Archiv des Autors: admin

Forughs Enthüllungen

Es ist viel geschehen seit seiner Geburt. Darius wurde 1950 im Noren Teherans geboren. Jetzt ist es 1974, er lebt nicht mehr im Iran, dem Land seines Vaters, das seit seiner Geburt nicht minder grundlegenden Veränderungen unterworfen war. Mossadegh war an der Macht, dann kam der Schah zurück und unterwarf sein Volk und gaukelte der Welt ein traumhaftes Reich vor, in dem der Prunk aus jeder noch so dreckigen Ritze quillt. Dass dem nicht so war, wusste jeder und trotzdem…

Darius Vater ist gestorben. Er will und wird ihm die letzte Ehre erweisen. Nicht aus Pflichtgefühl, ein bisschen vielleicht, vielmehr aus Respekt. Sein Vater war ein angesehener Mann. Doch Darius weiß eigentlich gar nichts über seinen Vater. Das wird sich ändern. Vom Aufstieg und Fall des Vaters – alles kennt Forugh, Darius Cousine. Doch sie weiß, dass nicht alles wissen manchmal besser ist. Sie kennt Darius nicht. Sie spürt, dass Darius wissbegierig ist. Aber sie weiß auch, dass Bruchstücke nicht zwingend ein glänzendes Mosaik ergeben.

Riss um Riss kittet Darius die Erinnerungslücken aus seinem frühen Leben und der jüngeren Vergangenheit des Vaters. Freudig strahlend bis hin zur Schockstarre – Forughs Erzählungen sind ein sprudelnder Quell, aus dem nur so viel sprießt wie Forugh es gewährt.

Als 1953 mit einem Putsch der Reformer Mossadegh – er wollte die Ölförderindustrie verstaatlichen – seines Amtes enthoben und unter Arrest gestellt wurde, wurde es eng für viele Staatsbedienstete. Ihre gut eingesessen Positionen wankten, viele fürchteten um ihre Privilegien. Einige andere blickten hoffnungsvoll nach vorn. Denn sie waren willfährige Werkzeuge der lang geplanten Aktion Ajax, mit der Mosadegh entmachtet wurde.

Darius kennt die Geschichte, kaum aber die Geschichten. Schon gar nicht die, in die sein Vater verstrickt zu sein schien…

Eva Wiesenecker verwebt unverrückbare historische Fakten mit dem fiktiven Schicksal von Darius. Vehement und unerbitterlich schildert sie eine Zeit (und ein Schicksal), das schon lange aus dem Fokus der Geschichtsschreiber verschwunden scheint. Iran – das ist islamische Revolution, Atomprogramm und unerschütterlicher Feindschaft. Doch das ist alles Geschichte der vergangenen 50 Jahre. Doch Iran, und vor allem Persien, das ist Jahrtausende alte Weltgeschichte, die von Eroberungsdrang und Gier geprägt wurde. Sagenhaft und brutal real. „Forughs Enthüllungen“ ist der einzig passende Titel für dieses Buch, das so viel Geschichtsunterricht beinhaltet wie ein meterlanges Lexikon, komprimiert auf das Schicksal eines jungen Mannes, der seine Wurzeln sucht, sie hegen und pflegen will.

Die Herrin der Vögel

Wieder ein Buch von Bachtyar Ali, das einen dahinschmelzen und ins reich der Worte gleiten lässt ohne dabei den Halt zu verlieren. Jedes weitere Wort zum Inhalt ist ein Wort zu viel. Nur so viel. Sausan ist verliebt. Verliebt in das Leben. Süchtig nach Geschichten. Brennend vor Leidenschaft für das Neue, Unbekannte. Doch ihr Körper fesselt sie an ihr Zuhause. Bücher bieten ihr die Fluchtmöglichkeit, die ihr Körper ihr verwehrt.

Sie begehrt. Und so stehen eines Tages gleich drei Verehrer vor der Tür. Sausan ist schlau. Sie wird heiraten. Und sicherlich auch einen der Drei. Doch so einfach macht sie es ihnen nicht. An der Seite eines Mannes bedeutet für sie an der Seite eines weltoffenen, gewandten, belesenen, gereisten Mannes zu sein. Ein jeder soll die Welt bereisen – acht Jahre lang (selbst die kitschigsten Teilnehmer an der kitschigsten Kuppelshow im Fernsehen würden so eine Forderung nicht mal bis zum Ende anhören). Von unterwegs sollen sie ihr Vögel schicken. Nach erfolgreicher Expedition sollen sie berichten, Zeugnis ablegen, dass ihre Reisen nicht bloßes Sightseeing waren, sondern ihren Geist geformt haben. Dann wird sich Sausan entscheiden.

