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Kärnten

Wer in Kärnten von Grenzerfahrungen spricht, hat sich einiges vorgenommen. Die Nähe zu Italien und Slowenien prägen schon immer diesen Landstrich, dieses Bundesland. Die größte und Hauptstadt ist Klagenfurth. Celovec, so der Name auf Slowenisch, begegnet einem allerorten. Hier wächst man zweisprachig auf. Viele sogar dreisprachig, weil das Italienische ebenso nicht wegzudenken ist. Und jedes Jahr im Frühsommer wird’s dann wieder deutscher, wenn die Tage der deutschsprachigen Literatur stattfinden. Das Literaturfestival für den deutschsprachigen Raum.

Bleiben wir noch ein wenig in Klagenfurth / Celovec, am Wörthersee und den unglaublichen Ausblicken in die Karawanken. Wer hier urlaubt, der sucht nicht zwingend die Action mit Gebrüll, der will tief einatmen, Natur erleben – und ab und an darf auch das Blut in Wallung geraten. Von fast jedem Punkt in Klagenfurth hat man grandiose Aussichten. Nach Oben und in der Horizontalen. Und wenn einem etwas die Sicht versperrt, dann ist auch das ein Augenschmaus.

Für ambitionierte Wanderer und Kletterer ist der Nationalpark Hohe Tauern das Traumziel schlechthin. Alles überragend der Großglockner. Aus dreitausend Meter Höhe ins Tal, in die Täler schauen ist hier nicht die ewig zu suchende Attraktion – hier ist das der Normzustand.

Sabine Becht und Sven Talaron machen nicht nur mit zahlreichen Bildern von Jausen und idyllischen Ausblicken Appetit auf diese Gegend, es sind die unzählbaren Tipps, die diesen Reiseband so nützlich machen. Wer also seinen Urlaub in Kärnten verbringen will, aber keine Ahnung hat, was ihn erwarten kann, der wird sich schon ein paar Tage mit diesem Buch beschäftigen können. Und dann hat er die Qual der Wahl. Fest steht jedoch, dass er bestens vorbereitet in den Westen Österreichs reisen wird.

Detailreiche Karten, unterhaltsame und informative Kästen, in denen man hinter die Kulissen schaut und klar gegliederte Kapitel sind das Pfund, mit dem dieses Buch wuchern kann, und alle anderen Reisebände verblassen lässt. Überall lauern in diesem Buch Tipps, kleine Infokästen, Wegweiser, Ortkennungen, deren Klang vertraut ist. Doch, dass das alles hier in Kärnten liegt, ist vielleicht nicht immer jedem bekannt. Es ist immer alles nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Das erleichtert die Planung erheblich. Doch wo sind die besten Routen? Wo die eindrucksvollsten Aussichtspunkt? Und wo die besten Ratsplätze? Lesen hilft dabei enorm, sich Kärnten nachhaltig im Kopf zu behalten.

Der Junge im Taxi

Die Beerdigung des Großvaters ist für Simon trauriger Anlass genug. Doch diesen Tag wird er niemals mehr im Leben vergessen. Es ist der Moment als er unvermittelt erfährt, dass Großvater einen Sohn gezeugt hat. Damals in Deutschland. Mit einer Deutschen. Und den er zurückgelassen hat. Damals in Deutschland. Simon lässt diese Geschichte nicht los. Er reist sofort los. Nach Deutschland. Ins Deutschland von heute.

Im ersten Kapitel von Sylvain Prudhommes „Der Junge im Taxi“ fühlt man sich an den Schulsport zurückerinnert. Weitsprung. Ein paar Meter zurückgehen, Anlauf nehmen und mit aller Kraft abspringen. Sylvain Prudhomme stellt sich an der Startlinie zum Fünftausendmeterlauf auf. Er läuft unbeirrt im Steigerungslauf einige Runden, um dann plötzlich abzubiegen, noch einmal Fahrt aufzunehmen und dann treffsicher den Absprungbalken zu nehmen und zu fliegen, zu fliegen, alle zu übertreffen. Und eine Punktlandung hinzulegen. Der Neue in der Familie – ein Deutscher – erzählt ihm vom verschwiegenen Sohn des Großvaters. M. ist sein Name. So mystisch und so weit entfernt wie nur irgendmöglich. Simon ist vor den Kopf gestoßen, und emotional derart berührt, dass er aus der Misere – schließlich hat man ihn systematisch aus diesem Familienkapitel ausgeschlossen, wenn selbst der „Neue“ in der Familie es weiß – eine Kraft schöpft, die ihn vielleicht verwundert, ihm sicher aber Antrieb verleiht, nach M. zu suchen. Er will am Bodensee allem auf den Grund gehen…

