Archiv der Kategorie: aus-erlesen wissen

Amazonia

Was haben Alexander von Humboldt, Jules Verne und Klaus Kinski gemeinsam? Ihr Ruhm ist eng mit dem Amazonas verbunden. Der Eine durchstreifte den Dschungel, mit diesen Erkenntnissen konnte der Zweite einen faszinierenden Roman schreiben und der Dritte fühlt e sich hier wie der König der Welt, vor und neben der Kamera. Der Amazonas zieht alle in seinen Bann. Und so war es nur eine Frage der Zeit bis (endlich!) Patrick Deville auch dem Amazonas-Fieber verfiel.

Einmal mehr nimmt er den Leser mit ins Dickicht der Unwissenheit, um mit der Machete der Neugier und dem Drang nach Abenteuern das Licht der Erkenntnis zu finden. Es wird eine Entdeckungsreise der persönlichen Art. Denn viele der Pflanzen und Tiere, die – meist nur hier – vorkommen, wurden schon einmal entdeckt. Aber eben noch nicht von Patrick Deville.

Vielmehr liegen ihm aber die Begegnungen am Wegesrand am Herzen. So versinkt er in der Geschichte der Stadt Manaus mitten im Herzen Brasiliens, dort, wo der Amazonas in schier unendlicher Breite Siedler dazu brachte sich niederzulassen. Heute eine schwitzige Metropole, die in Sachen Quirligkeit den Hafenstädten am Atlantik und am Pazifik in Nichts nachsteht. Und das obwohl sie tausende Kilometer von jedwedem Meer entfernt ist. Hier steht das dschungeligste Theater der Welt, hier herrscht eine Lebendigkeit, die weder durch extreme Luftfeuchtigkeit noch exorbitante Kriminalität beeinflusst wird.

Immer wieder kommt Patrick Deville mit Menschen zusammen, die das Schicksal hier her verschlagen hat. Botschafter, Glücksritter, Einheimische, die ihre Nachbarschaft noch nie verlassen haben. Sie alle zeichnen dem Autor und somit auch dem Leser ein Bild einer Landschaft, das so farbenfroh ist, dass man geblendet ist von der Pracht der Eindrücke. Von Hernán Cortés über die ersten Siedler bis zu Werner Herzog, der wie kein anderer (Verrückter) dem Dschungel und dem Fluss ein Denkmal setzte, stapft Patrick Deville durch die Geschichte dieser Region, um Behutsam ihre Geschichten aufzudecken. Schon nach wenigen Seiten ist man ein Fan. Fan von dieser einzigartigen Landschaft, die dem Verfall preisgegeben wird. Fan von Patrick Deville – sofern man es nicht schon lange ist, schließlich führen seine Bücher Leser seit Jahren durch das Kambodscha der Roten Khmer, das Mexiko Leo Trotzkis, das Afrika bedeutsamer Forscher und und und – weil er es versteht Verständnis zu zeigen und zu vermitteln. So eine Forschungsreise macht man am Liebsten mit Patrick Deville!

Geheimsache Italien

Würde dieses Buch von einem Journalisten, einem Fanatiker, einer Rampensau, die nur das Scheinwerferlicht sucht, geschrieben worden sein, dann wäre dieses Buch nicht mehr als ein Aufschrei ohne Substanz, das alsbald auf dem Wühltisch der Buchhändler landen würde. Doch hier schreibt einer, der es wissen muss. Giuliano Turone war Richter am Kassationsgerichtshof, Professor für Investigationstechniken und nahm an den Prozessen am Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag gegen die Kriegsverbrecher im Jugoslawienkrieg teil. Und – damit ist es endgültig bewiesen, dass er kein blindwütiger Agitator ist – er leitete die Untersuchungen gegen die Loge P2 und war Mitglied der Antimafiakommission.

Auch ohne viele Vorkenntnisse – wer dieses Buch bewusst auswählt, ist automatisch mit einer Portion Grundwissen ausgestattet – kommt man (kopfschüttelnd) schnell auf seine Kosten, wenn man sich für politische Intrigen und deren Strippenzieher interessiert. Detail- und lehrreich führt Giuliano Turone den Leser in eine Zeit, in der Italien (wieder einmal) vor einer Umwälzung stand. Schon lange waren in dem Land Mächte am Werk, die lange Zeit unbehelligt ihrem Tagwerk nachgehen konnten, weil die eigentlichen Machthaber weit weg waren. Weit weg in jedwedem Sinne. Stichwort Mafia. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Angst vor den Kommunisten größer als die Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Lieber mit der Mafia paktieren als Moskau einen fruchtbaren Boden zu bereiten, war die Devise.

