernen.

Ein köstlicher Lesegenuss für Groß und Klein. Klare Linien und knappe Texte. So wird London zum Erlebnis.

Der Tod des Landeshauptmanns

Der Tod des Landeshauptmanns

Was in Deutschland der Ministerpräsident, ist in Österreich der Landeshauptmann. Und es gab einen Landeshauptmann, dessen Bekanntheit weit über die Grenzen seines Bundeslandes Kärnten hinaus ging: Jörg Haider. Er regierte exakt 26 Monate in den 80er und 90er Jahren und noch einmal vom Frühjahr 1999 bis zu seinem bis heute zu wilden Spekulationen Anlass gebenden Tod im Herbst 2008. Und genau um diesen – für viele mysteriösen – Tod geht es im Buch des ORF-Journalisten Eugen Freund. Auch wenn dieser Roman nach eigenem Bekunden einzig allein der Phantasie des Autors entsprungen ist, weiß jeder um wen es darin geht. Denn der Begriff Landeshauptmann fand in Deutschland erst durch Jörg Haider wieder Einzug ins den Sprachgebrauch und wird noch immer mit ihm in Verbindung gebracht.

Jasmin Köpperl ist Journalistin. Ihr Freund Stefan Stragger ist … tot. Der Ermittler beim Heeresnachrichtendienstes schrieb gerade an einem echten Thriller, dessen Fortschritte er seiner Freundin regelmäßig als Mail zu lesen gab. Besteht etwa ein Zusammenhang zwischen Themenrecherche und seinem Ableben?

Die Trauer überwunden macht sich Jasmin Köpperl auf die Suche nach dem Mörder. Nach und nach kommt sie einem Geheimnis auf die Spur. Der Tote, den ihr die Polizei präsentiert, ist nicht Stefan, sondern sein wenige Wochen zuvor verstorbener Bruder. Je länger sie in den Kapiteln von Stefans Buch stöbert, umso mehr keimt in ihr der Verdacht, dass die darin beschriebenen – fiktionalen – Zusammenhänge gar nicht so weit von der – realen – Wahrheit entfernt sein könnten. In dem Buch geht es um den Tod des Landeshauptmanns Haider, Verstrickungen seiner Familie während der Nazi-Okkupation, Beziehungen zum kroatischen Regierungsapparat und der Mossad. Die gemeinsamen Urlaube mit dem mittlerweile verschwundenen Stefan waren Recherchen für sein Buch. Oder gar mehr? Jasmin erkennt so vieles wieder und stochert doch so sehr im Trüben.

Eugen Freunds Wissen um die Brennpunkte der Weltpolitik und ihrer Hintermänner verschmelzen in diesem Roman zu einer vollkommenen Einheit von Fiktion und Fakten. Es besteht mancherorts die Gefahr beides miteinander zu verwechseln. Und das sollte man als Lob anerkennen.

Es ist ein Privileg von erfolgreichen, machtbesessenen Alpha-Tieren, dass sie meinen unbesiegbar zu sein, sich alles herausnehmen zu können. Jörg Haider war so ein Machtmensch. Die Herzen und Wählerstimmen flogen ihm zu, seine politischen Ansichten waren grenzwertig, um es milde auszudrücken. Der Tod des Landeshauptmanns löste verschiedene Reaktionen aus. Die Einen waren erleichtert, weil es nun einen geistigen Brandstifter weniger gab. Die Anderen waren entsetzt ob der tragischen Umstände seines Todes. Einen politischen Feind bekämpft man lieber mit Argumenten als durch eine Tragödie. Und die war es schlussendlich. Jörg Haider hinterließ eine Frau und zwei Töchter.

Eugen Freund hinterlässt dem Leser einen erstklassigen Thriller.

Stuttgart! – Das Buch

Stuttgart! Das Buch

Fast jeder noch so kleine Tourismusverband gibt ein kleines Büchlein über seine Orte heraus. Das ist gut, das ist wichtig. Das erleichtert dem Besucher die Orientierung. Bei größeren Städten ist ein kleines Heft oder Büchlein Papierverschwendung. Denn wegen der Größe (der Stadt) würde so manche Attraktion den Rahmen sprengen.

Eine Stadt wie Stuttgart auf 30 oder 40 Seiten darzulegen ist ein hehres Ziel, jedoch ein unmögliches Unterfangen. Da bedarf es schon ein paar Seiten mehr. Stuttgart! – mit Ausrufezeichen – Das Buch trifft exakte den Nerv der Zeit. Umfassend, von Bewohnern verfasst, und richtig dick. Nur so wird man einer Landeshauptstadt gerecht.

Die Autoren wurden teils in Stuttgart geboren oder verbringen seit Jahren ihr Leben in der Schwabenmetropole. Sie schreiben über Popkultur, Wirtschaftsphänomene und sportliche Höchstleistungen. Im Vorwort schwärmt der Grünen-Politiker Fritz Kuhn von „seiner Stadt“ als Hort der Geborgenheit und Weltoffenheit.