Simon ist ein gestandener Mann. Eigentlich dürfte ihn die Nachricht über den unsichtbaren Onkel nicht aus den Schuhen hauen. Und doch ist da etwas in ihm, das unaufhörlich arbeitet. Es pocht in seinem Herzen wie verrückt. Er muss M. nicht unbedingt finden, wobei das sicherlich die Krönung seiner Recherche wäre. Er will nur wissen, wie es M. ergangen ist. Ohne Vater aufzuwachsen. Als Kind eines Mannes, der jahrzehntelang als Erbfeind galt. Ein Gewinner des Krieges, der sich über das unterlegene (Weibs-?) Volk hermachte? Welche Auswirkungen hat dies alles auf sein Leben? Lebt er überhaupt noch?

Sylvain Prudhomme hat einen einzigartigen Stil entwickelt düsterste Kapitel im Leben eines Menschen eine poetische Note zu verleihen, alles in eine sanfte Sinfonie zu verwandeln. Fast vergisst man die traurige Geschichte von M. Man lauscht den Klängen der Worte aus der Feder des Autors – ja, man kann seine Worte hören, fühlen, manchmal sogar schmecken – und wiegt sanft den Kopf dazu im Takt seiner Melodien. Wieder einmal ein Meisterwerk, das man so schnell nicht vergessen kann. Als Urlaubslektüre (in Frankreich wie am Bodensee) ebenso perfekt wie für wissbegierige Historienleser.

Die acht Leben der Frau Mook

Die Zahl Acht hat im Koreanischen eine positive Bedeutung. Auch weil sie in ihrer Aussprache dem Wort für Reichtum und Glück doch sehr ähnlich ist.

Die Erzählerin in diesem Buch arbeitet in einem Seniorenheim. Sie möchte in Zukunft mit den Bewohnern schon zu Lebzeiten deren Nachrufe schreiben. Drei Worte sollten als Basis vollkommen ausreichend sein. Ihre Chefin stimmt nach einigem Zögern der Idee zu. Als jedoch Mook Miran an der Reihe ist, stößt die Erzählerin an die Grenzen ihres Vorhabens. Denn Frau Mook macht ihr unmissverständlich klar, dass drei Worte keineswegs ausreichend sind ihr Leben in einem Nachruf zusammenzufassen. Nicht mal dann, wenn es nur um eine erste Fassung geht. Acht Worte sind der Kompromiss ihres Gedankenaustauschs. Ein Zufall oder kontrolliertes Kalkül?

Sklavin – Fluchtkünstlerin – Mörderin – Terroristin – Spionin – Geliebte – Mutter – das sind doch nur sieben. Sieben Leben sind es! Doch die Mörderin lässt die Erzählerin nicht los. Frau Mook dachte, dass die Geliebte oder die Mutter interessanter seien. Um es vorweg zu nehmen. Alle Leben der Frau Mook – egal, ob es nun sieben oder acht oder vielleicht doch nur drei gewesen sind – sprühen nur so vor Spannung.

Wir sind im Korea der Gegenwart. Frau Mook ist mittlerweile eine alte Frau. Mit ein bisschen Geschichtskenntnissen kommt der Leser dem reichhaltigen, ereignisreichen Leben der Frau Mook schnell auf die Spur. Frau Mook wurde als Japanerin geboren. Zu einer Zeit als Japan Korea fest im Würgegriff hielt. Der scheinbar rasche und unspektakuläre Wechsel von Nord- nach Südkorea verwundert jedoch, auch die Nachruf-Schreiberin. Kaum kann sie ihre Neugier und Unrast im Zaum halten. Doch Frau Mook weiß sie zu besänftigen.