Im Laufe der Jahre waren derart viele Mächte am Werk, dass es einer weiteren Macht bedurfte, die diese Kräfte bündelte. P2, Propaganda Due, war diese Macht, die in der Lage war Italien – in ihrem Sinne – in die richtigen Bahnen zu führen. Ursprünglich eine Freimaurerloge, also humanistisch, aufklärerisch geprägt. Zu ihr gehörten Mafiosi, Politiker (bis hin zu Ministerpräsidenten), Polizisten, Intellektuelle, Kleinkriminelle, Kirchenleute – kurzum: Der so genannte repräsentative Querschnitt der Bevölkerung. Sie vertuschten Verbindungen, ließen Akten vernichten, planten Attentate und Entführungen, ballten eine unvorstellbare Macht in ihren Reihen. Sie waren auf einer Stufe der Machtgier angelangt, in der Geld keine Rolle mehr spielt. Und das obwohl ihre Sparschweine wegen Fettleibigkeit ihren Aktionsradius erheblich einschränken mussten.

Schlagworte, die dieses Buch als Eckpfeiler benutzt sind die Entführung von Aldo Moro und das Bombenattentat am Bahnhof von Bologna zu nennen, weil sie medial die größte Aufmerksamkeit auch in Deutschland erhielten. Mit Akribie wühlt sich der ehemalige Richter Giuliano Turone durch einen schier unendlichen Berg von Akten und Beweisen, ordnet sie – was allein schon unmenschlich erscheint ob der gigantischen Menge – und serviert dem Leser ein Menü, das einem die Kehle zuschnürt. Bloße Verschwörungstheorien? Mitnichten, auch wenn immer noch versucht wird alle Argumente mit einem Handstreich hinwegzuwischen. Nicht umsonst hatte Silvio Berlusconi P2 als eine Art Gentleman-Club bezeichnet…

Bei der Lektüre von „Geheimsache Italien“ liegen kopfnickendes „Si“ und erschreckendes „Oh no“ so eng beieinander, dass einem manchmal schwindelig werden kann.

Grenzland – Borderlands

Wenn ein Märchen mit „Es war einmal …“ beginnt, wähnt man sich in sicheren Gefilden, freut sich auf eine phantastische Reise … mit happy end. Die Geschichte eines Volkes mit „Es war einmal …“ in Verbindung zu bringen, ist mit Vorsicht zu genießen. Denn dieses „war“ ist mit Schmerzen, Leid und Respektlosigkeit eng verwoben. Die Grenzen verschwimmen hier nicht, sie sind klar ersichtlich und mit keiner Silbe unumkehrbar.

Die kleinen Städte – jiddisch Schtetl – im Osten Europas waren einmal Zentren jüdischen Lebens. Hier lebte man fernab der eigentlichen Heimat, baute sich über Generationen eine neue Heimat auf. Behielt die Traditionen bei, pflegte sie, hegte sie, bildete sie weiter aus. Man fügte sich ein, passte sich an, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Bis man es musste. Bis man vertrieben wurde. Bis man … gejagt, verjagt, gefangen, deportiert, ermordet wurde. Und das nur, weil man an einen Gott glaubte, den die Täter nicht folgen konnten. Weil man einer jahrtausende alten Hetzjagd ausgesetzt war, die für viele Grund genug war, selbige fortzusetzen. „Einfach so“, weil man es konnte, weil es von Oben erlaubt, ja sogar befeuert wurde.

Der Fotograf Christian Herrmann reist zu diesen Orten in der Ukraine, in Belarus, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Er sucht diese Orte, findet sie und dokumentiert – künstlerisch auf höchstem Niveau und in bestechender Klarheit – was nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Nur wer genau hinsieht, erkennt die teils kläglichen Reste einer Kultur, die präsenter ist als manch verklärter Irrgänger es sich eingestehen will. Es sind kleine Kuppeln, Häuserfassaden, ganze Straßenzüge und plattgemachte Orte, die er mit seinen Bildern in die erste Reihe zieht.

