Der Schmerz

Thérèse Delombre ist verwitwet. Sie lebt mit ihrem Sohn Georges in einem kleinen Dorf in der Provence. Die junge Frau ist einsam. Das ist sie schon lange. Ihr Mann, Hauptmann im Krieg gefallen, kann als Grundübel ihrer Einsamkeit angesehen werden. Sie lernt früh das Paradoxon des Lebens kennen. Seit dem Krieg ist das Gras dichter, die Flüsse bevölkern mehr Fische, in den Bäumen nisten mehr Vögel, die vor dem Kanonendonner des Stellungskrieges im Norden geflohen sind. Thérèse ist die Frau eines Offiziers, man neidet ihr ihre Sonderstellung. Schließlich fallen im Kampf mehr einfache Soldaten als Offiziere. Das ändert sich als auch der Hauptmann nicht mehr nach Hause kommen wird. Die arme Witwe mit dem kleinen Jungen, die so zurückgezogen lebt. Das arme Ding. Doch Thérèse und Georges haben es sich zurechtgemacht in ihrem Exil im Süden Frankreichs. Dorftratsch interessiert sie nicht. Sie haben einander. Dennoch fehlt Thérèse etwas. Etwas Essentielles. Etwas, was ihr Georges nicht geben kann. Sie kann es sich nur nicht eingestehen.

So makaber es klingt, aber je schlechter es Thérèse Delombre geht, desto mehr findet sie Zugang zur Dorfgemeinschaft. Der Krieg schweißt zusammen, auch wenn statt Pulverdampf nur der Mistral durch die Gegend zieht. Der Krieg ist weit weg. Bis die Deutschen kommen. Nicht in Gestalt von uniformiertem Stiefelgleichschritt, sondern als büßende Arbeiter auf den Feldern und in den Weinbergen. Ihre Aufpasser schauen genau hin, ob sie auch korrekt arbeiten. Im Laufe der Zeit dürfen sich die Gefangenen immer öfter und freier im Dorf bewegen. Sie gehören zum alltäglichen Bild so wie all die Alteingesessenen. Unter ihnen ist auch Otto Rülf. Wie alle zugeben müssen der ansehnlichste Mann unter den Boches, wie die Deutschen verächtlich genannt werden.

Doch seine Zeit im Dorf ist endlich. Er wird bald nicht mehr hier sein. Doch er wird nie ganz verschwinden. Georges‘ kindliche Sinne spüren den kalten Hauch, den Otto hinter sich herzieht. Thérèse hingegen sieht in Otto die Erlösung ihrer Sehnsüchte. Und wieder schlägt das Paradoxon des leben erbarmungslos zu. Als Offiziersgattin Witwe mit Kind war sie ausgestoßen. Als Witwe geachtet. Als erfüllte Frau wird sie keinen Frieden finden…

„Der Schmerz“ ist der erste Roman von André de Richaud, der in deutscher Sprache erschien ist. Ein Wiederentdeckung, die für Furore sorgen wird. Denn woran erkennt man ein gutes Buch? An wohlwollender Kritik (Albert Camus verleitete es zum Schreiben)? Am schicken Einband? An fesselnden ersten Seiten? Am verheißungsvollen Nachwort? Wenn ja, wie nennt man dann ein Buch, auf das all das zutrifft? „Der Schmerz“ tut nicht weh, man leidet nur unter der Tatsache, dass auch dieses Buch einmal ein (viel zu frühes) Ende findet.