Nostalgia

Columbo lässt grüßen: Man weiß, wer der Mörder ist. Jetzt muss nur noch geklärt werden wie es dazu kam. Und bei dieser besonderen Erzählstruktur beweist Ermanno Rea begnadetes Geschick. Eigentlich beginnt die Geschichte mittendrin…

Felice Lasco kehrt nach 45 Jahren in sein Rione Sanità zurück. Dieses Viertel ist selbst in Neapel verrufen. Wer nicht von hier ist und trotzdem hier hin geht, braucht schon einen verdammt guten Grund. Felice hat so einen wichtigen Grund: Seien Mutter. Sie ist schwer krank und wird bald sterben. Er will sich um sie kümmern. Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, dass er Sanità verlassen hat. Nun ist er zurück und will erst einmal nur schauen, was sich verändert hat, was er noch kennt. Und ob er alte Freunde wiedersehen wird.

Allen voran Oreste – sein Bruder im Geiste. Unzertrennlich waren die beiden. Damals, als Teenager. Oreste der Draufgänger, der kein Risiko scheute, um die eine oder andere Lira an sich zu nehmen. Und Felice, der Besonnene, der in Oreste aber sehr wohl sein Gegenstück fand. Bis eines Tages … naja, jugendlicher Leichtsinn oder doch schon erkennbare kriminelle Energie? Der geplante Einbruch ging gehörig in die Hose. Sosehr, dass Felice fliehen musst. Bis zum heutigen Tag.

Don Luigi Rega, der Pfarrer der Gemeinde ist Felices erster Gang. Er wird ihm helfen sich wieder zurechtzufinden. Denn noch immer schwebt das Damokles Schwert des Verrates über Felice. Und erst recht über Oreste, die Kanaille, wie man ihn nannte. Das Henkerschwert schwebt indes über beiden.

Oreste hat inzwischen Karriere gemacht. Die vorhersehbare Karriere. In einem Viertel, in dem solche Karrieren so vorhersehbar sind wie ein Wintereinbruch in der Stadt am Vesuv.

Emanno Rea packt den Leser tief in der Seele. Die engen Gassen, der Duft der Verzweiflung, die einzigartige Aura Neapels fängt er mit Worten ein, die man so nur selten zu Gesicht bekommt. „Nostalgia“ ist der Roman über Neapel, den man lesen muss, will man die Stadt auch nur ansatzweise verstehen. Kein permanentes (durchaus oft gerechtfertigtes) Klagen über die Hoffnungslosigkeit, sondern schnörkelloses Aufzeigen eines Lebensstils, der jedem Bewohner von Sanità in die Wiege gelegt wird. Fernab von Klischees zeigt er aber auch den Kampfeswillen der Bewohner dem Schicksal die Stirn zu bieten und ihm ab und zu einen gewaltigen Hieb in die Magengrube zu geben. Neapels Touristen sehen meist nur (zum Glück?) die perfekte Symbiose von Verfall und Charme. Ermanno Rea zeigt die Welt hinter der bröckelnden Fassade. Dass hier das happy end nicht hinter jeder Ecke auf Kundschaft lauert, ist klar. Doch auch hier ist Ermanno Rea unbeirrbar. Manchmal ist das Offensichtliche eben auch nicht mehr als eben dieses.