Archiv für den Monat: Juni 2013

Kunst und Architektur – Toskana

Toskana

Es gibt Regionen auf dieser Welt, die erwecken schon ab dem puren Erwähnen einzigartige Assoziationen. Bei der Toskana kommen einem neben erstklassigem Wein und Essen Leonardo da Vinci, der schiefe Turm von Pisa und der Palio von Siena in den Sinn. Ein Urlaub in der Toskana wird wegen ihrer Vielfalt immer ein kultureller Höhepunkt. Kunst und Architektur sind die bleibenden Eindrücke, die einem als sofort ins Auge springen.

Zeit also einen entsprechenden Kunst- und Architekturreiseband für die zahlreichen Touristen der Toskana zu veröffentlichen. Denn wer einfach nur so durch die Toskana reist, wird vieles zwar sehen, aber nicht für sich entdecken.

Pisa zum Beispiel besteht nicht – wie die meisten annehmen und deswegen auch nur dorthin pilgern – aus dem schiefen Turm. Der Palazzo die Cavallieri beherbergte einst die Medici, Cosimo I. erwählte diesen ehemaligen Kommunalpalast als Sitz des Ordine die Cavallieri di Santo Stefano, ein Ritterorden. Allein vor der Fassade des imposanten Baus könnte man stundenlang stehen und die Malereien betrachten, interpretieren und in sich aufsaugen.

Das pittoreske Volterra im Westen Pisas lässt Kinderträume nach Ritterburgen und heldenhaften Schlachten erwachen. Ausgrabungen, die noch im vergangenen Jahrhundert in vollem Gange waren, brachten einzigartige Stätten ans Tageslicht.

Auf über 600 Seiten wird die gesamte Bandbreite an kulturellen Höhepunkten kompakt und kenntnisreich ins Sezen gesetzt. Ein unersetzlicher Reisebegleiter. Der Reiseband protzt nicht mit angeblichen Geheimtipps, die man sonst nirgendwo erlebt. Dieser Reiseband verzaubert durch die Masse an eindrucksvollen Bildern, die die angefügten Texte beispiellos untermalen. Das ungewöhnliche Format erlaubt es den Reiseband jederzeit mit sich zu führen und bei Bedarf darin zu blättern. Kleine Stadtpläne zu Beginn jedes Kapitels erleichtern die Planung der Ausflüge. Auch wer nicht vordergründig auf kulturellen Pfaden wandeln will, wird hier unweigerlich zum Kenner toskanischen Lebens. Renaissance und ihre Meister und Gönner werden nicht länger ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Dafür sorgen die erkenntnisreichen und präzise formulierten Erläuterungen. Selbst architektonische Merkmale wie die Gestaltung von Kapitellen und Friesen sowie ein Ausflug in die Formenlehre von Sakralbauten anhand von Skizzen lassen künftige Besuche auf angenehme Weise zu einem Schulausflug mit bleibenden Erinnerungen werden.

Dann drehe ich mich um und gehe – Restaurantgeschichten

Restaurantgeschichten

Jeder kennt irgendeine Geschichte aus irgendeinem Restaurant, die einem irgendwie in Erinnerung geblieben ist. Susanne Jaspers spuckt in ihrem neuen Buch niemanden in die Suppe. Vielmehr sind ihre Geschichten in und um Restaurants herum angesiedelt. Es sind Geschichten, die jedem schon mal passiert sind bzw. so jedem passieren können. Quengelnde Kinder, die es ihren Eltern nicht leicht machen, gerade dann, wenn das Geschäft über das Wohl der Familie gestellt wird. Oder ein Rendezvous, zu keiner kommen will, aber dann doch jeder hingeht.

Das Restaurant als Schmelztiegel der Eigenheiten. Kellner, die es dem Gast so bequem wie möglich machen wollen – Gäste, die bei gutem Essen und Getränken den Alltag vergessen wollen, es aber nicht können. Hier kann man so sein wie immer oder eine Rolle spielen. Im Restaurant spielt jeder eine Rolle.