Ab und an sind noch Schriftzeichen zu erkennen. Mahnend von der Restaurierung der Gegenwart unberührt gelassen. Manchmal sogar erneuert und in die Moderne transferiert. Detailaufnahmen decken für den Betrachter explizite Details auf, die der so niemals erkennen könnte.

Offensichtliches, wie jüdische Friedhöfe, die wegen ihrer dichten Fülle immer noch als solche zu erkennen sind, stehen kleinen versteckten Schätzen gegenüber, so dass man sicherlich beim nächsten Rundgang, auch durch die eigene Stadt einmal genauer hinschauen wird. Wenn Grabinschriften erst und gerade durch hervorbrechende Flora zu neuem Leben erwachen, ist das mehr als nur ein Bild. Hier steckt eine Symbolkraft im Objekt, die noch lange anhalten wird.

Der Kunstgriff dieses Buches liegt in der Erläuterung der Bilder. Kein bedeutungsschwangerer Text stört den Bildrundgang. Ein am hinteren Buchrücken eingehangener Appendix setzt die Abbildungen in den passenden Kontext. So wird der Eindruck der Bilder durch nichts abgelenkt. Dieses Nichts ist derart nachhallend, dass man sich ihm nicht verschließen kann. So soll es sein!

Havel

Die Havel ist wohl der lebendigste Fluss, den es gibt. Es ist eine sanfte Geburt im Herzen Mecklenburgs. Dann schlängelt sich der Fluss wie ein lebhaftes Kind durch die Landschaft. Immer wieder stoppt es, bleibt stehen, schaut sich neugierig um. Dann staut es sich. Kleine Seen sind kaum noch als Havelfluss erkennbar. Dann wird es etwas stürmischer, die Havel kommt in die Pubertät. Steuert unvermeidlich auf die Partyhochburg Berlin zu. Tanzt und tobt sich aus. Doch niemals über die Stränge schlagend. Bis ihr irgendwann alles mal zu viel wird und sie trotzig gen Westen abdreht um dann gedankenverloren in der Elbe aufzugehen. Das nennt man dann wohl Lebenslauf…

Auf den 325 Kilometer Lebensweg erlebt man das, was manche nicht in tausend Jahren erleben werden. Niemals darf man außeracht lassen, dass dieser Fluss vielen bekannt ist. Das bedeutet, so ganz allein hat man besonders in den Sonnenmonaten niemals. Aber das bedeutet auch, dass Reisebücher wie dieses – immer auch schon die vierte Auflage – immer mehr an Bedeutung gewinnen. Denn nichts ist schlimmer als den wohl verdienten Urlaub mit anderen genießen zu müssen, die unter Erholung und Genuss etwas anderes verstehen als man selbst. Hat man Sinnesgenossen getroffen, ist es ein Leichtes bei der gemeinsamen Lektüre dieses Buches den nächsten Tage, den nächsten Trip auszukundschaften.

Dreihundert Seiten – also cirka eine Seite pro Kilometer Flusslauf – sind ausreichend, um der Havel die gebührende Ehre entgegenzubringen. Avus, Wannsee, Pfaueninsel – drei Namen, dreimal Sehnsuchtsorte. Unbestritten. Doch selbst in ihrer nächsten Umgebung gibt es Orte, die man suchen muss, die sich aber auch gern finden lassen. Wie der Friedhof der Namenlosen. Hier liegen Leute, deren Ende sich jäh vollzog, um die aber niemand trauern kann, weil sie keinen Namen tragen.

Die alte Industriestadt Brandenburg wird sicher jeden, der sie noch nie oder zum letzten Mal vor Jahren besuchte, in Erstaunen versetzen. Die rauchenden Schlote sind Vergangenheit. Heute regiert das Grün, liebliche Straßenzüge, romantische Uferpromenaden sind die Zierde dieser Stadt, die vor dreißig Jahren noch in einen Rauchkokon getaucht war. Der weitere Verlauf gen Westen wird wieder von einer unendlichen Weite geprägt. Obstwiesen, ertragreiche Felder, endlose Alleen und dicht bewachsene Ufer – das ist es, was man zu sehen bekommt, auch wenn man nicht direkt danach sucht.