Im Buch spricht Frau Mook nicht in zeitlicher Abfolge von ihren acht Leben – es sind acht, nicht nur sieben oder drei. Und mit jedem Leben füllt sich das Puzzlebild zu einem Gesamtkunstwerk, das an Spektakel, Leid, Hoffnung, Verzweiflung und Wendungen derart überfrachtet ist, dass es locker für mehrere Leben reichen könnte. Die Leichtigkeit der Geschichten ist eine Wohltat in diesem prall gefüllten Band. Hier wird nicht ewig herumpolemisiert. Hier wird nicht andauernd über Leid geklagt. Hier spricht eine Frau, die gelebt hat. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern mehrfach. Und hier berichtet eine Frau, die jedes ihrer Leben in vollen Zügen gelebt hat. Genießen konnte sie selten. Beobachten und lernen – das war ihr Lebenselixier. Wie sonst hätte sie die Prügelattacken ihres prügelnden Vaters sonst überstehen können? Oder die Zeit als … ach nein, das muss man sich selbst erlesen. Mirinae Lee ist nihct einfach nur eine Erzählerin mit einer genialen Idee für ein Buch. Sie Geschichtsreferentin, Geschichtentante im besten Sinne des Wortes und gewiefte Verführerin in Einem.

Berlin von unten

Ein Maulwurf ist ein bedauernswertes Geschöpf. Er wühlt sich durch die schönsten Städte der Welt, durch unerforschte Landschaften – und er sieht nichts von der Welt. Weil er unter Erde nicht sieht, was es Schönes auf ihr, über ihm gibt. Maulwürfe in Berlin haben da einen entscheidenden Vorteil. Sie verlassen ihr natürliches Habitat nicht und sehen trotzdem was von der Welt. Klingt unglaubwürdig? Das Jahr 2026 bringt die Mauern des Zweifels zum Einstürzen!

Dieser Kalender zeigt Seite für Seite, Woche für Woche, dass unten durchaus auch ohne natürliches Licht strahlen kann. Da dürfen natürlich die Tunnel, die einst Ost und West miteinander verbanden, nicht fehlen. Die Geschichten dahinter machten Geschichte. Wie die von Liane Weinstein. Ihr Papa hatte den Tunnel 1963 durch die Erde, unter der Mauer gegraben. Doch das Projekt blieb nicht geheim. Bis Anfang der 70er lebte Liane von ihren Eltern getrennt. Das Bild, das die zweite Woche im Jahr 2026 einläutet zeigt eindrucksvoll wie das Gebiet über dem Tunnel damals aussah: Trostlos, freudlos, abweisend.

Ebenfalls durch Tunnel gelangten die Brüder Sass zu Ruhm In der Weimarer Republik buddelten sie in der Erde unter dem Wittenbergplatz, drangen mit eingezogenem Bauch in den Tresorkeller der Discontobank ein und … die beute wurde nie gefunden. Die Nazis setzten dem Brüderpaar ein jähes Ende.

Wer Berlin mal anders erleben will, kommt auch um den Flakturm im Humboldthain nicht herum. Während oberhalb Graffiti, Aufkleber und Essenverpackungen den Blick nach unten richten lassen, ist es noch weiter unten deutlich spannender. Die Überreste der Sprengung durch eine  französische Pioniereinheit sind heute nur noch im Rahmen einer Führung der Unterwelten zu sehen.

Für jedermann einseh- und erlebbar ist hingegen der U-Bahnhof Museumsinsel, der am 9. Juli 2021 eingeweiht wurde. Ein Sternenhimmel sechzehn Meter unter der Erde. Ein Paradoxon, das in den Sozialen Medien für Aufsehen sorgt.

Ein Jahr lang Berlin unter den Rock geschaut und man hat sieben Tage in der Woche Aufregendes zu entdecken. Der Kalender der Berliner Unterwelten e.V. macht Appetit auf mehr. Und wem die Enge Unbehagen bereitet, der kann sich mit den Bildern in eine Welt versetzen, die einzigartig ist.

