Ursula Lopez – Montevideo

Wenn man schon unbedingt einen Geldtransporter überfallen muss, dann wenigstens mit Leuten, denen man vertraut. Sonst geht es auf alle Fälle schief! Dies als Prämisse, die diesem Buch vorangestellt ist, bevor man anfängt zu lesen.

Germán sitzt derzeit im Gefängnis. Er soll jemanden entführt und Lösegeld gefordert haben. Sein Kompagnon wurde nicht geschnappt. Und lässt es sich derweil mit der Beute gut gehen. Doch Germáns Anwalt, Doktor Antinucci, macht ihm Mut. Er sei bald wieder draußen. Die Zweifel an der Tatbeteiligung überwiegen. Außerdem gebe es eine Zeugin, die beschwört, dass Germán ein höflicher Mann gewesen sei, der auch gar nichts von Lösegeld gesagt haben will.

Die Zeugin ist Úrsula Lopez. Sie hatte eine schwere Kindheit. Ihr Vater triezte das pummelige Mädchen wann immer konnte. Stibitzte sie sich mal was aus dem Kühlschrank, gab`s eine verlängerte Nacht in Dunkelheit und ohne Essen. Ihre Schwester hingegen war Papas Liebling.

El Roto, ist im Gefängnis, weil er jemanden ermordet hat. Kein Kind von Traurigkeit, der hinter den dicken Mauern, die die Insassen vom Leben fernhalten, alles an sich reißt, was auch nur im Entferntesten nach Geld reicht. Germán ist ihm ein Dorn im Auge. Denn der genießt eine besondere Art von Protektion.

Das Rätsel um die Drei wird nicht einfacher je mehr man darüber liest. Und das ist gut so! Der so genannte Spannungsbogen biegt sich bis kurz vor dem Zerbersten. Die Verwirrung komplettiert Úrsula Lopez. Denn die ist plötzlich gar nicht mehr in eine Entführung involviert. Des Rätsels Lösung ist scheinbar einfach …

Bei Leonilda Lima laufen die Fäden, die sich wie Fallstricke sich anfühlen zusammen. Die Kommissarin bekommt einen Fall zugeschrieben, obwohl der eigentliche Ermittler doch noch eigene Recherchen durchführt. Mal leitet sie den Fall, mal wieder nicht. Uruguays Staatsapparat ertrinkt im Chaos. Dennoch hat Leonilda Lima den Kampf um die Gerechtigkeit noch nicht aufgegeben. Jeder neue Fall birgt ebenso die Chance auf Veränderung (natürlich zum Besseren) in sich. Doch es kommt alles anders: Qualmwolken verhängen den Himmel, Schüsse fallen, Autos brennen, quietschende Reifen, fünf Tote.

Minutiös berichtet Mercedes Rosende vom mittlerweile zu erwartenden Höhepunkt, der bei allen Beteiligten eine einzige Reaktion hervorrufen wird: Sie werden alle weinen. Krokodilstränen.

Mit einer selten dagewesenen Vehemenz scheucht die Mercedes Rosende ihre Figuren von einem Extrem ins Andere. Úrsulas Vater ist inzwischen verstorben – Selbstmord. Oder doch nicht? Wie ein Geist drängt er sich aber immer noch zwischen sie und ihre Gedanken. Noch nie war Úrsula frei. Immer wieder kreuzten Menschen oder Ereignisse ihren eingeschlagenen Weg. Zeit, dass sich was ändert. Die Zeit kommt als Germán sich für ihre geleistete Hilfe bedanken will. Denn sie war es, die ihn schlussendlich – mit Hilfe des zwielichtigen Doktor Antinucci – aus dem Knast kommen ließ. Den hat inzwischen – auf nicht ganz legale Weise – auch El Roto verlassen können.

Wer bisher immer dachte, dass Kriminalromane im weitesten Sinne dem gleichen Schema folgen, wird mit „Krokodilstränen“ eines besseren belehrt. Wer es einmal aufschlägt, kommt so schnell nicht zur Ruhe. Montevideo als exotischer Handlungsort hält so manche Überraschung parat.

 

Wem das Leben tagein tagaus nur Zitronen schenkt – und man einfach nicht weiß wie man daraus Limonade machen kann – dem kann man mit Scherzen nicht beikommen. Und schon gar nicht mit schlechten Scherzen. Ursula ist so eine, die es einfach nicht schafft dem Leben was Gutes abzugewinnen. Ihr Leben schafft sie, nicht zuletzt wegen ihrer Figur. Wie sie meint. Von allem ein bisschen zu viel. Nur nicht von dem, was sie will.

Auf dem Weg zum Flughafen wird ein Mann von einer Polizeistreife angehalten. Das nervt ihn ungemein, weil er ja ein unbescholtener Bürger ist und es verdammt eilig hat. Das berührt die Polizisten nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Dann wird es Nacht. Ein Schlag, ein Würgen … und wenige Stunden später liegt der Mann, der so dringend seinen Flieger bekommen muss, gefesselt in einem Keller. Alles Betteln hilft nicht. Alles tut ihm weh, die Schnüre und Handschellen schneiden ihm in das zarte Fleisch seines zerbrechlichen Körpers.