Mit diesem Havel-Reiseband wird eine Kulturlandschaft erlebbar, die noch immer entdeckt werden kann. Man muss nicht mal so tief suchen. Eigentlich muss man nur in diesem Buch blättern…

Feldberger Seenlandschaft

Auch erfahrene Reisende überlegen erstmal ein bisschen. Feldberg – okay, Freiburg im Breisgau oder Taunus. Aber Seenlandschaft – gibt’s weder hier noch da. Wo soll das denn nun wieder sein? Kürzen wir es ab: Die Feldberger Seenlandschaft ist eine Region nördlich von Berlin, südlich von Neubrandenburg, im Westen begrenzt durch Neustrelitz, das östliche Ende markiert Prenzlau.

Das Besondere an dieser Region ist nicht nur ihre Verschwiegenheit, sondern das Paradoxon, dass man selbst ohne störende Hügel nicht immer weit schauen kann. Das liegt daran, dass man hier eine Landschaft vorfindet, die das Prädikat „ursprünglich“ wie selbstverständlich sich selbst umhängt. Urwald gibt es also nicht nur in fernen Ländern, sondern auch um die Ecke – je nachdem woher man kommt (die Freiburger Feldberger werden sicher nicht von „um die Ecke“ sprechen…). Doch egal wie lange die Anfahrt ist, jede Minute der sehnsuchtsvollen ist kostbar und nicht verschwendet.

Luzin – dieses fremd klingende Wort wird jedem in Erinnerung bleiben, der sich hier einmal – und sei es nur für Minuten – niedergelassen hat. Schmaler Luzin, um genau zu sein. Ein kleiner See, der durch den Bäk mit dem Carwitzer See verbunden ist. Wer gern paddelt, hat vielleicht schon davon gehört. Wer’s noch nicht kennt, will unbedingt dorthin. Und vielleicht auch paddeln. Für sie und alle anderen hat sich Mutter Natur eine Besonderheit ausgedacht. Auf kleinstem Raum kann man ungestört herumstromern, eine flügellahme Mühle besichtigen, bei Hans Fallada in die Küche schauen, auf Findlingen herumklettern, eine über 300 Jahre alte Kirche besuchen und himmlische Ruhe genießen. Wer es schneller mag, schafft das alles in ein paar Stunden – doch dann wäre der letzte Punkt, die Ruhe, futsch. Sich Zeit nehmen, alle Sinne öffnen – so erlebt man die Feldberger Seenlandschaft!

Immer wieder staunt man beim Lesen über die Fülle an Highlights, die man in dieser – für die meisten unbekannten – Gegend erleben kann. Immer wieder stolpert man auch schon beim Blättern über Anekdoten, frische Hintergrundinformationen und detailreiche Karten. Schlossgeschichten und Gartenlatein geben sich die Klinke in die Hand. Kulinarische Wegweiser und Gedenkorte sind hier so selbstverständlich wie der Drang dem Umblättern das Herumtreiben anzufügen.

Sternbilder der Welt

„Ich seh’ den Sternenhimmel, Sternenhimmel…“ aber nur, wenn man nicht mitten in einer Großstadt wohnt. Denn, wenn es um einen herum 24 Stunden taghell ist, ist die Chance das komplette Himmelszelt mit den unendlich vielen Lichtern auch wirklich zu sehen. Da muss man schon ein bisschen reisen. In die Höhenalgen. Raus aus der Stadt. Und man braucht natürlich auch ein wenig Glück – schließlich sind auch Wolken der natürliche Feind für Sternengucker.

Stefan Liebermann ist gereist. Und wie! Mit im Gepäck seine Fotoausrüstung und der Drang den Sternenhimmel ihm gerecht werdend in Szene zu setzen. Doch wer nun meint in diesem Prachtband „einfach nur schöne Bilder“ zu sehen, wird überrascht sein, wie lehrreich so eine Umblätter-Foto-Safari noch sein kann. Stefan Liebermann zeigt nicht einfach nur die Schönheit des strahlenden Nachthimmels, er erzählt auch wie er es schaffte diese gigantische Leinwand derart eindrucksvoll abzubilden.

Hat man sich erst einmal an die überbordende Fülle an Eindrücken gewöhnt, ist man auch bereit nachzulesen, warum diese Bilder beeindrucken. Lichtquelle richtig setzen, Belichtungszeit auswählen, Bildausschnitt wählen sind nur einige Parameter, die man beachten muss, um auch nur annähernd diese Bilder mit der Kamera einfangen zu können.