My life as a serial killer

Er ist ihr vollkommen ausgeliefert. Das gefällt ihm. Sein Charme hat gewirkt. Gleich wird es passieren. Gleich werden er und sie … Lucas hat sich den romantischen Abend wohl anders vorgestellt. Sie, Claire hat ihn sich genau so vorgestellt.

Kurz zuvor war sie bei der Trauerfeier für ihren Vater. Der einzige Mensch, der sie jemals verstanden hat. Alle murmeln was, trauen sich nicht die Stimmung zu brechen, Claire ist angewidert von den alten Männern, die immer wieder dasselbe faseln. Die angespannte Situation wird durch eine Email gesprengt. Sie, Claire, ist in der engeren Auswahl für einen Kunstpreis. So eng können Freud und Leid beieinanderliegen. Und noch eine Mail. Upps, alles nur ein Versehen. Die, die in der engeren Wahl ist, heißt auch Claire. Ist aber eine andere Claire. Claire, die, die nicht in der engeren Wahl ist, bleibt äußerlich ruhig. Innerlich kocht sie. Sie sucht nach dem Verfasser der Mail, der sich so normiert bei ihr für sein persönliches Fehlverhalten entschuldigt. Man kann sich nicht selbst von Schuld freisprechen, wenn man einen Fehler begangen hat. Entschuldigungen sind für diejenigen, die die wahre Bedeutung des Wortes nicht kennen. Nun liegt er unter ihr, Lucas, der Mailschreiber, dem alles so schrecklich leid tut. Gefesselt, erregt und absolut unwissend, wer über ihm kniet. Und wozu Claire fähig ist…

Es ist nicht Claires erste Bluttat. Sie ist gut. Sie ist zielstrebig. Gewissenhaft. Gewissen, ha! Gibt es das überhaupt in ihrem Leben? Was es in ihrem Leben gibt – und das ist neu für sie – ist Angst! Denn jemand, hat sie gesehen. Bei dem, was sonst niemand wissen darf. Und dieser jemand, rückt ihr auf die Pelle. Claire muss ihm näher kommen, um … na was schon?! Sie ist Serienkillerin (oder sagt man jetzt Serienkillende?)! Es ist ihr … ihre Berufung. Und sie ist gut. Bis vor Kurzem war sie zu hundert Prozent unbehelligt geblieben. Bis vor Kurzem. Bis also jemand was gesehen hat, was er nicht sehen sollte.

Bisher war Claire die Katze. Sie jagte ihre Beute, spielte mit ihr, verschlang sie mit Haut und Haaren. Jetzt scheint sie das Mäuschen zu sein. So wie vor knapp dreißig Jahren. Sie stand auf der Bühne tanzte als Mäuschen wild herum, das Publikum fühlte sich prächtig unterhalten. Selbst als sie einem Mitmäuschen aus Versehen den Schwanz abtrat. Alle waren ganz wild auf die kindliche Aufführung. Bis auf Mama. Auf dem Heimweg stoppte sie den Wagen. Die Pein der Muter, weil das Töchterchen in ihren Augen versagt hatte, endete in einer schallenden Ohrfeige. Das solle nie wieder passieren! Nie wieder Maus sein, nur noch Katze! Und nun das! Claire war bis auf die ersten beiden Morde schon immer eine Serienkillerin. Sie muss sich auf ihre Grundtugenden besinnen.

Joanna Wallace treibt den Killerirrsinn auf die Spitze. Tarantinoesk marodiert Claire durch London und tötet wer ihr auf nur das dünnste Härchen krümmt. Dabei ist sie cool und lässig wie Hannibal Lector und witzig wie Robin Williams, wäre er Engländer gewesen. Ihr Handwerkszeug ist stets griffbereit. Der geschulte Schulterblick wird dieses Mal zur Lebensversicherung, wenn es das für SerienkillerIinnen gibt…

Kampf der Zauberer

Da kommen in einem manchmal schon böse Erinnerungen wieder hoch. Damals in der Schule als man ein Buch in einem Aufsatz unter einer fragwürdigen Fragestellung interpretieren musste. Bei „Mario und der Zauberer“ reichte es eben nicht aus, dass ein braver junger Mann, Mario, einen anderen Mann erschoss, weil der ihm gehörig auf die Nerven ging. All das Drumherum, die Gängeleien, der Weltschmerz, die Hoffnungslosigkeit spielen nur als Grundsatz in die Tat mit hinein. In der DDR reichte es vollkommen aus die Worte „Solidarität“, „Kampf gegen Faschismus“ und „Held“ irgendwie mit einzubauen, um mindestens eine Drei zu bekommen. Doch auch das kommt dem kleinen Roman von Thomas Mann nicht einmal nahe.

