Oberitalien

Es ist einsam, da oben an der Spitze – so mancher wünscht sich das auch da oben, in Oberitalien, an so manchem Ort. Überall staunende Touris, die es nicht lassen können, sich dort breitzumachen wohin sie die Reisebände für die Masse(n) hinführen. Eigentlich bräuchte Oberitalien (also die Gegend von … bis … in nord-südlicher Ausrichtung, und von … bis … in west-östlicher Richtung) keine Reisebände. Ist ja eh alles bekannt. Meint man. Dann kann (und es wird so sein!) es natürlich passieren, dass die „Anderen“ das genauso sehen, und einem permanent über den Weg laufen. Erholung kann dann sehr anstrengend sein.

Eberhard Fohrer stellt sich der Mammutaufgabe Oberitalien auch abseits der offensichtlichen Schönheiten zu erkunden und dem Leser ein (Ober-) Italien zu zeigen, dass er ohne dieses Buch wohl nicht so einfach entdecken könnte. Oberitalien ist der Bereich oberhalb des Stiefelschafts plus eine gedachte Linie von der Kniescheibe bis ins obere Drittel der Wade. Sofern der italienische Stiefel unter dem Knie endet! In anderen Worten: Von Südtirol bis San Marino und von Turin bis Triest. Auch wer im Geschichtsunterricht mehr aus dem Fenster statt an die Tafel geschaut hat, weiß, dass hier Geschichte geschrieben wurde und – aus touristischer Sicht – immer noch geschrieben wird.

Wer in der Lombardei seine Erholung sucht, kommt am Namen Visconti nicht vorbei. Ja, die Viscontis, deren berühmtester Vertreter der Regisseur Luchino Visconti. Seine Vorfahren machten sich gern und häufig in dieser Region breit. Ihre Hinterlassenschaften sind bis heute Markenzeichen von so manchem Ort. Borghetto, ein Ortsteil von Vallegio sul Mincio zu Füßen des Gardassees wartet ebenso mit einer Ponte Visconti auf – unbedingt den Parco Giardino Sigurtà besuchen, eine riesige Gartenanlage, die jeglichen Anflug von Sorgen im Handumdrehen vertreibt – wie Pavia mit seinem Castello Visconteo. Piacenza, gerade so in die Region Emilia Romagna eingebettet, kann sich ebenfalls mit einer Visconti-Behausung schmücken. Wirklich: Schmücken! Nur drei Orte, die innerhalb von einer reichlichen Stunde per Bahn zu erreichen sind. Bahnfahren in Italien – ein Muss, ein Schongang für den Geldbeutel und ein einwandfrei funktionierendes Beförderungssystem, das nur mit wenigen Verspätungen auskommt.

Oft ist es so, dass prall gefüllte Reisebände, die einen großen Teil eines Landes beschreiben sollen, bei der Aufzählung von Kirchen und anderen heiligen Stätten ihr Potential ausgeschöpft sehen. Man hetzt dann von Kirche zu Kirche – in Brescia liegen Alter und Neuer Dom schmerzfrei nebeneinander – und verpasst dabei den Rest. Wer also nicht nur siebenhundert Seiten gefühltes Kirchensponsoring sucht, sondern paradiesische Aussichten (zu empfehlen hier der Lago d’Iseo, der kleinste der vier großen Seen im Norden, wo echte Pyramiden in den Himmel wachsen), erlebnisreiche Touren (mit dem Rad am Po entlang – ein Genuss und dank der kaum vorhandenen Hügel für jedermann erlebbar) und genussvoll die Gaben italienischen Küche (nodo d’amore – bekannt, aber unter einem anderen Namen…mit eigenem Festival) als Normalität in sich aufsaugen will, tut Not daran die eingeschlagenen Wege eines Eberhard Fohrer zu nutzen. Jeder noch so kleiner Restauranttipp sitzt, jeder Aussichtspunkt hält das, was der Autor verspricht und mit jeder Seite, die man nach dem Urlaub noch einmal grob überschaut, wächst die Sehnsucht noch einmal Pavia, Bologna, Brescello (dort, wo Don Camillo und Peppone mit ihren Nickligkeiten dem Anderen das Leben erschwerten) zu besuchen. Noch ein Grund gefällig? Viele Tourismusbüros sind genau dann geschlossen, wenn man sie am nötigsten hat. Und dann? Warten? Nein, zum Fohrer greifen!