Stuttgart ist ein Stadt, in die man sich – laut Klappentext – erst auf den zweiten Blick verliebt. In dieses Buch verliebt man sich aber der ersten Seite. Gediegen liegt es auf dem Schoß. Gleich das erste Kapitel „Vom idyllischen Wiesengrund zur modernen Großstadt – Geschichte“ empfängt den Leser mit einem stimmungsvollen Sonnenaufgang. Harald Schukraft schafft es den Leser mit seiner Orts- und Geschichtskenntnis sofort in den Bann zu ziehen. Gekrönte Häupter und historische Stadtansichten schaffen Vertrautes und Neues zugleich.

„Stuttgart! – Das Buch“ ist mehr als eine Aufforderung zum Lesen. Es ist eine Einladung in eine Stadt, die es sich auf und zwischen Hügeln gemütlich gemacht hat. Zerstört in den düstersten Zeiten deutscher Geschichte und mit akribischer Handarbeit wiedererrichtet. Wirtschaftsmotor dank automobiler Unterstützung. Das sind die nüchternen Fakten. Schmelztiegel der Kulturen, Heimat von internationalen Stars und architektonischer Blickfang, wenn man die Augen offen hält. Als 1993 hier die Leichtathletik-WM stattfand, war Stuttgart vom Hammerfest bis Feuerland, von Belfast über Peking bis Boston in aller Munde. Das als „bieder verschriene Schwabenvölkchen“ brachte tagein tagaus das Stadion zum Kochen. Noch heute schwärmen die Teilnehmer von der unglaublichen Stimmung im Rund des Stadionrundes. Stuttgart – und das beweist dieser Prachtband eindrucksvoll – ist eben mehr als „schaffe, schaffe Häusle baue“. Stuttgart hat sich seinen Ruf als Hauptstadt redlich verdient.

Die fetteschste Liebescherklärung die Stadt am Neckar. Und was für oine! Nicht nur für Wasen-Besucher, Fußballfans und Musical-Liebhaber.

Persepolis – Die altpersische Residenzstadt

Persepolis

Schon mal geritten? Schon mal eine Treppe hinauf oder hinunter geritten? Und dann womöglich noch nicht vor, sondern in historischer Kulisse? Das würde doch passen. Zum Beispiel in Persepolis. Doch Autor Alireza Shapur Shahbazi wird das berittene Volk gleich rügen. Denn die gigantische Treppe wurde nicht für Reiter errichtet, sondern damit noch mehr Huldiger dem Schah ihre Ehre erweisen und ihre Geschenke abgeben können.

Vor reichlich zweieinhalb Jahrtausenden wurde diese sagenumwobene Stadt erbaut. Dareios I. gab sie in Auftrag. Heute sind „nur noch“ die Reste des königlichen Palastes zu erkunden. Doch das reicht vollkommen aus, um tief in die Geschichte des Persischen Reiches einzutauchen. Um beim Sprachbild zu bleiben: Der Autor schwimmt vornweg. In seinen Analysen zu Bedeutung und Herkunft der einzelnen Denkmäler schwimmt er allerdings nicht. Vielmehr ist er der Experte für diese Epoche und somit auch für diese Stätte einer Weltkultur.

Im Oktober 1971 feierten der amtierende Schah Mohammad Reza Pahlavi und sein Vater Reza Schah Pahlavi das 2500jährige Bestehen ihrer Monarchie mit exorbitantem Pomp in Persepolis. Das rückte die Stadt wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Das Ende ist bekannt. Islamische Revolution. Die Ayatollahs übernahmen die Macht.

Heute kann man Persepolis wieder besichtigen. Und wie mit vielen Weltkulturerben sehen sie auf den ersten Blick alle nett aus, aber so richtig kann niemand etwas damit anfangen. Niemand? Eine kleine Gruppe von Gelehrten unter Führung des Autors widersetzt sich dem Dogma des Widerstandes gegen das Wissen.

Mit stoischer Ruhe und enormen Fachwissen gewappnet zieht Alireza Shapur Shabazi durch die Stätten der königlichen Vorfahren. Wie beim Opa auf dem Schoß lesen wir von Gesandten, die kostbare Geschmeide mitbrachten. Von Inschriften in geheimen, längst vergessenen Sprachen. Von Ritualen, die die Geschichte wieder auferstehen lassen. Von Zweck der einzelnen Bauten, die uns erst durch den Autor ihre Geschichte erzählen. „Persepolis – die altpersische Residenzstadt“ ist das Vermächtnis eines unermüdlichen Forschers, das es uns erlaubt die Hinterlassenschaften es einst so großen Reiches richtig einzuordnen.