„Sternbilder der Welt“ ist das rund um gelungene Sternenspektakel, das kein Animationsprogramm der Welt so exakt wiedergeben kann. Alles echt. Alles so nah und doch so fern. Wenn einem schon die Sterne vom Himmel geholt werden, dann sollte man sich in Ruhe zurücklehnen und jeden Moment genießen.

Es ist immer wieder erstaunlich wie vielfältig der Sternenhimmel abgebildet werden kann. Auch, wenn man nur ein knappes Zwanzigstel der theoretisch sichtbaren Sterne, Planeten, Galaxien sehen kann.

Den Abschluss bildet ein Exkurs in die Astrofotografie. Kleines Beispiel: Den Nachthimmel am besten bei Neumond fotografieren. Und Nacht ist nicht gleich Nacht.

Wer es partout nicht lassen kann … der blättert einfach noch mal durchs Buch, und noch einmal … der Sucht dieses Buch immer wieder anzuschauen muss man einfach nachgeben.

Thomas Mann – Glanz und Qual

Da ist er wieder, oder immer noch. Der Dauerbrenner der deutschen Weltliteraturszene, dessen Feuer niemals verglüht. Hanjo Kesting hat sich ein Leben lang mit dem Schriftsteller beschäftigt und im vorliegenden Buch eine Charakterisierung des Mannes erstellt, der bis heute Literaten, Literaturkritiker und Fans beschäftigt.

Ein streitbarer Autor war Thomas Mann zeitlebens. Das Kaiserreich war ihm näher als er sich vielleicht selbst eingestehen wollte. Die Demokratie in Deutschland sah er kritisch, weil er ihre Schwachstellen erkannte. Die Diktatur verabscheute er wie kein anderer wortgewaltig und mahnend, dass man es bis in die Nachkriegszeit übelnahm. Sein Exil in der Schweiz war mehr als nur ein Ausweg.

In dieser eigenwilligen (und das im rein positiven Sinne) Biographie zerpflückt Hanjo Kesting das Werk Thomas Manns. Aber nicht, um allwissend umherzuprahlen, warum genau dieser Satz, genau dort, genau so steht, weil er – Kesting – beim Herumströmern den Heiligen Gral des Erfolgsromans gefunden hat. Nein er geht ans Werk wie man es tun sollte. Er betrachtet die zeit, in der die Bücher entstanden. Beschaut sich ganz genau, was Thomas Mann „nebenbei so schrieb“ (und trieb). Er zieht Parallelen und folgert auf unnachahmliche Art und Weise.

Ebenso vermeidet er es den Götterstatus des großen Schriftstellers in den Vordergrund zu schieben. Denn dann müsste er sich dahinter verstecken. Selbstbewusst und unbeirrbar stellt er dem Leser einen Mann (DEN Mann) vor, der in der Welt der Literatur fest auf dem Thron sitzt. Dabei scheut er sich nicht seinem Helden (und nichts anderes muss Thomas Mann für Hanjo Kesting sein, denn nur so entsteht eine Biographie wie diese) auch mal hier und da nachzuahmen. Die gezielte, weil notwendige, Kommatasetzung, stellt ab und an eine Herausforderung dar. Auch Thomas Mann liebte es scheinbar sich in Haupt- und Nebensätzen zu ergehen, die erst Seiten später ein Ganzes ergaben. Studenten riet er beispielsweise den „Zauberberg“ zweimal zu lesen. Denn beim zweiten Mal ist der Fluss ein anderer. Und man solle den „Zauberberg“ in Ruhe lesen. Inder Abgeschiedenheit von Davos, beispielsweise – das rät Hanjo Kesting.

Glanz und Qual – ein gelungener, wenn nicht sogar der einzige wählbare Untertitel des Buches, der einmal mehr dazu verleitet, Thomas Mann (noch einmal) zu lesen. Doch wo anfangen? Bei diesem Buch!

Italiens Provinzen und ihre Küche

Schon beim Erblicken des Titels weiß man, das kann nur gutgehen. Und dieses Vorurteil wird auf den folgenden 160 Seiten ein ums andere Mal bestätigt. Denn Italien und Essen – das passt wie Roma e storia und  Napoli e vesuvio. Dolce vita zwischen zwei Buchrücken, mit Gaumenfreuden alla nonna. Davon kann man nie genug bekommen!

Das hat sich auch Alice Vollenweider gedacht. Und räumt mit dem Vorurteil auf, dass nur Pasta und Pizza auf dem Stiefel auf die Teller kommen.