Klingt wie im Märchen. Ist es vielleicht auch. Aber die realitätsnahe Sprache, die zu überwindenden Hindernisse, das betragen der Drei, die Wünsche von Sausan sind so modern, dass man sich nicht davon abbringen lässt, alles für wahr anzusehen. Wie zu einem Liebeslied voller Soul wiegt man seinen Kopf zur Melodie der Worte von Bachtyar Ali. Sausan tanzt wie ein alles um sich vergessende Fee um einen herum. Die Zeit steht still.

Nur wenigen gelingt es mit leichter Feder den Leser derart zu fesseln, dass der sich nicht befreien kann. Solchen Käfigen kann und will man nicht entkommen.

Politisches Engagement, Kritik an herrschender Ordnung ist stets Teil des Werks von Bachtyar Ali. Sie ist scharf und gerecht. Aber sie drängelt sich nicht nach vorn, um der Poesie gönnerhaft den zweiten Platz zu überlassen. Kritik tritt zurück, wenn ihre Wirkung auf einer poetischen Ebene noch wirksamer wird. Bachtyar Ali ist ein Meister dieser kunstvollen Kritik an allem, was Menschen unterwirft.

Die geheime Reise

Der Titel lässt so viel Freiraum zur Interpretation, dass man sich in seinem Phantasieuniversum verirren könnte. Ein junger Mann geht – irgendwann in den 40ern des vergangenen Jahrhunderts von Frankreich aus – auf Deutschlandreise. Nicht einfach so, es alles gut durch organisiert. Seine Mitreisenden sind nicht nur Mitstreiter, sie sind auch – vor allem aber verborgen – Objekte der Begierde. Und hier beginnt es sofort schwierig zu werden. 40er Jahre. Deutschland. Franzosen. Homosexualität. Organisierte Reise. Puh, klingt doch sehr phantastisch! Ist es aber nicht. Denn der geheimen Reise liegt eine echte Reise zugrunde.

Marcel Jouhandeau, der Autor und eindeutig der Held des Romans, wurde im Herbst 1941 eingeladen Deutschland zu besuchen. Goebbels war daran beteiligt, die Reisegruppe traf ihn. Natürlich waren die Autoren und Journalisten Auserwählte von Teufels Gnaden. Die eigentlichen Reisenotizen wurden nie veröffentlicht – bis heute. Was auch daran lag, dass die Mitreisenden nach 1945 kein gesteigertes Interesse an einer nachträglichen Veröffentlichung hatten. Kollaboration mit dem Feind wurde in Frankreich gründlich und nachhaltig betrieben. Die handschriftlichen Seiten von Marcel Jouhandeau sind in Archiven zugänglich.

Marcel Jouhandeau fiel zuvor des Öfteren durch antisemitische Schriften auf. Als die Einladung zur Deutschlandreise, Propagandafahrt in Feindesland – Paris, Frankreich war von den Deutschen besetzt – kam, sagte er zu. Und ihm fiel sofort einer der Organisatoren auf. Die Aufmerksamkeit lag auf beiden Seiten. Das sind die Fakten.

Die poetische, sinnliche, fast schon verklärende, jedoch stets intellektuelle Verarbeitung dieser Eindrücke bricht wie ein Wirbelsturm auf den Leser herein. Andeutungen (werden komplett im Anhang und zuvor schon im originalen carnet des Autors aufgelöst), Abkürzungen (nicht jeder soll sofort identifizierbar sein) und Verführungen (offensichtliche wie gut versteckte) spielen zusammen wie ein gut eingespieltes Orchester.

Verführungen im Zwischenmenschlichen kribbeln an Stellen, an den man sie erwartet, sogar einfordert. Wenn es aber kribbelt und man die Stellen nicht erreichen kann, um sich zu kratzen, sind sie nachhaltig und wirksamer als man sich selbst eingestehen kann und will. Marcel Jouhandeau ist sicherlich ein streitbarer Autor. Dass er zu dieser Reise eingeladen wurde, ist mehr als verdächtig. Dass er später von Schuld freigesprochen wurde, nimmt man als Außenstehender hin – der Zweifel bleibt. Ebenso die Wucht der Worte, die jeden in ihren Bann ziehen. Zwischen den Zeilen lesen macht hier Sinn. Poesie kann man sich nicht entziehen, der Realität muss man hier mit Stirnrunzeln selbige bieten.