Dierk Wolters macht sich an die Mammutaufgabe die eingangs bösen Erinnerungen an das richtige Verhältnis von Werkskenntnis und Interpretation wegzuwischen. Als „Mario und der Zauberer“ – schon allein die Untersuchung warum das Wörtchen „und“ so bedeutungsvoll ist, lässt den Leser sich schmerzhaft an die ersten eigenen Gehversuche in Literaturverständnis erinnern – entstand, war Thomas Mann noch nicht der lupenreine Demokrat, der mit Vehemenz gegen dessen Feinde argumentierte. Das kam später, seine Radioansprachen waren der giftigste Stachel im Fleisch der Nationalsozialisten.

Hier nun steht ein Mensch unter permanenter Anspannung. So wie die Familie Mann im Italienurlaub. Das waren in diesem Fall der Zauberer selbst (also Thomas Mann, nicht das spätere – literarische – Opfer), sein Frau Katia und seine Kinder Michael und Elisabeth. Die später selbst in Italien lebte und arbeitete. Es war keine Erholung in dem Badeort möglich. Die Kinder wurden missachtet, teils massiv geärgert. Den Eltern ging es auch nicht besser. Man wurde aus dem ersten Haus am Platz verbannt. Ach nein, halt, das war ja im Buch. Man schreibt über das, was man selbst erlebt hat bzw. das, was man jeden Tag sieht.

Es ist einerlei, ob man „Mario und der Zauberer“ schon gelesen hat bevor man sich dieses kleine Büchlein mit wachsender Begeisterung einverleibt hat. Feststeht, dass man es sich ganz fest vornimmt, es nun doch einmal zu lesen, weil man es nun ja viel besser versteht. Und das ist nicht so gemeint, dass man sich erst den Film anschaut und dann das Buch liest. Das ist was völlig anderes.

Es müssen nicht endlose Bandwurmsätze sein, die hunderte Seiten zieren, um sich ins Herz des Lesers zu pflanzen. Manchmal liegt die Würze in der Kürze. So ist es auch bei diesem Buch. Für Fans und solche, die es werden wollen und nicht immer nur kopfschüttelnd vor den unzähligen Mann-Reportagen hocken wollen.

Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping

So viele erste Male! Schon der erste Satz, das erste „erste Mal“ gibt die Marschrichtung vor: Ein Plan ist ein Plan ist ein Plan. Ob und dass er funktioniert, steht in den Sternen. Und die funkeln für Pete Halliday und Tommy LeClerc nicht besonders helle. Warum auch?! Die beiden sind es ja auch nicht! Das wird ein Spaß diesen zwei Knalltüten beim Planen, bei der Ausführung ihrer Pläne und beim … (na, was wohl?!) zuzusehen. So viel sei schon mal verraten. Im Süden, New Orleans, Big Easy ist nichts easy. Oder vorhersehbar. Oder vom Glück begünstigt. Was jedoch feststeht ist die Tatsache, dass jeder hier eigene Pläne und Vorstellungen hat. Die Ausführung ist der Unterschied, der die Spreu vom Weizen trennt.

Pete war mal Baseballspieler, Major League. War einer der Besten, ganz gut, in der Liga, in seinem Verein, auf seiner Position, für ein paar Innings. Doch seine Zockerei – er setzte permanent seinen gesamten Lohn auf die falschen Teams – brachten ihm erstmal die Kündigung und sein satte Abfindung ein. Letzte ist aufgebraucht. Frisches Geld muss rein. Tommy ist der Mann, den Pete braucht, um an den benötigten Zaster zu kommen. Einen Plan gibt’s schon. Die Cajun-Mafia über den Tisch ziehen. Ganz einfach. Hat noch nie jemand gemacht.