So unterschiedlich die Regionen sind, so unterschiedlich sind auch die kulinarischen Gepflogenheiten. Im Laufe der Zeit hat sich sogar der vino zur Pizza in eine gepflegte Hopfenkaltschale verwandelt. Ja, mittlerweile hat der Bierkonsum den Weinverzehr überholt. Das aber nur als Randnotiz für all diejenigen, die mit offen stehendem Mund und stotternder Stimme in bella italia sich entrüsten wollen, dass der Traubensaft so sehr nach zuhause ausschaut…

Liest man das Buch nun mit oder ohne Lätzchen? Das muss jeder für selbst entscheiden. Wer jedoch bei Minestra di fagioli (Triestiner Bohnensuppe), Conchiglie e broccoli (Teigmuscheln mit Broccoli) oder Torta di ricotta (muss man wohl nicht übersetzen) ein leichtes, freudiges Grummeln in der Magengegend verspürt, sollte vorsorgen.

Denn es geht weiter. Region für Region, vom Trentino bis Sizilien, von Venetien bis Sardinien reicht die Menükarte. Und auf ihr hinterlassen Kalb, Hühnerleber und Kaninchen einen leckeren Nachgeschmack.

Schon beim Lesen fällt auf, dass es zwischen den Regionen sehr wohl gewaltige Unterschiede gibt. Während im Norden Polenta auf den Tisch kommt, vertreten Makkaroni bei einer Blindverkostung eindeutig Sizilien.

Neben den Unterschieden verbinden aber auch – zwischen den Zeilen – die Gemeinsamkeiten die cucina italiana. Wo andernorts mächtig Butter verwendet wird, schwören italienische Köche auf Olivenöl. Die barbarische Verwendung von Butter – die ersten italienischen Einwanderer in Deutschland staunten nicht schlecht wegen der Brocken Butter in deutschen Tiegeln – wird hier niemals das reine Öl ersetzen.

Wer Italien liebt, tut dies auch wegen der kulinarischen Entdeckungen. Dieses Buch strotzt nicht nur wegen der einfühlsamen Beschreibungen der Küche Italiens, sondern punktet nicht zuletzt wegen der enormen Anzahl an leicht nachzukochenden Rezepten. Achtundachtzig an der Zahl – und jedes einzelne ein Stück Italien. Buon appetito!

Die Flucht der Dichter und Denker

Es gab nicht viele, die mit dem 1979 veröffentlichten Disco-Hit der Village People „Go West“ etwas anderes verbanden als die sagenumwobene Freiheit in San Francisco. Es gab eine Zeit, in der Go West der einzige Weg war, um überhaupt gehen zu können. Es gab zu viele, die diesen steinigen Weg gehen mussten.

Als 1933 die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen, gab es nicht wenige, die es für eine Frage der Zeit hielten bis der Spuk vorbei sei. Aber es gab auch die großen Mahner, die die dunklen Wolken nicht mehr nur am Horizont verorteten. Eine Massenflucht der Intellektuellen, Künstler, der Elite rollte an. Erst Frankreich, dann Spanien als Transitland nach Portugal. Dort wartete der erhoffte Dampfer in die USA. Hier war die Freiheit wohl grenzenlos. Dass dem nicht immer so war, erfuhren sie erst hinterher. Auch Jahre nach dem braunen Spuk wurden Widerständler unter der Fuchtel von Senator McCarthy mit Argusaugen beobachtet, bespitzelt und in ihrer Freiheit eingeschränkt.

Der Weg, die Strapazen, die die Flüchtigen – Thomas, Heinrich, Erika und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, um nur einige zu nennen – sind oft beschrieben worden. Genauso oft aber blieben noch einige Fragen offen. Warum und an welchem Zeitpunkt wurde die Route bestimmt? Gab es Helfer? Herbert Lackner gibt in diesem Buch einige Antworten, die man so noch nie oder nur in Nebensätzen gelesen hat.

Es liest sich wie ein Krimi, wenn man von dieser Hetzjagd liest. Menschen, denen das Wohl eines ganzen Landes am Herzen lag, die sich zeitlebens der Kunst verschrieben hatten, die in ihrem Tun die Gegenwart als Basis ihres Schaffens verstanden, wurde die Lebensgrundlage entzogen. Ihr Freundeskreis war zersplittert, in alle Richtungen verstreut. Wiedersehen gab es nur sporadisch – umso heftiger die Freude. Denn überall lauerte Verrat. Misstrauen und Verzweiflung zerrütteten Allianzen.