Die Zeit so still

Wie war das damals noch gleich?! Kontaktverbot, Hysterie, Unsicherheit, blinder Aktionismus, unbedachter Argumentationswahn. Der Name wird nicht genannt, doch er ist immer noch in aller Munde. Der Beginn des dritten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends war von Kontrollen, Regularien, und Panik erfüllt.

In dieser Nacht ist alles wie immer. Der Atem blärrt wie eh und je durch die Nacht. Schritte knirschen unter den Füßen, dass selbst Rockkonzerte wie besinnliche Kammermusikabende erscheinen. Der Atem schreibt wilde Phantasien in den klaren Wind. Nicht viel los. Ein Buch, eine Seite, noch eine Seite – die Straßenbahnendstelle ist das Sinnbild der Zeit.

Ein Reisender – bleiben wir bei dieser ach so überzogenen, fast schon poetischen Einordnung des Fahrgastes – durchbricht die Agonie der Aktualität. Auch er trägt den Kopf voller Gedanken. Soll er, soll er nicht? Was kommt? Was bleibt? Die Nacht ist der ideale Rahmen für die wirklich wichtigen Fragen des Lebens. Des Lebens? Wie kann man … Ach iwooo. Die Zeit steht niemals still, auch wenn man es sich manchmal wünscht.

Und ist die „Die Zeit so still“. Ein kleines Buch, das – in der richtigen Umgebung, zur richtigen Zeit – Erinnerungen noch einmal hervorbringt, Gesagtes in ein anderes Licht rückt, Getanes wieder in den Vordergrund rückt. Pathetisch, klar, nachdenklich, irrlichternd – Florian L. Arnold holt mit sanften Worten eine Zeit zurück, die die meisten gern vergessen möchten. Und sie vielleicht auch schon vergessen haben. Weil, und gerade deswegen, die meisten wider Erwarten sie gut überstanden haben. Oder das Schlimmste, das ihnen je passieren konnte, beiseite gewischt haben.

Dieses kleine Buch hat die Kraft leise Erinnerungen hervorzurufen, sie anzupacken, sie durchzuschütteln und dann mit reinem Gewissen lebensfroh nach vorn zu schauen. Sprache – richtig angewandt – kann Wände durchbrechen, Grenzen überwinden, Herzen durchbohren. Einsamkeit kann verbinden. Dieses Buch kann all das. Ganz bestimmt wird es als Geschenk dem Beschenkten zum Nachdenken anregen.

Der kleine Dichter und der Duft

Kennen Sie auch solche Menschen, die in ihren Statusmeldungen die schönsten Orte besuchen und das dann alles mit einem „Herrlich!“ abtun? Die haben sich einen kleinen oder großen Traum erfüllt, wollen ihn mit der Welt teilen und dann kommt nur ein belangloses Adjektiv daher, das die Emotionen nicht einmal annähernd einfangen kann. Bei einem Dichter nennt man das dann Schreibblockade – das doppelte B darin versinnbildlicht dieses Gedankenstottern wohl am bbbbesten.

Der kleine Dichter in diesem Buch wird wahrlich von der Muse geküsst. Auch er will unbedingt ein Gedicht schreiben. Da kommt ihm eine kleine Wolke gerade recht. Sie steigt ihm in die Nase und … siehe da … die Gedanken schießen ihm direkt in die Schreibfeder. Gerüche, Erinnerungen oder gang rational ausgedrückt sinnliche Reize ergießen sich im Schwall auf das Papier. Der Geruch eines nassen Hundes, die duftenden Haare eines Mädchens, der überreizende Krawall der Stadt mit all seinen Nebenerscheinungen und und und.

Ja, das ist ein Kinderbuch über die Plagen eines Dichters. Wundervolle Zeichnungen und die präzisen Zeilen machen es aber auch zu einem wundervollen Lesebuch für Erwachsene. Bereits auf den Umschlagseiten nimmt die Reizüberflutung ihren Lauf. Erdbeeren, ein Koffer, noch mehr Erdbeeren, Stiefel, und wieder Erdbeeren stehen wild durcheinander gewürfelt Spalier, um der Phantasie auf die Sprünge zu helfen.