Dafür brauchen die beiden aber erstmal Anzüge, sonst fallen sie in der Gegend, wo sie ihr Ding drehen wollen zu sehr auf. Schon das geht erstmal gründlich in die Hose, nicht in die Anzughose. Die haben sie da immer noch nicht. Aber einen wütenden Mob aus der Straßenbahn gegen sich aufgebracht…

Irgendwo muss Pete auch unterkommen. Ein obdachloser Gangster mit dem Plan für das ganz große Ding – das geht nicht. Cat, bei ihr kommt er unter. Kellnerin. Cat Duplaisir, Teilzeitnutte – schon allein für den Namen müsste Les Edgerton posthum noch einmal (nicht zum ersten Mal!) geehrte werden.

Tja, was haben wir? Zwei Typen, die sich für ausgebufft halten, aber nicht in der Lage in ihrem Oberstübchen für Ordnung zu sorgen. Hochtrabende Ideen – nein, als Plan kann man nichts bezeichnen, was ihnen durch die Rübe geht – laufen bei ihnen wild durcheinander. Ein entführter Mafiaboss, dessen Gefolge alles (wirklich?) daran setzt, den Chef wieder zurückzuholen … ohne dabei auch nur einen müden Dollar Lösegeld zu zahlen. Und dann noch die „richtige“ Mafia. Mit und bei denen hat Pete auch noch eine (nee, mehrere Rechnungen) offen.

„Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ rotzt auf Konventionen. Wer hier geradlinig spielt, ist schon auf der Verliererstraße. Querschläger von allen Seiten. Fouls en masse. Und mittendrin der Betrachter (sprich Leser), der sich vom Spielfeldrand die ersten Gehversuche in Sachen Gangstertum amüsiert anschauen darf. Immer in der Gefahr lesend, dass er königlich meisterhaft wird.

Piemont mit Ausflügen ins Aosta-Tal

Wer ins Piemont reist, will sich berauschen. Die Fast-Millionenstadt Turin mit ihrer Mischung aus Industriemetropole und weitläufigen Plätzen, Boulevards und einem Füllhorn an Palästen und Stadtvillen auf der einen Seite. Andererseits aber auch wieder kleine idyllische Dörfer, die an Hängen, auf Spitzen und in Tälern dem Auge Wohlgefallen versprechen.

Kulinarisch befindet man sich hier in besten Händen. Kirschen und Nüsse kennt jedes Kind aus dem Süßwarenregal. Schlotziges Rissotto – auch das kommt von hier. Man muss nur ein wenig außerhalb der Städte sich in die Ruhe der Kleinstädte wagen und erlebt Italien, Piemont, von einer ganz besondern Seite. Manchmal ist der lack ein wenig abgeblättert. So wie in Vercelli. Noch immer sehenswert, nicht nur eine Durchgangsstation. Die große Zeit ist vorbei. Doch die Erinnerungen an vermeintlich „bessere Zeiten“ sind das Pfund, mit man hier wuchert. Wer hier studiert, tut das in altehrwürdigen Gebäuden. Wer lustwandelt, der tut das zwischen Mauern, die mehr mittlerweile mehr erzählen können als sie verbergen. Wer hier sich zu Tisch begibt, der bekommt die volle Wucht des Landes serviert.

Wem selbst das noch zu hektisch ist, der muss sich ins Valle Maira begeben. Hier bekommt der ausgelutschte Begriff von Ruhe und Erholung in seiner reinsten Form neue Nahrung. Hier ist es wild, ursprünglich. Was für Wanderfreunde und solche, die es werden wollen. Elva ist der wohlklingende Name des größten Ortes. Hier holt man sich den Schlüssel für die Kirche noch im der Locanda gegenüber ab.

Das angrenzende Aosta-Tal verlangt da schon ein bisschen mehr körperlichen Einsatz. Auf und Ab bedeutet hier wirklich Auf und Ab. Und das in Dimensionen, die den Gedanken an Fahrstühle zur Sehnsucht reifen lassen. Doch dann verpasst man einzigartige Aussichten – wo und welche, das steht alles in diesem Reisebuch.

