„Wer anderen eine Grube gräbt…“, „Rache ist ein Gericht, dass man …“, „Wie Du mir, so ich Dir“ – es gibt genug Rachesprüche in der Literatur. Sie alle zu einem neuen Gericht – Achtung, extrem heiß serviert! – zu vermengen, bedarf schon eines echten Chefkochs. Pascal Garnier ist so einer.
Fabien und Sylvie sind schon lange kein Paar mehr im eigentlichen Sinne. Man lebt so vor sich hin bzw. nebeneinander her. Nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Nachdem Fabien seinen nicht minder gefühlskalten Vater in der Normandie beim Ausmisten geholfen hat, hört er in seiner Pariser Wohnung den Anrufbeantworter ab. Die dritte Nachricht wird sein leben ändern. Das weiß er. Aber wie weit diese Veränderung gehen wird, kann er nicht einmal ansatzweise erahnen. Sylvie ist tot. Bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Jetzt ist er Witwer, lautet sein nüchternes Fazit.
Im Krankenhaus erfährt er, dass Sylvie nicht allein im Wagen saß. Und mit ein bisschen Geschick erfährt er auch, wer der mysteriöse Beifahrer war. Spoiler: Das wird nicht das letzte Geheimnis bleiben, das er ans Tageslicht befördern kann…
Fabien ist nun also Witwer. Er nistet sich bei seinem Freund Gilles ein. Der nimmt ihn bereitwillig auf und setzt dabei seine eigene Ehe aufs Spiel. Nachdem die beiden, ein Stroh- und ein echter Witwer, den lieben Gott einen guten Mann sein ließen, rauft sich Fabien als Erster wieder auf. Er weiß, wer der Beifahrer war. Dass er verheiratet war. Und wo die Witwe wohnt. Und er will Rache nehmen! An Martine. Der Witwe Martine, die ihren Mann bei einem Verkehrsunfall verloren hat. Stets an ihrer Seite: Madeleine. Die beste Freundin … und ein bisschen mehr. Anders als man das jetzt vermuten würde! Er folgt Martine und Madeleine. Denn Martine ohne Madeleine – undenkbar. Er bricht sogar in Martines Wohnung ein. Ordnet die Möbel neu, schenkt ihr auch eine neue Pflanze. Ziemlich dreist! Wer Rache nehmen will, muss subtil vorgehen. Wenn Fabien wüsste, was er alles in Gang setzt. Mittlerweile kennt er Martine gut genug. Auch Madeleine kann er ganz gut einschätzen. Im Urlaub auf Mallorca – dass er nicht ganz zufällig auch dort ist, überrascht nun wirklich niemanden mehr – kommen sich die beiden Neu-Singles allmählich näher. Bis … ja bis Madeleine der Kragen platzt!
Wow, was für eine Geschichte. Düster, geschliffen, messerscharf. Jedes Handeln in dieser multigonalen Suspense-Perle ist genau geplant. Eigentlich dürfte man sich über nichts mehr wundern, und doch zuckt man jedes Mal zusammen, wenn die frommen Lämmer zum reißenden Wolf werden. Der perfekte Auftakt der suspense-Reihe im Septime-Verlag verspricht jetzt schon unendliche Spannung und daumendicke Gänsehaut.
Ein kleines Loch in der Wand ist die einzige Verbindung nach draußen für Yolande. Hier, irgendwo auf der Straße gen Norden haust sie. Mit ihrem Bruder. Die Welt da draußen ist für sie verbotene Zone, weil sie sich damals mit den Deutschköppen einließ und man ihr nach dem Krieg den Kopf kahl schor. Bernard, ihr Bruder kümmert sich rührend um sie. Doch die Hilfe ist endlich. Er hat Krebs und wird bald sterben.
Ganz in der Nähe wird die neue Autobahn gebaut, die A26. Das Land zwischen ihrem einsamen Haus und der gigantischen Baustelle ist schlammübersät. Überall ist die Erde aufgeweicht. Berge von Dreck türmen sich auf. Unendlich tiefe Löcher sind deren Gegenstück. Doch die Erde birgt so manches Geheimnis.
