Die Gehörlosen

Die Gehörlosen

Clara geht’s gut. Ihr Vater ist reich, sie studiert und wird einmal sein Vermögen erben. Und damit auch noch was übrig ist, wenn es soweit ist, legt der Alte das Geld in Aktien an. Clara ist wohlbehütet aufgewachsen. Und sie ist der Liebling im Haus. Ihr Vater will wegen der permanenten Gefahren, dass Clara noch einen Leibwächter bekommt.

Cayo ist der Auserwählte und soll von nun an Clara beschützen. Cayo ist ein exzellenter Schütze, da macht ihm niemand was vor. Den Rest wird er schon noch lernen. Clara zu beschützen – das nennt man wohl Traumjob. Denn Clara ist nicht nur sehr nett, sondern auch aufregend schön. Und sie erlaubt ihm in der großen Stadt zu leben. Bisher war sein Leben karg und ohne Perspektive. Jetzt ist er auf dem Weg ein Mann zu werden…

Das Leben, welches er hinter sich ließ, ist für Andrés das einzige, was er kennt. Er gehört zur indigenen Bevölkerung, hat wenig Aussichten auf Besserung. Zudem ist er mit Taubheit geplagt. Er wächst bei seiner Großmutter auf, die mit ihm in der traditionellen Zeichensprache kommuniziert. Er verschwindet genau zu der Zeit als auch Clara wie vom Erdboden verschwunden ist. Zufall oder Kalkül?

Alles ergibt auf einmal einen Sinn, oder scheint es zumindest. Die anonymen Anrufe bei Don Claudio, dem Vater Claras. Javier, Claras Freund, der in Genf weilt und ihr schmachtende Briefe schreibt – am Ende des Kapitels ist er gar nicht mehr so galant, und die scheinbare Zukunft der beiden Verliebten unsicher. Auch taucht Ingancio auf, der Bruder der Verschwundenen. Und es gibt Lösegeldforderungen.

Guatemala ist ein gefährliches Land. Noch immer treiben einst legitimierte Guerilla-Einheiten ihr Unwesen im Land. Mord, Folter, Vergewaltigung ist Begleiter im Alltag. Vor diesem Hintergrund siedelt Rodrigo Rey Rosa „Die Gehörlosen“ in seiner Heimat an. Wortgewaltig und bildhaft schreibt er vom erbarmungslosen Kampf eines naiven Jünglings auf der Suche nach seiner Chefin. Clara ist für ihn nicht allein nur Arbeitgeberin. Ein bisschen ist auch verknallt in sie. Und: Sie ist der Beginn eines völlig neuen Lebens.

Bis zum Schluss hat der Leser zu wage Ahnungen, was wirklich vorgefallen ist. Ist Javier Liebhaber oder machthungriger Ganove? Ist Claras soziales Engagement Einigen ein Dorn im Auge? Hört denn niemand wie sehr Guatemala leidet? Rodrigo Rey Rosa legt die Puzzleteilchen auf den Tisch, nicht für jedermann sichtbar. Wie in einer Parallelwelt setzt man ein Teil ans andere. Doch so recht will das Bild nicht stimmen. Irgendetwas stimmt nicht, etwas fehlt. Ein grandioser Roman mit teils unsichtbaren Facetten, der den Leser an der Gurgel packt und ihn würgt. Bis es am Ende aus allen Beteiligten herausplatzt: Die Wahrheit, die keiner hören will und manche nicht hören können.