Egal, ob aus ausgiebiger Shoppingtour durch Turin oder luxusbefreiter Wanderung mit stundenlanger Einsamkeit ohne dabei einer Menschenseele zu begegnen – das Piemont ist auf einer Skala von 1 bis 10 die definitive Zehn, will man das Komplettpaket der Erholung erfahren. Baden ist zwar nur in Seen möglich, da es keine piemontesische Küste gibt. Aber bei der Auswahl an Erkundungstouren ist das vernachlässigbar.

Sabine Becht und Sven Talaron merkt man die Reiselust und die Erkundungssucht mit jedem Abschnitt des Buches an. Umso erstaunlicher ist es, dass sie es schaffen alles (!) auf reichlich vierhundert Seiten unterbringen zu können.

Umbrien

Toscana, Abruzzen, Latium, Marken – und mittendrin Umbrien. Das Herz für jeden, der Italien nicht einzig allein als eine riesige Ansammlung an Badeorten versteht. Kein Meer, dafür berge und eine überbordende Anzahl an geschichtsträchtigen Orten. Assisi, die Stadt, die mit einem Namen – Franziskus – verbunden ist wie keine andere Stadt. Hier bebt auch öfter mal die Erde. Gubbio, die Stadt, die ihre Traditionen pflegt wie man es selten auf der Welt sieht. Und dann noch Perugia, die Hauptstadt Umbriens, die ihr historisches Stadtbild erhalten hat, so dass man sich Jahrhunderte zurückgesetzt fühlt, ohne dabei die Annehmlichkeiten des Fortschritts zu vermissen. Das ist Umbrien.

Marcus X. Schmid und Petra Regensburger kann, ja muss man vertrauen, wenn es sich um Reisebücher über Italien handelt. Gefühlt kennen die beiden hier jeden Grashalm, wissen wann und von wem er gesät wurde. Jeder angelegte Weg wird erst freigegeben, wenn die beiden vor Ort sind. So scheint es. Und wenn man sich bei der Planung der nächsten Reise intensiv mit dem Reiseband auseinandersetzt, wird schnell klar, dass das die Reise des Lebens wird. So umfangreich, so detailliert, so präzise beschriebene Routen findet man nirgends – außer eben hier.

Die Cascata delle Marmore ist der Beweis, dass künstliche Naturwunder schon immer in der Natur des Menschen lagen. Ja, hier kann es an manchen Tagen auch mal etwas voller werden, wenn man sich in der aufspitzenden Gischt des Wasserfalles bei Terni im Süden Umbriens etwas Abkühlung gönnt. Doch die meisten werden über ein „Oh“ nicht hinauskommen. In einem gelb unterlegten Kasten, die Infokästen mit Aha-Effekt-Garantie, haben die beiden Autoren den ultimativen Reisetipp um das dreistufige Naturwunder aus Menschenhand dargelegt. Links, rechts, bis zu einer Schranke – hier wird wirklich jeder Meter Fußweg erläutert, so dass Navigation mit Hilfsmittelchen unnötig wird. Auch als Reiseband in digitaler Form, was wie immer bei den Reisebüchern aus dem Michael-Müller-Verlag, eine Option ist.

Das Zusammenspiel von beeindruckenden Fotos und exzellent recherchierten Texten von Wanderungen, Rundgängen und Ausflügen halten das Blut des Touristen in Wallung. Abgelegene Orte bekommen den gleichen Platz wie die offensichtlichen Highlights, die je nach Jahreszeit einem niemals allein gehören. Es ist die Mischung aus Trubel und Einsamkeit, die Umbrien so einzigartig macht. Lustwandeln mit gleich zwei Autoren, die wissen, wo man hinschauen und wo man sich sehen lassen muss.

Trauben schwarz wie Blut

„Trauben schwarz wie Blut“ – das klingt doch vom Beginn an wie eine Geschichte, die man nicht im Vorbeigehen „zusammenschreibt“. Und dann die elegante Dame auf dem Cover, der durchdringende Blick, die noble Körperhaltung – wer da nicht Appetit bekommt zumindest einen ins Buch zu werfen, dem ist nicht zu helfen. Es kommt noch besser.