Denn Bernard hat sich nicht immer unter Kontrolle. Wenn es ihn packt, bei Vollmond, kommt er später nach Hause. Dort wartet dann schon Yolande mit dem Essen. Sie isst niemals allein. Wartet immer auf ihren geliebten Bruder. Der kommt dann meist mit fadenscheinigen Ausreden um die Ecke. Dass er zuvor jemanden selbst um die Ecke gebracht hat, bleibt unausgesprochen. Doch Yolande ahnt etwas. Mit einer gehörigen Portion Genuss liest sie ihm die Horrormeldungen aus der Zeitung vor. Bernard reagiert schon gar nicht mehr auf ihr Reden. Tief im Inneren malt er sich aus wie man den Serienmörder einmal nennen wird, findet man denn je die Toten. Wird man die leblosen Körper dann noch identifizieren können?
Pascal Garnier beschriebt eine Geschwisterlieb, die mit Boshaftigkeit einen untrennbaren Kitt bildet. Yolande hat früher einen Fehler begangen. Die Gründe liegen im Unklaren. Bernard ist – warum auch immer – ein Menschenfeind geworden. Einer mit Anstand, denn nicht jedes potentielle Opfer fällt ihm zum Opfer. Sie und Er, Yolande und Bernard, sind nicht greifbar. Ihr Tun ist bedingungslos und unabänderlich. In ihrem Tun sind sie verzweifelte Einzelgänger. Gemeinsam und schweigend sie ein duo infernale.
Von nun an werden Abstecher von der Autobahn von einer zarten Gänsehaut begleitet. Wer im Dickicht des Halbdunkels oder in tiefster Nacht den Pfad der mobilen Agilität verlässt, dem krampft sich der Stillstand in die Gedanken. Und das alles passiert auf nur etwas mehr als einhundert Seiten… So schnell kann’s gehen!
Eine Party mit drei Leuten – da fühlt einer immer benachteiligt. Und ebenso ist es bei fünf Anwesenden, zwei Pärchen und einer, der es schwer hat sich einzuklinken. Doch diese Party hat vier Teilnehmer. Und jeder hat seine eigene Geschichte.
Jeanne ist die Gastgeberin. Sie will mit Rodolphe, ihrem blinden Bruder feiern. Und zwar das Wiedersehen mit Olivier. Jeanne und Olivier – es ist lang her – waren das von vielen beneidete Paar der Nachbarschaft. Sie schienen füreinander geschaffen. Das perfekte Paar. Der vierte im Bunde ist Roland. Obdachlos. Er hat soeben den letzten für ihn verfügbaren Job verloren. Rodolphe hat ihn aufgegabelt.
Olivier ist zurückgekehrt, um die Beerdigung seiner Mutter vorzubereiten. Mittlerweile lebt er im Süden an der Côte d’Azur, hat Frau und Nachwuchs aber daheim gelassen. Er hat so einiges erlebt, war im Ausland. Weit weg. Noch weiter im Süden, in der Sonne. Dem Alkohol hat er inzwischen abgeschworen – gute Entscheidung. Doch dieser Abend wird alles verändern.
Rodolphe ist ein echter Stinkstiefel. Sobald er die Chance sieht jemandem mit seiner Kamera – er ist blind! – auf die Nerven zu gehen, ergreift er die sich bietende Chance. Jeanne leidet am meisten unter ihm, da sie zusammen wohnen. Jeder für sich, doch niemals allein.
Der Morgen danach: Katerstimmung. Rodolphes Sticheleien haben bei Jeanne Spuren hinterlassen. Immer diese Frotzeleien, er wisse, was damals war. Als die beiden auf ein Kind aufpassen sollten. Damals. Als das Kind plötzlich verschwunden war. Damals. Als der Clochard … Naja. Ist alles lange her. Ein Gast ist immer noch nicht nach Hause gegangen. Roland, der Obdachlose, liegt tot im Bad. Mit einer Krawatte um den Hals. Erhangen, erwürgt? Fest steht, dass die Krawatte Olivier gehört.
Pascal Garnier inszeniert eine Geschichte, die so wasserdicht ist, dass es kein Entrinnen gibt. Die Protagonisten sind klar umrissen. Und dennoch liegt ein undurchdringlicher Schleier über der unheilvollen Party. Rodolphe mag Olivier nicht. Das hat mehrere Gründe. Jeanne spürt zum ersten Mal nach Jahren wieder so etwas wie Hoffnung in ihrem von Pflichten tristen Leben. Und Olivier beginnt sich langsam von den selbst angelegten Fesseln zu befreien. Dass das alles für ihn mit dem Tod (seiner Mutter) beginnt, scheint mehr als ein Wink des Schicksals zu sein. Der Blick zurück ist der einzige Weg die Zukunft beginnen zu lassen.