Und wenn man nach dem Genuss dieses Buches das Leserlebnis mit der Welt teilen will: „Herrlich“ kann dann nur noch der Beginn einer poetischen Beziehung zu Büchern bedeuten…

Das steinerne Herz

Geschichtsroadtrip mal anders. Mal ganz anders. Eigentlich nicht mal ein richtiger Roadtrip. Und Geschichte? Die gibt’s hier in Hülle und Fülle. Das Besondere daran ist – allen voran – der Autor: Arno Schmidt. Für Viele ist es ein steiniger Weg sich in seinen Werken zurechtzufinden. „Das steinerne Herz“ bildet da keine Ausnahme.

Ein bundesrepublikanischer Roman wird dem Leser vorgesetzt. Einer, der sowohl Hüben wie Drüben spielt. Walter Eggers erzählt eine wahrhaft erfundene Geschichte. Er sammelt, nicht einfach so, sondern ganz spezielle Dinge. Staatshandbücher aus dem Königreich Hannover. Schon allein das muss man erstmal sacken lassen. Staatshandbücher. Er ist ein Besessener. Die Jagd allein genügt ihm nicht.

In Ost-Berlin – das gab es in den 50ern schon bzw. noch – verschlägt es ihn in die Staatsbibliothek. Ein El Dorado für einen Sammler wie ihn. Und Eggers’ Finger werden immer länger. Und länger. Bei all dem Jagdfieber behält er immer noch den Blick für das, was ihn umgibt.

Der Krieg ist aus. Das Land ist in ständiger Bewegung. Abbruch, Umbruch, Aufbruch – die Brüche im Leben der Menschen treten offen zutage. Hier wie Da. Eggers ist nicht auf den Mund gefallen. Er weiß sich anzupassen, auch sprachlich. Und für jeden, der sich in dieses Buch hineinversetzt – die durchaus eigenwillige Art jeden Satz mit einem kursiven Zitat zu beginnen, muss man erstmal erkennen und akzeptieren – tun sich Geschichten auf, die man selbst erlebt oder von der Vorgängergeneration überliefert bekommen hat. Lustig ist hier gar nichts. Zum Schmunzeln an mancher Stelle schon. Schonungslos ehrlich und ohne ein Feigenblatt vor sich zu halten, räubert Arno Schmidt in West und Ost herum. So sehr, dass bei Erscheinen das Buch stellenweise „entschärft“ wurde, d.h. Passagen wurden gekürzt oder gar weggelassen. Die Moral ist ein scharfer Angsthase.

Heute liest es sich wie „durfte man das damals schon sagen?“ – nö, durfte man nicht. Und deswegen ist dieses steinerne Herz so wertvoll. Es ist gerade mal ein reichliches halbes Jahrhundert her und doch so nah. Arno Schmidts Grenzgang zu folgen, ist verzwickt, offenbarenswert und in jeder Hinsicht einzigartig.

Metamorphosen 63 – Ohne Dich, Hellas – Griechenland

Wie weit reicht das eigene Geschichtserinnerungsvermögen zurück? Bis in die 50er? Ins Mittelalter? Noch weiter zurück, bis an den Beginn unserer Zeitrechnung? Noch weiter? Und wer kommt einem da alles in den Sinn? Pythagoras? Mit dem wurden angeblich Generation von Schülern gequält (obwohl der im angedichtete Satz doch ganz einfach ist…).

Ganz so weit reicht Ausgabe Nummer 63 der Metamorphosen nun doch nicht zurück. Weit zurück jedoch, um Griechenland nicht nur als das Land zu erkennen, das dem Staatsbankrott nur mit Hilfe von … ach, lassen wir das! Griechenlands Vermächtnis ist bis heute sicht- und spürbar. Ohne konkrete Beweise kann man sicher behaupten, das 80 Prozent von allem, was uns umgibt auf die „Alten Griechen“ zurückzuführen ist. Nachzulesen bei so ziemlich jedem Philosophen, den man nur allzu gern zitiert.

Hier nun die Erben, die Neuerfinder, die Granden der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit. Mikis Theodorakis – Moment, der hat doch den Taktstock geschwungen? Richtig, aber auch Gedichte geschrieben. Und was in seinem Schädel so vor sich ging – ein paradiesischer Garten. So benennt er es so freizügig. Strandlektüre, nicht ganz so leichter Stoff fürs Café am Nachmittag, Reisezeitvertreib in sengender Hitze, Hirnfutter für tatsächlich mal verregnete Nachmittage – die Bandbreite an Möglichkeiten in diesem Buch zu lesen ist unendlich.