Casimiro Badalamenti lebt im Sizilien der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Cinisi ist seine neue Heimat geworden – oder soll man sagen, dass er hier Unterschlupf gefunden hat? – nachdem er Giardinello verlassen musste. Concetta nimmt den ehrgeizigen, doch grobschlächtigen Weinbergbesitzer bei sich auf. Auch ihre Reputation ist nicht die allerbeste. Bei gehen alle ein und aus, inklusive des Pfarrers, die Zuneigung suchen. Doch nun herrscht im Haus ein anderer Ton. Casimiro reißt den Haushaltsvorstand an sich. Kinder will er keine haben, viel mehr will er aufsteigen, ein ehrenwerter Mann sein. Ehrenwert – Sizilien: Alles klar?! Er muss einsehen, dass das Schicksal stärker ist als jeder erzwungener Wille. Casimiro wird Papa. Nicht ein-, nicht zwei-, mehrmals. Wer nun denkt, das der hartherzige Casimiro sich wandeln wird, kommt ziemlich schnell dahinter, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die Zeit vergeht, Casimiro setzt alles daran ein geachteter Mann zu werden. Die Frucht seiner Lenden hat er abgegeben. Ja, abgegeben. Zu Menschen, die willige, nein, billige Arbeitskräfte benötigen. Und die in ihrer Verachtung die Kinder wie Dreck behandeln. Die Kinder von Casimiro Badalamenti – so poetisch der Name klingt, so widerlich ist sein Charakter. Auch die Rückkehr in seinen Weinberg, wo er exzellenten Wein anbaut, der für die Region ganz besonders ist. Die Trauben sind … schwarz … wie Blut.

Vier Kinder hat Casimiro gezeugt. Drei leben inzwischen wieder bei ihm. Darunter auch Nicola, sein Erstgeborener, der Stammhalter. Mit eigenem Kopf, wie der Vater. Doch Nicola steht seinem Erzeuger nicht wohlwollend gegenüber, um es ganz vorsichtig auszudrücken. An seiner Seite wird er bald schon Rosaria haben. Mit ihr soll das Glück vollkommen werden. Wird es auch. Für eine bestimmte, für beide viel zu kurze Zeit. Denn ihre Verbindung steht unter keinem guten Stern. Das merkt auch Casimiro schon bald. Es geht um seine Ehre!

Livia de Stefani – das ist die elegante Dame auf dem Cover – schreibt über ihre Heimat, die sie der Liebe wegen verließ. Aus Rom schreibt sie über ihre Heimat, die so roh und stellenweise brutal, ja unmenschlich dargestellt wird. Und das bereits 1953. Ihre Landsleute nahmen ihr ihre schonungslose Geschichte übel, so dass der Roman fast in Vergessenheit geriet. Die Strukturen, was heute gemeinhin und mit einem Handstreich als mafiös bezeichnet wird, der Sonneninsel Sizilien werden hier bis ins kleinste Glied der Gesellschaft dargestellt. Hier räkeln sich keine machthungrigen, angsteinflößenden Ehrenmänner im Sessel und beraten wortreich den nächsten Schlag gegen wen oder was auch immer. Hier ist ein Emporkömmling, der seiner eigenen Familie den Dolchstoß versetzt und es nicht bemerkt. Als die Schande zu präsent ist, wird er zum Wirbelwind seiner eigenen Perfidität. Die Ohnmacht und die den Menschen eigene Art mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen, die detaillierte Beschreibung einer Gesellschaft, die stets am Abgrund taumelt – und die Tatsache, dass der Roman von einer Frau geschrieben wurde – machen „Trauben schwarz wie Blut“ zu einem Goldstück der Literatur.

Es gibt viele Mafiaromane. Viele erregen nur durch die Erwähnung des Wortes Mafia Aufsehen. Dann gibt es die tiefblickenden Einsichten wie beispielsweise die Bühne von Leonardo Sciascia. Und dann gibt es diesen Klassiker. Noch vor allen anderen hat Livia de Stefani, die selbst aus einer wohlhabenden sizilianischen Familie stammt, diese Art des Zusammenlebens (zu oft ist es ein Gegeneinander) beschrieben. Dieses Buch ist eine Wiederentdeckung, die viel zu lange verschollen war.