Imagine Africa 2060

So manch einer kann sich kaum mehr erinnern, was gestern war. Wie es morgen wird, will man sich oft nicht vorstellen. Was soll man erst denken, wenn man sich das Jahr 2060 vor Augen hält? Zehn Autoren aus Afrika, nicht irgendwelche, Preisträger, wahre Stimmen des Kontinents, haben sich Gedanken zu ihrer Zukunft und der Afrikas gemacht.

Chika Unigwe wird diese Zukunft als gesetzte Achtzigjährige erleben. Ihr Traum, ihre Vision ist die einer weiblichen Präsidentschaftskandidatin. Amara heißt sie. Sie hat sich gerade von ihrem Mann getrennt. Auch in 2060 ist das nicht unbedingt eine Grundvoraussetzung für dieses Amt. Manche Dinge haben sich also bis dahin noch nicht geändert. Sie will die Übermacht der Präsidenten aus dem Norden brechen. In der bisherigen Vergangenheit ist es so, dass der Norden seltener Präsidenten stellte. Vierhundert Millionen Nigerianer wird sie einmal regieren. Momentan ist es knapp die Hälfte. Das heißt in ca. vierzig Jahren kommen noch einmal zweihundert Millionen Nigerianer zusätzlich auf die Welt. Eine Aufgabe, die Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen in einem patriarchalischen Land als Grundbedingung voraussetzt. Da Chika Unigwe eine Utopie beschreibt, ist der Ausgang der Kurzgeschichte vorhersehbar, was den Verlauf nicht einmal ansatzweise herabsetzt.

Mit den Folgen des Klimawandels – ja, den gibt es wirklich und ja: Auch in Afrika kann es noch wärmer werden! – haben die Helden in José Eduardo Agualusas Geschichte zu tun. Denn sie mussten fliehen. Aus ihren Dörfern, aus den Städten, aus ihrem Land, von ihrem Kontinent, von ihrem Planeten. Angola wurde überflutet. So wie der Rest der Welt. Jetzt fliegen gigantische Luftschiffe und kleinere „Flöße“ durch den Himmel. Die Größeren heißen Paris oder Tokyo, die Flöße sind unter anderem nach Luanda benannt. Je größer das Schiff, um so luxuriöser das Leben. Und langweiliger. Je kleiner das Schiff, um so unerschwinglicher die Besuchserlaubnis auf einem der Größeren.

Ken Bugul zeigt eine zweigeteilte Welt im Jahr 2060. Die nördliche Welt unterdrückt das südliche Königreich Adjagba. Die Königin nährt ihr Volk, die Pflanzen und die Tiere. Das Königreich des Nordens, besonders die Gehirnmanipulierten lässt keine Gelegenheit aus, um dem Süden ihre Überlegenheit zu präsentieren. Bis eines Tages …

Zehn erstklassige Schriftsteller aus Afrika, zehn Geschichten, die so fern gar nicht erschienen könne, als dass die wahr sind, zehn Stimmen wider eine vorbestimmte Zukunft. Unter dem Dach der “Stimmen Afrikas“ versammeln sie sich seit einem Jahrzehnt in regelmäßigen Abständen, um ihren Stimmen Ausdruck zu verleihen. Am Ende des Buches haben die Herausgeberinnen Christa Morgenrath und Eva Wernecke eine Chronik dieser Stimmen angefügt. Wenn das nächste Mal ein Plakat mit den Stimmen Afrikas den Blick kreuzt, sollte man stehenbleiben, es lesen und die Veranstaltung besuchen. Die Poesie der Sprache, die unerschütterlich Hoffnung in sich trägt, wird niemals versiegen. Auch nicht im Jahr 2060.