Und wenn man sich für das gesamte Heft, über 120 Seiten Literatur vom Meere, aus den Bergen, aus Städten und Dörfern, durchgelesen hat, weiß man auch, welche Bücher man als nächste lesen muss. „Ohne Dich, Hellas“ wird es ziemlich dunkel (das Wortspiel musste sein) im Oberstübchen. Anregende Zeilen, die zum Weiterlesen verleiten und Griechenland noch schöner erscheinen lassen.

Metamorphosen 62 – Il bel paese – Italien

Ich packe meinen Koffer: Ich nehme mit Kosmetikartikel, Wechselklamotten und ein Buch. Ein Buch, das mir mehr über das Land verrät, das mich fesselt, das Lust auf mehr macht. Doch welches? Italienreisende haben die Qual der Wahl. So reichhaltig das Angebot an Literatur, auch und vor allem hierzulande. Einen Klassiker von Boccaccio, oder doch etwas Modernes fürs Hirn von Pasolini, etwas aus der Ginzburg-Dynastie, etwas Spannendes aus einer Krimireihe … ach, die Auswahl ist schier unendlich.

Die Lösung ist ganz einfach: Hier. Metamorphosen. Band 62. Die Literaturzeitschrift für alle, die nicht genug bekommen können, denen das Neueste nicht neuest genug ist und für alle, die Inspiration brauchen. Für den Kurztrip reicht das Magazin aus. Für den längeren Aufenthalt ist es der aperitivo.

Und natürlich darf auch hier Boccaccio nicht fehlen. Ursula Menzer lustwandelt mit dem unfehlbaren Lustvermittler. Gabriele d’Annunzio – streitbar und in seinen Gedichten ein fast unschlagbarer Romantiker. Und auch zu Pasolini wird man in der Italienausgabe der Metamorphosen fündig.

Für alle anderen gilt: Italien ohne Literatur ist wie Pasta senza sugo. Ist möglich, aber … geschmacklos, farblos, freudlos. „Das schöne Land“ heißt der Titel von Ausgabe 62 in Deutsche übersetzt. Und Schönheit findet man auf jeder der 160 Seiten. Besonders, wenn man die Gedichte in Rein- und übersetzter Form sich oder anderen leise – wer’s mag und vor allem kann auch gern laut – vorliest.

Kinder des Radiums

Joe Dunthorne wurde gebeten eine Biographie zu schreiben. Über seinen Urgroßvater, einen Juden, der aus Deutschland fliehen konnte. Und der schon verstorben war. Dessen Tochter, Dunthornes Oma, war kein sprudelnder Quell der Erkenntnis. Vielmehr war sie ein Buch mit sieben Siegeln. Für einen Autor Ansporn weiterzuforschen. Aber es ist seine Familie. Die will man nicht verprellen! Die Zeit verging, auch die Oma starb. Doch der Drang die Familiengeschichte aufzuschreiben, war nicht abgeklungen. Im Gegenteil!

Dunthorne beginnt seine Familienreise mit eine gehörigen Portion Phantasie. Er stellt sich vor wie die Familie nach der Flucht die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nutzt, um noch einmal ins eigene Heim in Oranienburg bei Berlin zurückzukehren. In die eigenen vier Wände einzubrechen. Dies und Das, vor allem Wertvolles vor den gierigen Händen der Nazis zu retten. Das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben. Eine Geige, eine Kamera – nichts ist zu teuer, um es in transportable Sachen zu verwandeln. Denn das Geld hätte man ihnen – als Juden, als geflüchtete Juden – garantiert an der Grenze wieder abgenommen. Doch so war es nicht! Den Einbruch gab es nicht. Die Geige und die Leica schon.

Ebenso die Episode wie Siegfried Merzbacher, Joe Dunthornes Uropa eine bahnbrechende Erfindung machte. Ihn plagten Zahnschmerzen. Als Chemiker hatte er vom Radium und dessen heilender Wirkung gehört. Dass dem nicht ist, hatte man erst später herausgefunden. Ein bisschen Radium-226 ins Zahnfleisch gespritzt, und nach wenigen Tagen (die unappetitlichen Details erliest man sich besser selber im Buch) trat die Heilung ein.