Im Ausland – im konkreten Fall im Oman – sind Restaurants der zugänglichste Weg eine fremde Kultur hautnah erleben zu können. Auch wenn – gerade im Oman – die landestypische Kultur im Begriff ist sich multikulturell zu vermischen.

„Dann drehe ich mich um und gehe“ ist eine Hommage an die Bequemlichkeit des Bedientwerdens. Im hübsch arrangierten Ambiente kann man abschalten, Eigenkreativität wird maximal noch bei der Speisefolge verlangt. Ansonsten wird mit Bestellabgabe die Pflicht abgestellt, es regiert der freie Wille. Tragisch-komisch bis hintergründig sind die vierzehn Geschichten von Autorin Susanne Jaspers. Nachdem sie ihrer Phantasie freien Lauf ließ und ein „Trio mit Ziege“ auf Mördersuche schickte und sich anschließend genüsslich über die Annehmlichkeiten und Verschrobenheiten einer Reise auf dem Schienenstrang widmete, sind es nun die lukullischen Tempel an und abseits der Straßen (des Lebens?), die ihre Aufmerksamkeit erregten.

Wer missgünstige Kellner erwartet, die dem Gast die Laune und das Essen versalzen, wer sich auf frustrierte, sich nicht genug gewürdigte Köche freut, die den Gast mit gesalzenen Gerichten den Tagesausgang vermiesen, der wird enttäuscht. Hier steht das Leben im Mittelpunkt. Im Restaurant wird Alltagspolitik gemacht, hier werden Entscheidungen getroffen, die das Leben beeinflussen. Und dabei bedient sich Susanne Jaspers nur weniger Mittel: Exakte Beobachtungen, einfache Sprache und die Liebe zum Detail.

Am des Menüs bleibt einem nur eine Entscheidung: „Herr Buchverkäufer! Die Rechnung bitte! Es war vorzüglich – sprechen Sie der Autorin bitte meinen besten Dank aus!“

 

Geyers Schädel

Geyers Schädel

Zu seinem 200. Geburtstag erfährt Richard Wagner die Aufmerksamkeit, die ihm über Jahrzehnte entzogen wurde. Über sein Werk – da sind sich die Experten einig – gibt es wenig zu diskutieren. Monumentale Musikgeschichte, die selbst im Filmgeschäft als Meilensteine eingesetzt werden (drohende Gefahr im Anflug ohne den Walkürenritt – undenkbar). Richard Wagners politische Einstellung und sein Antisemitismus riefen und rufen immer wieder Mahner auf den Plan, Wagner nicht allzu sehr zu glorifizieren.

Marcus Imbsweiler schlägt einen anderen Weg ein. Er schickt zwei Kommissare in die Spur einen Schädel einem Korpus zuzuordnen. Um dem Ganzen die Wagner‘sche Schwere zu nehmen, verteilt er die Geschlechterrollen sehr traditionell: Er, der Chef – Sie die Assistentin. Einige urkomische Situationen entschärfen jedoch die drohenden feministischen Anfeindungen dieser Rollenklischees.

In einem Wald bei Bayreuth wird ein Schädel gefunden. Ein mörderisches Verbrechen muss dahinter stecken. Den Kommissaren und somit auch dem  Leser werden schnell klar, dass es sich einen besonderen Schädel handelt. Haderer und Leschkowski – so die Namen der Ermittler – kommen einer Geheimorganisation auf die Spur. GRAL – die Bedeutung der Abkürzung wechselt des Öfteren im Laufe der Geschichte, um Verwirrung bei den Beamten zu erzwingen.

„Geyers Schädel“ ist die wohltuende Alternative zum Wagnerwahn im Jahr 2013. Keine bloße Faktenaneinanderreihung, die immer neue Erkenntnisse über den „großen deutschen Komponisten“ ans Licht befördert. Vielmehr eine despektierliche Abhandlung über das, was wäre, wenn es so abgespielt hätte. Ein Zeitreise der Ermittler nimmt den Leser mit in Wagners Zeit, von Leipzig über Dresden nach Bayreuth. Kein Skandal, der die Kunstwelt erschüttert, eine amüsante Sichtweise auf das Leben Wagners in der Vergangenheit und seiner Jünger in der Gegenwart. Laut dem Autor kommt der Untertitel Kapitulation, also eine Unterwerfungserklärung, die von caput tollere, das Haupt verlieren, stammt. Laut Lexikon stammt es von capitulare, „in Kapitel einteilen“. Imbsweilers Roman erfüllt beide Erklärungen mit Inhalt: Die einzelnen Kapitel drehen sich nur um eines, ein verlorenes Haupt.