Mit jedem Schritt gen Westen – im Osten lauerte Stalin, in Holland und Belgien war es ebenso unsicher wie im größten Teil Frankreichs und in Spanien warteten willfährige Helfer Francos auf fette Beute – wuchs die Hoffnung bald schon wieder einem halbwegs geregelten Tagwerk nachkommen zu können. Nicht jede Flucht war erfolgreich. Und die ersehnte Freiheit war auch nicht immer am ganzen Leib spürbar.

Man stelle sich vor wie die deutsche Kulturlandschaft heute aussehen würde, wenn die in diesem Buch so eindringlich beschriebenen Fluchtrouten nicht nötig gewesen wären…

U2 zurück in Berlin

Das war ein Aufschrei: U2 nehmen in Berlin ihr neues Album auf. In den Hansa-Studios. Dort, wo David Bowie seine wohl besten Alben aufgenommen. Wo eigentlich jeder, der hier irgendwas aufgenommen hat, das Beste aus sich herausholen ließ. Und dann diese Tour. Zoo TV. Jeder wusste, dass hier ein Tor aufgestoßen wird, das Touren in der Zukunft bestimmen wird.

Achtung Baby, ein bisschen Stolz schwang bei einigen mit. U2 haben einen deutschen Plattentitel. Die einstige Agit-Prop-Band, die mit Bob Geldofs Band Aid in die erste Liga aufstieg, die ein paar Jahre zuvor ihr rebellisches Image grundlegend veränderte, vollzieht nun eine noch größere Wende. Als Vorbands sind Newcomer wie StereoMCs engagiert, die den Soundtrack für einen entspannten Sommer liefern werden. Und Die Toten Hosen, die sich gerade auf dem Sprung nach ganz oben befinden. Ihre „Kleine Horrorshow“ katapultiert sie alsbald in den Olymp des deutschen Pop. Was einige im Publikum dazu veranlasst sie als „Kommerzschweine“ zu beschimpfen.

Und dann kommt der große Meister. Mephisto. Greift zum Hörer – für alle sichtbar, da er über eine gigantische Leinwand zu sehen ist – und ruft Helmut Kohl an. Das Publikum johlt. Zwischen den Songs werden kurze Einspieler gezeigt. Das Publikum wechselt die Seite. Es ist nun Zuschauer und Objekt in einem. Denn in den aufgestellten Beichtstühlen kann man kurze Videobotschaften aufnehmen, die während des Konzerts abgespielt werden. Das war 1993, Juni, Olympiastadion Berlin. Wer die Karte noch besitzt, wird sich tierisch freuen, wenn er beim bloßen Durchblättern dieses Buches das Design der Karte wieder erkennt. Damals gab es noch echte Karten. Stabiles Papier, ein Design, Hologramm etc.

Dirk Timmerman und Thilo Schmied wagen sich mit ihrem Buch etwas. Kein Buch zu einer Band, um die ersten zu sein, die eine Biographie auf den Markt werfen. Es ist auch nicht der rührselige Versuch das persönliche Erlebnis in den Fokus zu rücken. Es ist die Biographie zu einer Tour inkl. Platte. Sicher, das war keine normale Tour mit Plakatierung, Bühnenaufbau, Licht aus, Musik, Licht an, Good Bye und weiter geht’s. Nein hier wurde wirklich Geschichte geschrieben. Außer Pink Floyd verwendet niemand so große Leinwände, und schon gar nicht so exzessiv. Keine Band änderte so radikal ihren Musikstil. Und dies bis heute tut. In diesem Buch blättert man gedankenversunken, liest von Dingen, die man vielleicht übersehen hat, erinnert sich, teilt alles um dieses eine Konzert mit den in diesem Buch gesammelten Erinnerungen von anderen Fans, und ist erstaunt über die Vielzahl von Fakten, die die Autoren dreißig Jahre nach der Tour immer noch zusammentragen konnten. Für echte Fans ein Muss. Denn hier wird jedes Konzert der Tour genauestens unter die Lupe genommen. Mit exklusiven Bildern, noch exklusiveren Statements, Abbildungen der Tickets – besonders beeindruckend – Tourfotos, Backgroundstories – ein Füllhorn der Emotionen und Erinnerungen.