Und wie kommen nur er und Ursula zusammen? Die uruguayische Schriftstellerin Mercedes Rosende hat da eine Idee. Doch zunächst kümmert sich Ursula um ihre Gewichtsprobleme. Endlich. Ein erster Schritt. Eine Suppendiät soll helfen. Allerdings kommt sie nicht weit. Denn das Telefon klingelt. Eine seltsam verstellte Stimme teilt Ursula mit, dass ihr Mann entführt wurde und er ein Lösegeld von einer Million verlangt. Er wisse auch, dass sie das Geld auftreiben kann. Noch ehe die verblüffte Ursula etwas sagen kann, ist im Hörer nur noch das Tuten der unterbrochenen Leitung zu vernehmen.

Die Verblüffung ist bis in die Stuben der Leser zu spüren. Ursulas Mann? Sie ist verdammt noch mal allein! Wer nimmt schon eine wie sie zur Frau? Sie könnte jetzt ist Tränen aus- oder gar zusammenbrechen. Oder endlich ihr Süppchen kochen. Sie tut Letzteres, nicht im Kochtopf, sondern erst im Kopf und dann in einer schummrigen Bar, in der sie sich mit einem der Entführer trifft. Und wie ein Blitz trifft sie auch eine Eingebung…

Mercedes Rosende trägt ihren Vornamen nicht zu unrecht. „Falsche Ursula“ ist der Mercedes unter den skurrilen Krimis des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts. Einfach mal den Spieß umdrehen und zum Racheengel werden, das ist nicht ihr Stil. Fein abgestimmte Details verwandeln eine aussichtlose Situation in einen prall gefüllten Garten mit wohlduftenden Geistesblitzen, die dem Leser ein Caracho nach dem Anderen entlocken werden. Nicht eine einzige Reaktion der falschen Ursula ist vorhersehbar. Und trotzdem ist jedes Wort stimmig.

 

Welch eine List! Die Anderen machen die Drecksarbeit, und man selbst fährt die Ernte ein. Ursula Lopez hat sich einen bärenstarken Plan zurechtgelegt. Und alles klappt wie sie es vorhergesehen hat – Spoiler: natürlich nur zuerst, das dicke Ende kommt, garantiert! Eine Gruppe Gangster überfällt einen Geldtransporter. Der Wagen wird in die Luft gejagt. Das Geld muss nur noch eingesammelt werden. Doch das erscheint eine uneingeladene Person. Es ist Ursula, was die Gangster noch nicht wissen. Eine wilde Schießerei folgt, bei einer der Räuber schwer verletzt wird. Die Dame schnappt sich das Geld – immerhin fast ein Zentner Geldbündel, was ein paar Millionen Dollar darstellt – und einen der Gangster. Lädt Beute und „Komplizen“ in ihren VW Golf und verschwindet auf Nimmerwiedersehen (was zu ihrer Enttäuschung leider zeitlich begrenzt sein wird). Und nun?

Ursula hat nun Geld wie Heu. Das hat sie aber vorsichtshalber bei Germán gelassen. Der war am Überfall beteiligt und ist nun ihr Komplize. Aber einer mit Nerven aus Reispapier. Einer von der Sorte, die schon zwei Wochen vor dem Zahnarzttermin derart schwitzen, dass der Meeresspiegel auch ohne Klimawandel ansteigen würde. Vielleicht ist die ungeplante Kontaktsperre aber auch nützlich?!

In der Zwischenzeit zieht der Überfall weithin sichtbare Kreise. Zum Einen wollen die geprellten Gangster unter der Leitung von Antinucci, dem Anwalt natürlich ihre hart verdiente Knete wieder zurück. Und zwar ohne Abzüge. Zum Anderen ist die ehrgeizige Kommissarin Leonilda Lima wenig erfreut, dass ihr Chef ihr den Fall wieder entzogen hat. Und sie sich gefälligst aus den Ermittlungen raushalten soll. Ob die angefressene und unnachgiebige Polizistin sich daran halten wird? Wohl kaum!

Und dann ist da noch Detektiv Jack. Schnüffler in dritter Generation und … eine Frau. Jacqueline Daguerres. Sie bekommt unverhofft – so ist das nun mal bei Schnüfflern – Besuch von einer weiteren Dame, die die ganze Sache brennend interessiert. Es ist Luz. Sie will etwas über ihre Schwester wissen. Die hat nämlich den Ring ihrer vor Kurzem ums Leben gekommenen Tante geklaut – zumindest glaubt Luz das. Sie will alles wissen, was ihre Schwester so treibt, mit wem sie sich trifft, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreitet etc. Es kann ja durchaus sein, dass ihre Schwester – ach ja, die heißt übrigens Ursula und hat gerade ein hübsches Sümmchen in ihren Besitz gebracht – unschuldig ist und ein ganz anderer Tante Irene (mal so ins Blaue geraten, ein Geldtransporträuber oder so, wer weiß?) um die Ecke gebracht hat.

Sei es nun Kalkül oder lebenserhaltender Respekt bietet Ursula Antinucci einen Deal an. Er bekommt das Geld. Sie bekommt Luz, die inzwischen von Antinucci entführt wurde. Und hier kommt die große erzählerische Kunst von Mercedes zum Tragen…

Ein bisschen Geschichtsunterricht aus dem fernen Uruguay, eine Brise feministische Eleganz und Chuzpe, gepaart mit der Sorge den Leser auf gar keinen Fall eine Pause vor der letzten Seite zu gönnen – das ist der dritte Roman der Montevideo-Reihe von Mercedes Rosende. Man vermutet hinter allem, was geschieht einen tieferen Sinn. Ihn auch nur annähernd zu erahnen, gelingt bestenfalls ansatzweise. Dieses Buch wird lange in Erinnerung bleiben.