Gute Nacht, Tokio

Wenn man nachts durch die Straße kurvt, kann man einiges erleben. Doch meist bleibt es bei ein paar aufgemotzten Luxuskarossen, deren übermütige Fahrer übermotiviert Reifen durchdrehen lassen und einen nervösen Hupdaumen haben. Das Nachtleben der Einfallslosen!

Tokio, nachts um ein Uhr. Shinjuku ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Neonröhren erhellen die Gassen und Gassen, die auch schon mal voller waren. Einzelne Taxis befördern Menschen von A nach B. Manche sind auf dem Weg in die Federn. Andere sind auf der Suche nach dem Glück. Ganz andere arbeiten. Nicht nur die Taxifahrer. Mitsuki zum Beispiel sucht eine Biwa, das Obst. Braucht man unbedingt, jetzt um diese Uhrzeit, ein Uhr nachts. Ja, braucht man. Wenn man beim Film arbeitet und der Fundus einfach keine Biwa parat hat. Sie kennt den Fundus in- und auswendig. Doch ein Biwa, das Obst, hat sie da noch nie gesehen. Wie sehen die überhaupt aus?, fragt sie sich. Pflichtbesessen, setzt sie sich ins Taxi. Ihr Freund gibt ihr einen Tipp, wo sie welche finden kann. Eigentlich wollte sie ihn schon längst in die Wüste schicken. Sie braucht keinen Freund, der ihr am Rockzipfel hängt. Doch nun ist er ihr Retter in der Not. Kaum an der Allee mit den ersehnten Früchten angekommen, steht da schon jemand. Sie klaut Biwas wie selbstverständlich. So was passiert nur in Tokio, nachts um ein Uhr.

Blackbird. Hier trifft sich die Nacht. Hier sammeln sich die, die um ein Uhr nachts in Tokio dem Schlaf die kalte Schulter zeigen. Hier fahren sie Taxis, um den Träume(r)n Zeit zu verschaffen. Eine Telefonseelsorgerin kann immer noch verblüfft werden, wenn des Nachts die Telefonbox entsorgt werden sollt. Schauspieler, die ihre Karriere noch vor sich haben hängen Träumen hinterher, die sie besser leben sollten. Und mittendrin Matsui, Taxifahrer, Seelsorger, neugieriger Chauffeur, ortskundiger Navibenutzer – kur: Der Knotenpunkt all derjenigen, die nachts um ein Uhr in Tokio das Bett nicht finden.

Atsuhiro Yoshida entwirft Schicksale, die sich perfekt in die Kulisse der Millionenmetropole Tokio einfügen. Sie sind anonyme Gestalten, die unerkannt an einem vorbeihuschen, wenn die Spots der Scheinwerfer schon wieder das nächste Opfer jagen. Doch sind sie es, die Tokio zur pulsierenden Stadt machen. Ohne sie würde etwas fehlen. Der erwartete Perfektionismus weicht um ein Uhr nachts der Verzweiflung im Dunkeln. Der Autor hat auch das Cover gestaltet. Des Nachts vielleicht als er nicht schlafen konnte???