Sein Arbeitgeber die Auergesellschaft beauftragte ihn mit der Entwicklung weiterer Produkte, die mit der Wirkung des Radiums „eine bessere Welt erschaffen“ können. Mitte der 20er Jahre kam Doramad auf den Markt. Zahnpasta mit Radium, die so ziemlich jeden Schädling im Mundraum wirkungslos machten. Hurra, nie mehr Zahnarzt! Naja, so einfach war es dann doch nicht. Bis heute müssen wir alle einmal im Jahr dorthin. Dass die Forschung mit Radium für die Kriegstreiber einen willkommenen Nebeneffekt hatte, war Siegfried Merzbacher nicht sofort bewusst. Pflichtbewusst hingegen ging er seiner Arbeit nach – was ihm schlussendlich einen relativ geordneten Fluchtweg aus Deutschland heraus bescherte.

Joe Dunthorne gräbt weiter in der Familiengeschichte und stößt immer wieder auf Schweigen und allerlei Geheimnisse. Fakten, die ihm seine Vorfahren in einem anderen Licht erscheinen lassen – nicht hell, nicht leuchtend, und schon gar nicht heroisch. Sein Buch „Kinder des Radiums“ ist noch lange nicht abgeschlossen, so lange nicht bis alle Zweifel aus dem Weg geräumt sind. Was niemals passieren wird. Die bis hierhin gesammelten Fakten sind ein lesenswertes, spannendes Kapitel Familien- aber vor allem deutscher Geschichte.

Korsika

Napoleon hat die Insel verlassen, weil … er Größeres vorhatte. Was kann es Größeres geben als diese Insel mit all ihren Facetten kennenzulernen?! Näher an Italien, Frankreich zugehörig (was jeder echte Korse natürlich ablehnt) und von der Sonne verwöhnt. Bastia, Ajaccio und vielleicht noch Calvi sind die bekanntesten Orte. Und sonst? Wer war noch nicht dort, weiß aber noch ein bisschen mehr?

Marcus X. Schmid war dort. Er kennt sich aus. Und ist der beste Reiseführer über die Insel. Mitten im Inselleben bis hin zu verwunschenen Orten – er kennt sie alle, die geheimen Orte, die besten Aussichten, die ruhigsten Plätze zum Verweilen.

Wer Korsika besuchen will, weil er schon immer dorthin wollte, dem fällt es schwer sich zu entscheiden. Ein klar gegliederter Reiseband ist nun wichtiger als man es sich selbst eingestehen will. Denn nichts ist nerviger als im Urlaub permanent in seinem Reisebuch hin- und herzublättern, um genau das zu finden, was man eben noch gelesen hatte. Jedes Kapitel beginnt mit einem Spoileralarm: Was, Wo, Wann … das Warum? erschließt sich von ganz allein.

Warum soll man also im Hinterland von Sagone in den Ort Muna reisen? Da wohnt kaum noch jemand! Und alle reden vom Dorf der Banditen. Genau deswegen! Langsam kommt wieder Leben ins Dorf, das 1960 noch hundert Einwohner zählte. Heute sind die Nachfahren wieder vor Ort, um es für den geneigten Touristen wieder herzurichten. Es ist ja alles da. Exzellente Bausubstanz und sogar eine Kirche mich funktionierendem „Glöcklein“ wie Marcus X. Schmid so liebevoll in einem der zahlreichen gelb unterlegten Kästen anpreist. Mehr Abenteuer geht nicht.

Wilde Bergformationen, idyllische Strände, lebendige Städte – Korsika muss sich nicht neu erfinden. Hier war schon immer alles so. Geschichte allerorten – kaum ein Reiseband enthält so viele Anekdoten wie dieser hier. Immer wieder wird man zum Innehalten eingeladen. Was gibt es Schöneres als von einem erhabenen Punkt in die Unendlichkeit schauen zu können. Hier gibt es keinen Grund sich klein zu fühlen. Glück – das empfindet man hier. Wenn man die richtigen Orte kennt, die eben dieses versprechen.

Die Abbildungen im Buch sind der farbenprächtige Beweis, dass die Entscheidung Korsika auf die Urlaubsliste zu setzen die richtige Wahl war. Ein erstes grobes Durchblättern lässt die Vorfreude steigen. Und wenn man sich erst einmal ins Buch vertieft hat, ist jede Minute bis zum Abflug eine Qual. Das Warten lohnt sich aber zu mehr als 100%.