Ein Wenig Geschichts- und Wagnerkenntnisse sind von Vorteil, um den Witz des Romans vollständig zu erkennen. Dann wird „Geyers Schädel“ zu einem umwerfenden, ungewöhnlichen Lesevergnügen.

Tierische Profite

Tierische Profite

Die Lottozahlen im Spiel „Vier aus Venedig“: 1 – 4 – 21 – 336. Die Nummer-Eins-Autorin, wenn es um Verbrechen in der Lagunenstadt geht, Donna Leon, hat den einundzwanzigsten Falle ihres Commissarios Brunetti fertig und schickt ihr Erfolgsquartett aus Brunetti, Vianello, Elettra, und dem unvermeidlichen Vice-Questore Patta in ein 336-Seiten-Rennen. So was nennt man dann wohl einen Volltreffer!

Das Opfer sieht das natürlich etwas anders. Aufgedunsen wird er aus den Kanälen der Stadt gezogen. Auffallend ist die deutliche Deformierung des Körpers: Ein Hals ist kaum erkennbar. Madelung-Syndrom lautet die Diagnose. Ein Ermittlungsansatz? Brunetti kennt den Toten – nur leider weiß er nicht mehr genau woher. Diese Augen – ja sie sagen dem Commissario etwas. Aber was?

Weiterhin fallen dem aufmerksamen Ermittler die offensichtlich nicht zum Rest der Kleidung passenden Schuhe auf. Die Kleidung ist eher Massenware, nichts Besonderes. Die Schuhe hingegen sind auffällig und von erlesener Qualität.

Brunetti kommt an die Grenzen der Ermittelbaren, oder an die Grenzen seiner Kombinationsgabe. Erste Anzeichen für eine Zäsur im Leben des erfolgreichen Commissarios? Schließlich hat er all seine Fälle bisher gelöst. Leise klingen erste Töne von Aufhören an. Ein Omen?

Der Leser wird in routinierter Weise von Donna Leon durch die Lagunenstadt geführt. Während man so durch die Kanäle schlendert und sich den Verfall der Stadt aus sicherer Entfernung anschauen kann, strengt Brunetti seine grauen Zellen an. Double-Feature. Doppelvorstellung. Zwei Reisen zum Preis von einem. Zum Einen das gemütlich Dahinschippern über die nicht immer so glatten Kanäle, zum anderen die rauhe Gischt des Verbrechens und die Kälte der Profitgier.

Der Leser wird sanft auf die Folter gespannt. Erst nach und nach verschwindet der Schleier des Unwissens. Bruchstückhaft liest man sich in den Fall ein. Ein Löffelchen Wissen hier, ein Häppchen Hintergrund da. Reichlich 300 Seiten voller Erwartung darauf, was noch kommt. Vom Leser wird viel Geduld erwartet. Aber er wird auch belohnt…

Wieder einmal gelingt es der Wahl-Venezianerin Donna Leon zwei Seiten der Venedig-Medaille zu zeigen. Hier die Faszination des Einzigartigen und da die hässliche Fratze des Bösen. Geldmacherei um jeden Preis, gepaart mit Skrupellosigkeit und dem Glanz der Lagunenstadt. Dass Brunetti den Fall lösen wird, ist klar. Dass er ich meiniges abfordern wird ebenso. Leise und analytisch ohne große Denkerpose beeindruckt der Commissario den Leser mit seiner Einsatzbereitschaft und seinem unbedingten Willen Täter zur Strecke zu bringen und Opfern Genugtuung zu verschaffen. Den Traum von Gerechtigkeit hat er fast schon aufgegeben. Die gibt es nur noch im Film.